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Aufstieg und Untergang der Awaren

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An den Flüssen Orchon und Toula in der Mongolei hatte im 5. Jahrhundert nach Christus das Reitervolk der Awaren die Vormachtstellung über die Nomadenstämme der Steppe errungen und war mit dem chinesischen Reiche in enge Fühlung getreten. Zoan-Zoan, das rißt Zopfträger, nennen sie die diinesischt; Quellen. Bald nach 500 vernichteten die Türken ihr Reich, die awari- schen Stämme wurden über die weiten asiatischen Steppen zersprengt. Ein Großteil des Volkes mit dem Stammesnamen Varchoni zog Westwärts, durchquerte den gesamten Kontinent und erschien um die Mitte des 6. Jahrhunderts an der Wolga. Zwischen diesem Strom und dem Dnjestr hatten die bulgarischen Kutiguren ihr Reich begründet, innerhalb dessen eine Reihe von Völkerschaften, zum Teil hunnischer Herkunft, unter ihrer Herrschaft vereinigt waren. Mit diesen in enger sozialer und kriegerischer Gemeinschaft lebten die Slawen, die nördlich und östlich des Karpathenbogens wohnten, im südlichen Teil des Reiches die Reste der einstigen Beherrscher jener Gebiete, der Goten. Wiederholt war es zu Zusammenstößen zwischen den Kutiguren und dem Oströmischen Reich gekommen, welches sich schließlich durch die Zahlung von Jahr- gcldern in der Höhe von 80.000 Goldstücken seinen Frieden erkaufen mußte.

Dieses bulgarische Pontusreidi fiel nun den asiatischen Reiternomaden zum Opfer, die Awaren unterwarfen sich die Kutiguren und pochten 557 an die Pforten von Byzanz. Eine Gesandtschaft erschien in der Stadt am Goldenen Horn und erregte ob ihrer Zopftracht das größte Staunen der Oströmer. Wohl oder übel mußte sich Kaiser Justinian verpflichten, den neuen Stand der Dinge am Pontus anzuerkennen und die jährliche Tributzahlung aufrechtzuerhalten. War damit hier für die Awaren vorerst der Zweck erreicht, so schienen ihren Raub- und Expansionsbestrebungen im Westen Europas weitere lohnende Ziele zu winken. Schon 562 stießen ihre berittenen Scharen den Nordrand des Karpathenbogens, entlang gegen das Frankenreich vor, wobei König Sigebert unweit Magdeburg an der Elbe eine schwere Niederlage erlitt. In einer zweiten Schlacht drei Jahre später, in derselben Gegend, blieb jedoch der fränkische Heerbann siegreich, womit auch hier für den Augenblick die Gefahr gebannt schien. 567 zerschlugen die Awaren gemeinsam mit den Langobarden das Gepidenreich in Siebenbürgen und erreichten wenige Monate später vom Langobardenkönig Alboin die formelle

Abtretung Pannoniens, des Landes zwischen der nordsüdlich fließenden ungarischen Donau und dem Neusiedler See. Hieher, in die weiten ungarischen Ebenen, die den Reiternomaden ideale Dase'nsbedingungen boten, verlegten sie nun das Zentrum ihres Reiches. Irgendwo im Alföld oder im Banat — der Ort ist merkwürdigerweise bis beute noch nicht gefunden worden — errichteten sie ihre gewaltige Königsburg, „Hring", auch „Lager“ (campus) genannt, wo der Chakan oder Großfürst seinen Sitz hatte.

Mit den Kutiguren des Pontusgebirges waren auch die Slawen unter awariscbe Hoheit gekommen. Sie wurden von ihren nunmehrigen Herren aus ihren ursprünglichen Sitzen östlich der Weichsel nach Westen vorgedrängt, wo sie den Nomaden als lebender Festungsring um ihr Re.ch dienten. Schon 562 scheinen sie in Schlesien, 568 in Böhmen eingesickert zu sein. Unter dem byzantinischen Kaiser Maurikios fiel '582 Sirmium nördlich Belgrad den Awaren in die Hände und nun begann auch auf dem Balkan das Eindringen der Slawen. Schon 592 wird uns von Kämpfen des Bayernherzogs Tassilo I. gegen diese berichtet. Unter Kaiser Phokas (t 610) brechen die Händel der Byzantiner mit Awaren und Balkanslawen nicht mehr ab. Der Chakan hatte schon seit dem Fall von Sirmium immer wieder versucht, den Tribut von 80.000 Goldstücken auf 100.000 zu erhöhen. Dies gelang ihm endlich 619, als Kaiser Herakleios, der große Erneuerer des Oströmischen Reiches, um der inneren Unordnung Herr zu werden, sich den Frieden von seinen ständigen Bedrängern erkaufen mußte.

Inzwischen hatten im Westen die steten Bedrückungen der Slawen seitens ihrer awa- rischen Herren zu einer Reihe von Aufständen geführt, die jedoch jedesmal blutig niedergeschlagen wurden. Endlich, 623, gelang es dem Franken Samo, anscheinend von Kroatien aus, die slawischen Stämme zu einigen, unter seine Herrschaft zu bringen und die Awaren zu schlagen, so daß sie frei von deren Oberhoheit wurden. Da diese Niederlage auch im Inneren des Awarenreiches zu Unruhen führte, mußte der Chakan darauf bedacht sein, seine Stellung durch einen kriegerischen Erfolg an anderer Stelle wieder zu festigen. Er verband sich zu diesem Zweck mit den Persern und rüstete zu einem entscheidenden Schlag gegen Byzanz. Die Aktion mißlang jedoch gänzlich, ja, die Awaren erlitten 626 vor den Toren der Stadt eine vernichtende Niederlage. Es kam zur Ermordung des besiegten

Chakahs und zu einem heftigen Aufstand der Kutiguren, die noch vier Jahre später die Awaren anläßlich der Wahl eines neuen Großfürsten auf das heftigste bekämpften. Schließlich gelang es den awarischen Stämmen doch wieder, die bulgarischen niederzuzwingen. Mit der allseits gefürchteten Großmacht- stellung des Reiches war es aber auf Jahrzehnte vorbei..

In dieser Zeit, da die auswärtigen Geschichtsquellen sich in ein höchst bezeichnendes Schweigen hüllen, sind es die Bodenfunde, die uns Aufschluß über die weitere, insbesondere die innere Entwicklung des Staates geben. Bis um die Mitte des 7. Jahrhunderts läßt sich die kulturelle Zweigestaltung des Reiches im Grabbrauch und insbesondere im Niederschlag des Kunstgewerbes der beiden Hauptkomponenten, der awarischen und der bulgarisch-kutigurischen, auf das klarste verfolgen. Während die letztere das insbesondere in den alten Handwerkszentren des Pontusgebietes seit Jahrhunderten gepflegte, von griechisch-iranischen Anregungen befruchtete Kunstwollen fortsetzt, das sich hier insbesondere in prächtigen Preß- und Blecharbeiten aus Edelmetall auswirkt, war das erstere, awarische, weiterhin seinen ostasiatischen, reiternomadischen Traditionen treu geblieben, die ihren Niederschlag insbesondere in Gußarbeiten und in der Weiterführung sonstigen asiatischen Kulturgutes fand. Beide waren, durch den reichen Zustrom des byzantinischen Goldes in hohem Maße befruchtet, zu besonderer Blüte gelangt. Nun, zwischen etwa 630 und 700, sehen wir in immer fortschreitendem Maße eine Vermischung beider Richtungen des Kunstwollens im einzelnen Objekt, aber auch in der Vergesellschaftung der Einzeldinge in den Grabinventaren: Das awarische und das kutiguri- sche Volkselement verschmolzen ineinander und damit erstarkte das Reich auch wieder nach außen.

Schon nach Samos Tod 662 konnte der Streit seiner Erben auch von den Awaren dazu genützt werden, die alte Oberhoheit über die Slawenvölker wieder aufzurichten. Während die Baiern von Westen her die Donaugebiete bis zum Wienerwald eroberten, weiteten die Awaren ihre unmittelbare Herrschaft von Osten her bis an das gleiche Gebirge aus. Immer noch war zwar das

Land am Osthang des Wienerwaldes von Slawen und von Resten deę germanischen Bevölkerung früherer Jahrhunderte bewohnt, deren Spuren wir zum Beispiel im Räume des Awarenfriedhofes von Leithaprodersdorf bis in jene Zeit verfolgen können. Der Zeit um 700 gehören aber bereits vereinzelte Awarenfunde in dieser Gegend an, und um dieselbe Zeit fiel ihren nunmehr erneuerten Raubzügen die alte Hauptstadt Bayerns, Lorch an der Enns, zum Opfer. Um 780 scheint die Herrschaft des Chakans schon bis an die Erlaf gereicht zu haben, ja Herzog Tassilo dürfte den Awaren im Zuge seiner Aktionen gegen die Reichseinigungsbestrebungen König Karls des Großen sogar die Enns als Grenze zugesagt zh haben, was der Franke allerdings nie anerkannt hat. Nach der Absetzung Herzog Tassilos wird in Aachen über die Abgrenzung beider Reiche verhandelt. 791 eröffnet Karl offenbar wegen der wenig nachgiebigen Haltung der Awaren in dieser Frage den Feldzug gegen sie. Zwar ward schon im ersten Anlauf die Raab südlich, die Waag nördlich der Donau erreicht, doch dauerte es noch volle 11 Jahre, bis der Awarenstaat völlig vernichtet, seine Herrschaft endgültig zerschlagen war.

805 war es so weit gekommen, daß der inzwischen bereits getaufte Chakan bei Kaiser Karl bittlich wurde, seinem Volk neue Sitze zwischen der Donau bei Carnuntum und der Raab bei Steinamanger anzuweisen, da es sich an seinen alten Wohnorten vor den immer heftiger werdenden Angriffen der Slawen nicht mehr zu halten im Stande sei. Der Bitte wurde willfahrt. Doch schon ein Halbjahrhundert später war vom awarischen Volkssturm kaum mehr etwas übriggeb lieben. Während sich ein Restteil dem Bulgarenreiche anschloß, ein weiterer in verschiedenen Slawenvölkern aufging, ist der Hauptteil anscheinend schweren Seuchen zum Opfer gefallen, von denen noch heute bulgarische und russische Märchen und Sagen künden. 858 muß der fränkische Königsohn Karlmann als Verwalter der Ostgebiete an die Neubesiedlung der „desertą Awarorum", der wüst gewordenen Awarengebiete, schreiten. Da deutsches Volkstum dafür nicht in genügendem Maße zur Verfügung stand, sind es vor allem Slawen gewesen, die das awarische Erbe antraten.

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