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Ansprache am Ostermorgen

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Wir erinnern uns an das Auferstehungsbild Grünewalds: die Kriegsknechtc werden mit den aufgesprengten Grabplatten wie Erzklumpen weggeschleudert; über ihnen erhebt sich der Sieger in die Nacht. Aber aus dem Evangelium wissen wir nur, daß Hohepriester und Pharisäer, die einen Betrug mit dem Leichnam fürchteten, Pilatus baten, das Grab bewachen zu lassen, und daß er eine Wache dahinsandte. Als die drei Frauen am Ostermorgen zum Grabe kamen, war der Stein weggewälzt, das Grab leer. Was mit der Wache geschehen ist, wissen wir nicht. Wir wissen von keinem Zeugen der Auferstehung, des ungeheuersten Ereignisses, das auf Erden geschehen ist. Die drei Frauen können das Wort des Engels am Grabe: Er ist nicht hier, nicht fassen. Von Schrecken und Entsetzen erfaßt, fliehen sie in die Stadt; sie wagen zunächst nicht davon zu sprechen. Auch dem Engel scheinen sie nicht zu glauben; Maria Magdalena berichtet Petrus und Johannes: Sie haben den Leichnam aus dem Grabe genommen. Dann eilen Johannes und Petrus zum Grabe. Petrus findet die Tücher. Glaubt er nun? Wir wissen nur, daß der Herr später Petrus als dem ersten der Apostel erschien; über den Ort und die Umstände ist nichts berichtet. Der Glaube des Peturs bedurfte offenbar der Erscheinung. Wieder nähert sich Magdalena dem Grabe. Sie findet zwei Engel. „Weib, was weinst DU?“ Aber sie glaubt noch immer nicht an die Auferstehung; wieder sagt sie: ,,Man hat meinen Herrn fortgenommen, und ich weiß nicht, wohin man ihn gelegt hat.“ Wie sie sich umwendet, sieht sie die Gestalt des Unbekannten, den sie für den Gärtner hält; zum dritten Male fragt sie, wo der Leichnam ist. Hat sich der Herr, um sie zu schonen, verhüllt? Oder ist es die Unmöglichkeit, zu glauben, die ihn ihr verschleiert? Da spricht er sie an: „Maria.“

Die Jünger, die Frauen waren auf das Unerhörte vorbereitet; der Herr hatte ihnen gesagt, daß er auferstehen werde am dritten Tage. Wahrscheinlich glaubten sie ihm damals. Aber die Sprache seines Leidens und Sterbens vernichtete diesen Glauben, Sie mußten durch seinen Tod hindurch. Hätte er sich nicht herabgeneigt, um ihnen zu erscheinen, so wissen wir nicht, ob der Glaube an die Auferstehung, ob damit das Christentum selbst sich durchgesetzt hätte. Thomas, als unbeantworteter Zeuge, wäre ein furchtbarer Gegner geblieben. Und nach allem Ermessen dachten andere wie er. Aber nun könnte uns das Wort versuchen, das die Nicht-glaubenden, Brüder Jesu, vor dem Laubhüttenfest zu ihm sprachen: „Denn niemand, der offenbar sein will, tut etwas im Verborgenen. Wirkest Du solche Dinge, so offenbare Dich selbst der Welt“ (Johannes 7, 4). Das heißt: „Zeige Dich offen.“ Warum trat der Auferstandene nicht vor diejenigen, die ihn in den Tod gesandt oder ihm den Tod bereitet hatten, nicht vor die Hohepriester, vor Pilatus oder Herodes? Wäre nicht dann erst sein Sieg vollkommen gewesen? Hätte dieses Erscheinen nicht die Apostel zu gefürchteten Zeugen erhöht, statt daß sie nun von seinem Wort ins Martyrium gesandt wurden? Wäre nicht die Macht des Unglaubens, alle falsche Gewalt, die auf Erden herrschte, in Staub zermalmt worden, wenn es offenbar gewesen wäre, daß sie Gott gekreuzigt hatten, und daß Gott mächtig war? Mit dem Erscheinen des Auferstandenen vor seinen Feinden wäre in der Tat aufgehoben worden, was wir aus Erfahrung Geschichte nennen. Das Irdische wäre zertrümmert worden. Denn man hätte dem Sieger über den Tod widerstanden und Gottes Macht hätte sich vollzogen; sie wäre vernichtend über das Vergängliche, über das Geschöpf gekommen. Wie soll es dem Offenbarsein dieser Macht standhalten?

Aber das Reich kommt nicht mit äußeren Gebärden. Der Auferstandene ging nicht in den Tempel, nicht vor den Hohen Rat oder vor den Palast des Pilatus; er ging mit den zwei Jüngern nach Emmaus. Er ist nicht seinen Feinden, sondern seinen Freunden erschienen; er blieb geglaubtes Geheimnis. Sein Plan reicht in eine sehr weite, eine ganz unbekannte Zeit. Auch die Jünger mißverstanden ihn, die glaubten, mit ihren leiblichen Augen seine Wiederkunft, die Erfüllung der Zeiten zu sehen. Und selbst die heiligen Schriften vermögen nicht klar zu scheiden zwischen der Prophetie vom Untergang Jerusalems und der vom Ende der Welt; so ungestüm waren Erwartung und Sehnsucht, daß vielleicht selbst die Evangelisten den Herrn an dieser Stelle nicht genau verstanden haben. Er hatte vom Sauerteig gesprochen, der den Teig durchdringt; vom Senfkorn, aus dem sich der Baum entfaltet, vom Acker, auf dem Weizen und Unkraut nebeneinander wachsen. Das zielt ins Ungewisse. Es schafft erst Geschichte, wie wir sie kennen. Denn in der Geschichte wandeln wir im Glauben, nicht im Schauen; es geht in ihr darum, daß der Glaube sich vor dem Unglauben bezeugt. Ob der Glaube mit seinem Zeugnis siegen wird? Nein. Der Unglaube wird ihn am Ende überdecken. Die Christenheit kann nur das Los Jesu Christi erfahren, nachleben mit versagenden Kräften. Ihre Bewährung besteht darin, daß sie sich der unverhüllten irdischen Vergeblichkeit stellt. Wenn es wahr ist, daß, wie der große moderne Exeget Jules Lebreton sagt, der Kalvarienberg das „einzige Fundament des Christentums ist“, so müssen wir uns daran erinnern, daß der Ort, wo die lebendige Wahrheit, die ein einziges Mal wirklich als Fleisch und Blut erschienene Wahrheit, ans Kreuz geschlagen wurde, für die Welt steht, wie sie ist und bleiben wird, und daß hier nicht allein ihr Heil gewonnen, daß hier die Zeugenschaft geformt wurde: der Todesmut der Apostel. Denn die Apostel waren Männer, die mit Christus gestorben waren, die sich als Gestorbene betrachteten; die aber den Auferstandenen erblickt hatten und nun ihr Heil und das Heil der Welt wirkten in Verzehrender Hingabe an die Brüder,aber wissend, daß die ganze Welt im Argen liegt, wie Johannes sagt, und erst wieder hergestellt wird, wenn sie zertrümmert. Das ist das Furchtbare des christlichen Lebens, sein Unbegreifliches, Zerstörendes und Erhaltendes: Der Sieg bleibt verhüllt, unwahrscheinlich; er wird immer fragwürdiger im Ablauf der Zeit; denn die Gegenmacht wird immer offenbarer. Aber die Bestätigung liegt gerade in der gläubig ertragenen Niederlage, der Annahme des Kreuzes, der Torheit des Untergangs. Das Christentum, das christliche Leben, kann vom Menschen überhaupt nicht gelebt werden. Es ist viel zu schwer. Es verlangt ein übermenschliches Herz. Der Christ hat nur die Hoffnung, daß ein anderer sein Leben lebe in ihm: Gott, der Sieger im Tode über den Tod.

Was hat Christus gewollt? Die Macht des Innersten: den Glauben. Gott ist über die Erde gegangen. Er hat zurückgelassen seine heilige Mutter, den einzigen Menschen ohne Schuld, das erschütterndste Opfer, das je gebracht worden ist, und mit ihr elf Sendboten, die hundertzwanzig Jünger und in deren Umkreis eine kleine Gemeinde. Das Volk, das von den wunderbar vermehrten Broten und Fischen gegessen hatte, unter dem der auferweckte Lazarus lebte, glaubte nicht. Und wenn der Auferstandene noch mit dem Unglauben der Apostel ringen mußte, die er doch während seines ganzen Wandels gestärkt und ausgerüstet hatte mit dem Wissen von Leiden. Tod und Sieg: wie werden die Apostel haben ringen müssen um den Auf-erstehungsglaubcn der Gemeinde! Dies also ist, noch am Tage der Himmelfahrt, Christi Hinterlassenschaft, ist seine „Kirche“: ein paar Menschen, die glauben, mit ihrem bevollmächtigten Haupt, dem später Paulus, unter der Vollmacht des Geistes, ins Antlitz widerstehen wird. Das Erlösungswerk geschah zwischen Christus und dem Vater, seine Stiftung, seine Wirkung am Menschen ist der Glaube. Er hat im irdischgeschichtlichen Sinne nichts vollbracht und vollbringen wollen als die Erweckung und Bereitung der Zeugen. Er hat nach seinem Tode d i e mit Todesmut beenadet. die im entscheidenden Augenblick alle geflohen waren.

Aber wir? Magdalena, die Apostel und Jünger, durften ihn sehen und hören, Thomas ihn berühren; er aß in ihrem Kreise am See Fische und Honig. Wir sollen glauben ohne zu sehen. Wir sollen es, wissend von der kosmischen Verlorenheit der Erde, die über jede Vorstellung geht und noch vor wenigen hundert Jahren nicht geahnt werden konnte. Gewiß, wir haben das Zeugnis der Apostel: die vor dem Kreuze versagten, wurden unzerbrechlich, nachdem sie den Sieger erblickt hatten: sie eilten dem Zeügen-tode entgegen, befeuerten und rissen mit. Wir haben die Worte des Herrn, sein Zeugnis von sich selbst. Aber dieses hatten auch die Apostel, und es reichte nicht aus. Soll es nun ausreichen für uns: angesichts einer Welt, deren Wesen und Trachten, deren grauenvolle Llnermeßlich-keit und Unerforschbarkeit durch nichts mehr herausgefordert werden kann als durch den Glauben, daß ihr Haupt auf ihr als Geschöpf gewandelt ist, gekreuzigt wurde von seinen Geschöpfen und auferstanden ist?

Hamann hat gesagt: Was geglaubt ist, braucht nicht bewiesen zu werden. Es ist Wirklichkeit. Aber faßbar ist sie nur als Gabe Jesu Christi, als sein Wirken in uns. So hat es auch Newtnan gelehrt: „Er, unser Herr Jesus Christus, und Er allein gibt uns die Gnade, an ihn zu glauben.“ Daß ich glaube, daß das Grab leer war am Ostermorgen; daß ich den Aposteln glaube und der Voraussage Jesu Christi: das ist Jesu Christi Tat an mir. Und diese Tat macht mich stark. Sie hält mich in der Welt; sie sendet mich tief in sie hinein. Und wenn ich in ihr gänzlich allein und verlöten wäre, wie ich es doch keineswegs bin, so würde diese Tat nicht in mir auslöschen, nicht versagen, weil Gott nicht versagt. Mit ihr ist etwas mächtig auf Erden geworden, das wesensanders ist als das Sichtbare und Geschaffene; es ist das Leben, das nicht stirbt: es ist der Geist; es ist die Freiheit, die von Mauern und Ketten, von der Staatsmacht nicht erstickt werden kann, vielmehr gerade in Ketten und Mauern sich bewährte. Was ich bewirke? Darum geht es nicht. Das Christentum ist Weg. Denn Gott ist der Weg. Wir können Gott nicht begrenzen. Wir wissen nicht, wohin Er in uns geht. Wir kennen ja auch die Landschaft der Zeit nicht, durch die der Weg führt. Dieses Gehen und die Landschaft der Zeit, der Bezug zwischen beiden, ihr Zusammenwirken, das ist das Mysterium der Geschichte. Aber auf dem Kalvarienberg wurde die Wahrheit gekreuzigt. Von nun an ist das Kreuz das Siegel der Wahrheit. Wenn die Wahrheit mich dahin führt, wohin ich nicht will, wie Petrus von ihr geführt wurde, so darf ich vielleicht unter Furcht und Zittern hoffen, daß mich die Wahrheit nicht richten wird am Ende. Das ist die Hoffnung des Christen. Das ist die Hoffnung der Welt. Denn die Wahrheit ist da und bleibt da. Nikolaus von der Flüe sah in einer Vision die mit dem Gebresten am Herzen behaftete Menschheit im Antlitz der Wahrheit erscheinen; und da sie es nicht ertragen konnten, „sowenig wie der Mensch Feuerflammen zu ertragen vermag“, so „fuhren sie umher und fuhren zurück, fort mit großem Schimpf und Schande“. Und dann heißt es: „Und die Wahrheit blieb da.“ Aber die Wahrheit will des Menschen Zeugnis. Und dieses Zeugnis ist Wahrheit als Schicksal, das Erleiden der Wahrheit gegen alle Mächte der Welt und Geschichte, gegen das eigene Herz: aus Gottes Macht.

Glaube kann nur auf personaler Begegnung beruhen. Darauf gründete der Glaube der Apostel. Die Gestak, unter der die Begegnung erfolgt, ist eine andere geworden. Aber alles kommt darauf an, daß der Eine und Einzige uns begegnet im Geiste, im Sakrament, in der Wahrheit und uns rüstet gegen den Einspruch der Welt, der Mächte und des Todes: Der Eine, der die Auferstehung nicht gelehrt hat, sondern der sie selber ist, der das Leben nicht verkündet hat, sondern sich selber zum Brot des Lebens gemacht hat. Der Christ ist Zeuge der Auferstehung mitten im Widerspruch der Welt: das ist es, was er der Welt leisten soll. Aber er ist nicht einmal Zeuge; denn in ihm bezeugt Christus -sich selbst. (18. Februar 1953)

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