7114009-1996_08_16.jpg
Digital In Arbeit

Asien, Heimatland der Muttergöttin

19451960198020002020

Im frühen Shinto übte die Mutter priesterliche Funktionen aus, im Buddhismus dagegen mußten sich Frauen in einen Mann verwandeln.

19451960198020002020

Im frühen Shinto übte die Mutter priesterliche Funktionen aus, im Buddhismus dagegen mußten sich Frauen in einen Mann verwandeln.

Werbung
Werbung
Werbung

In China strebt die Weisheit des Tao die Harmonie der im Kosmos wirkenden bipolaren Prinzipien von Yin (Dunkel) und Yang (Licht) an. Nach einem aus archaischen Zeiten überlieferten Spruchgut trägt das Tao feminine Züge: „Unbenennbar ist Tao, des Himmels und der Erde Ge-bärerin. Benennbar ist es. die Mutter der zehntausend Wesen." Das Ewig-Weibliche erscheint in dieser uralten Überlieferung als transzendent Seiendes, das den Menschen trägt, ihn ernährt und ihm Heim gewährt.

Diese Urschicht wurde überlagert durch die aus den Steppen Asiens immer wieder einbrechenden patriarchalischen Beitervölker, die den Kon-fuzianismus prägten. Seine Ethik forderte von der Frau Gehorsam, Demut und Unterwürfigkeit. Dementsprechend konnte sie Besitz nicht erwerben und nicht vererben.

Die Existenz eines weiblichen Prie-stertums im alten Japan läßt sich erschließen aus dem heutigen Brauchtum in Okinawa. Dort galt die Schwester des Königs als höchste Priesterin und zugleich Göttin. Noch heute liegt der ganze Kult in Familie und Sippe in den Händen der Frauen.

Die „Noro" genannte Priesterin verkörpert die Gegenwart der Gottheit im Dorf. Historiker sehen darin eine der Wurzeln des Shinto. Seine höchste Göttin, Amaterasu, entspricht der Urform eines charismatischen Priestertums, in dem die Frau mit der Sonne identifiziert wurde.

Im frühen Shinto übte die Mutter oder Ehefrau in der Familie priesterliche Funktionen zum Schutz der Männer aus. Chinesische Quellen schildern im 3. Jahrhundert n. Chr. eine Priesterin-Königin „Himiko", die mit ihrem Bruder die Herrschaft teilte. Die Insel Aogashima kennt bis heute keine Männer im Kult. Lange Zeit diente im Japan die Kaiserin selbst als Schamanin des Beiches, die dem Kaiser die Weisungen der Sonnengöttin übermittelte. So ist es nicht erstaunlich, daß sieben Frauen dank dieses Charismas selbst den Thron bestiegen.

Der ständig wachsende Einfluß aus China verdrängte aber die mächtigen Frauen aus Kultur und Politik. In dem nun straff organisierten Shinto verzichtete man auf die Orakel der Frauen, weil das richtig (von Männern) vollzogene Bitual die Herabkunft der Götter bewirkte. Bis ins Mittelalter versahen zwar noch fünf Jungfrauen den Kult für 23 Gottheiten, um dem Kaiser die Lebensgeister zu vermitteln, doch starb auch dieser Brauch aus. Frauen versehen immer noch kultische Aufgaben durch den Kulttanz an den großen Schreinen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg duldete man wieder, daß Frauen auch Priesterdienste an vielen Schreinen übernahmen. Heute sollen über 1.000 Frauen an Shinto-Schreinen den Kult ausüben, jedoch ohne schamanistische Zeremonien.

Die Schamaninnen überleben noch als Toten-Beschwörerinnen in der Volksreligion in entlegenen Bück-zugsgebieten im Norden Japans. Sie treten aber heute auch in den sogenannten „Neuen Beligionen" als Stifterinnen, Heilerinnen oder Medien auf. Viele erleben eine Initiation im Traum oder in Ekstase als Besessenheit durch eine Gottheit.

Im Gegensatz dazu steht der Buddhismus, der Erlösung durch Einsicht in die Illusionshaftigkeit aller Vorstellungen und Phänomene erstrebt. Damit ist auch die Absage an die Geschlechtlichkeit impliziert. Dem Buddha selbst werden frauenverachtende Worte zugeschrieben. Anderseits betrachtete er die Frau dennoch als erlösungsfähig, sodaß er für sie einen zweiten Orden gründete. Doch forderte er strenge Trennung vom Männerorden, unterstellte sie auch der Aufsicht durch Mönche. Während er für Männer 250 Gebote aufstellte, waren für Frauen 348 Gebote nötig.

Entsprechend dem Denken seiner Zeit sah er in der Frau jene illusionären Lebensmächte verkörpert, die Begierden und zu Tat und Schuld antreiben und so den Kreislauf der Existenzen in Gang halten.

Im späteren Buddhismus des „Großen Fahrzeugs" findet man eine entgegengesetzte Tendenz. Erlösung bedeutet hier: Innewerden der in allen Wesen wohnenden Buddha-Natur, ganz unabhängig vom Geschlecht. Der „nördliche" Buddhismus des Großen Fahrzeugs aber zog lange Zeit nicht die Konsequenz aus dieser Gleichheit, sondern entwickelte die Lehre, daß Frauen sich in einen Mann verwandeln müßten, um Erlösung zu finden. Falls dies nicht durch Wunder geschieht, muß sie als Mann eine Wiedergeburt erleben. Das Paradies enthielte demnach keine Frauen. Im 13. Jahrhundert wurde die Forderung nach Verwandlung in einen Mann und die Geschlechtlichkeit im klösterlichen Leben aufgehoben. Der Zölibat, den Buddha selbst gefordert hatte, wurde in Japan aber schon seit dem achten Jahrhundert immer weniger beachtet und wird heute gar nicht mehr geübt. Grundlegend für die Gesellschaft ist auch heute in Japan die Ansicht, daß die Erhaltung der Familie die erste Pflicht jeder Generation ist. Daher ist auch die traditionelle Rolle der Frau als Priesterin in der Familie, die die Ahnenopfer darbringt, festgeschrieben, solange noch ein Hausaltar mit Ahnentafeln bewahrt wird.

Der Autor ist

Religionswissenschafikr in Tokio.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung