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Begegnung

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Ein fröhlicher Herbsttag senkte sein funkelndes Licht in das Blau des Albanersees — „Frühling des heiligen Martin“ nennen die Römer die späte Pracht; sie vergoldete die grauen Mauern von Castel Gandolfo. Wie feierliche Wächter erschienen mir die dunklen Zypressen des päpstlichen Gartens, der sich vom Schloß den Hang herab zum Seeufer breitet. Täuschte ich mich, wenn ich vom nördlichen Seeufer aus zwischen dem Gebüsch des Gartens die weiße Soutane des Papstes zu erspähen vermeinte, als ob sich Pius XII.' mit seiner Umgebung plaudernd vor dem Springbrunnen des kleinen Teiches niedergelassen hätte?

Pius XIL, als wäre es gestern gewesen, so sehe ich seine schlanke Gestalt vor mir, das asketische Antlitz, die gütigen strahlenden Augen, die feingeschnittene schmale Hand, die einem Meister edl& Künste zu gehören schien. Vor 23 Jahren war es, daß ich an einem späten Jurii-Tag zum ersten Male nebe dem Kardinal-staatssekretär Eugenio P a c e 1 Ii saß, befangen in einem von tiefem Ernst und geheimem Bangen überschatteten Gespräch. Ich war eine Stunde zuvor bei Papst Pius XI. gewesen, dem ich zwei Briefe des heiligen Karl Borromäus überbracht hatte, die ein Geschenk des Wiener Gemeinderates an Bürgermeister Dr. Karl Lueger gewesen waren. Ich hatte sie von dessen Schwester Hildegard erhalten, und nun hatte ich nach Ueberreichung im päpstlichen Staatssekretariat eine Botschaft des Kanzlers Dollfuß zu bestellen, ein Treuegelöbnis dieses tiefgläubigen Mannes, der jetzt in schwerem Gefechte stand. Der Kardinalstaatssekretär war gut im Bilde und verhehlte seine Sorge um Oesterreich nicht. Er war als langjähriger Nuntius in München den österreichischen Dingen nahe genug gewesen, um mit der Entwicklung in Oesterreich wohl vertraut zu ein. Aus seinen Worten sprach mehr als nur das Interesse eines weltkundigen Diplomaten. Man mußte froh werden und dankbar sein ob der Weise, wie er über Oesterreich dachte und redete. Die von Hitler Ende Mai verhängte Tausendmarksperre rüttelte an einem wichtigen Ast der, österreichischen Wirtschaft, der heimtückische Anschlag auf eine friedfertige Schar christlicher Turner bei Krems war noch in frischer Erinnerung. Seit Anfang Juli spritzte Habicht seine giftigen Rundfunkreden hinaus. Der Großangriff des Nationalsozialismus, gestützt auf die Machtmittel des Reiches, hatte begonnen.

„Wird Oesterreich standhalten können, wird man Oesterreich nicht von innen heraus zum Fall bringen?“ Das Nein, das darauf zu sagen war, kam au tiefer Ueberzeugung. Nur physische Gewalt könne Oesterreich überwältigen. Der Kardinalstaatssekretär, merklich einer Gefahr vorbauend, daß unruhige innerpolitische Entwicklungen die Ratifikation des Konkordats in Frage stellen könnten, das im Juni die österreichischen Unterhändler unterzeichnet hatten, drängte, Oesterreich solle sich mit der Ratifikation beeilen, solle dem Beispiel des Deutschen Reiches folgen, welches das am 8.. Juli 1933 bereits paraphierte, Deutsche Konkordat mit dem Heiligen Stuhl rasch perfektionieren werde (tatsächlich wurde das Deutsche Konkordat schon am 10. Dezember 1933 ratifiziert, indes Oesterreichs mit beiden .Händen in der Abwehr des nazistischen Angriffes begriffen, seinen Vertrag mit dem Heiligen Stuhl erst am 1. Mai 1934 endgültig mit der Ratifizierung unter Dach brachte). Ich machte in aller Bescheidenheit den Einwand: „Wird Hitler das Konkordat halten? Das entspräche nicht der Moral des Dritten Reiches.“ Wohl hatte in seiner Reichstagserklärung vom 23. März 1933 Hitler erklärt, seine Regierung sehe „in den beiden christlichen Konfessionen die wichtigsten Faktoren zur Erhaltung des deutschen Volkstums“, sie sehe „im Christentum die unerschütterlichen Fundamente des sittlichen und moralischen Lebens des deutschen Volkes“ und sie lege „den höchsten Wert darauf, die freundschaftlichen Beziehungen zum Heiligen Stuhl weiter zu pflegen und auszugestalten“. Der Kardinalstaatssekretär antwortete auf meine skeptische Bemerkung: „Möglich, daß alle schönen Worte und uns gegebenen Zusicherungen Worte bleiben. Möglich, daß das Konkordat nicht eingehalten werden wird. Aber dann werden wir festen Rechtsboden unter den Füßen haben, um die Stellung der Kirche zu verteidigen.“ Der Kardinalstaatssekretär und spätere Papst ist dieser Linie' mit strenger Konsequenz gefolgt, immer der große Jurist, der in dem Verlassen des Rechtsbodens schon die Niederlage des Gegners, seine Selbstausschaltung aus der geordneten Gemeinschaft zu sehen gewohnt war. Als er so argumentierte, spürte man aus Wort und Gestus den großen Staatsmann der Kirche, der dann als Papst das Schifflein Petri auf diesem weltweiten stürmischen See Gene-sareth mit begnadeter Hand zu steuern berufen war.

Der Abschluß der Vorbereitung des für Mai 1938 einberufenen Kongresses der Union der Katholischen Presse, für den Veranstaltungen großen Stils, umrahmt von künstlerischen Darbietungen, Empfängen in Schönbrunn, Belvedere und Rathaus vorgesehen waren und für dessen Organisation ich als Obmann des Internationalen Büros Katholischer Journalisten die Verantwortung trug, nötigte mich, in der ersten Märzwoche 1938 zur abschließenden Berichterstattung an den Präsidenten der Union, Conte Dalla Torre, den Direktor des „Osservatore Romano“, nach Rom zu gehen. Die Hitler-Herrschaft hatte ihr wahres Gesicht gezeigt. In Deutschland und gegenüber Oesterreich in den politischen Zentren des europäischen Westens meldeten sich ängstliche, kompromißlerische Stimmen. Am 12. Februar hatte in Berchtesgaden der ominöse Empfang des Bundeskanzlers Dr. Schuschnigg und des Staatssekretärs für Aeußeres Dr. Guido Schmidt stattgefunden. Der Bundeskanzler legte nun Wert darauf, daß ich bei meinem Rom-Aufenthalt die Gesandten Berger-Waldenegg und Dr. Kohlruß und vor allem Kardinalstaatssekretär Pacelli über die intimen Details der Vorgänge in Kenntnis setze. Wie zuvor vom Kanzler, erhielt ich über dessen Weisung von Staatssekretär Dr. Guido Schmidt einen umfassenden, von ihm selbst punkteweise geordneten Bericht über das österreichische Erlebnis in Berchtesgaden. Die Schilderung zeigte die unverblümte Drohung mit sofortiger militärischer Gewalt und Hitlers Forderungen, deren Hauptpositionen lauteten: Gleichschaltung der Armee, Wiederindienstnahme der wegen landesverräterischer Haltung disziplinierten Beamten, Gleichschaltung der Presse, Einreihen Oesterreichs in die deutsche Wirtschaftseinheit durch eine Zollunion. Also eine unmißverständliche Umschreibung der verlangten Kapitulation — das nahe Ende Oesterreichs. Am 5. März erstattete ich an Hand meiner während der Unterredung mit Staatssekretär Dr. Schmidt gemachten Notizen dem Kardinalstaatssekretär einen genauen Bericht. Mit gespannter Aufmerksamkeit, wiederholt mit Zwischenfragen meine Mitteilung unterbrechend, nahm der Kardinal meinen Bericht entgegen. Er war tief bewegt. Schmerz zitterte in seinen Worten. Ob wir Oesterreicher diese Bedrängnis bestehen würden? Furcht um das Schicksal des Landes, für das er ergreifende Anteilnahme bekundete, klang aus seinen Worten. Nur durch den Aufruf aller seiner religiösen Kräfte könne Oesterreich diesen übermächtigen Angreifer bestehen. Ich führte an, was redlicherweise gesagt werden konnte, um die moralische Abwehrentschlossenheit der österreichischen Bevölkerung darzutun. In diesem Willen sei die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung bis tief hinein in die beiden großen weltanschaulich getrennten Lager einig. Nur Waffengewalt würde Oesterreich überwältigen können. Während dieses Gespräches wurde ein Erzbischof aus dem nahen Orient zu Besuch gemeldet. Noch hatte der Kardinalstaatssekretär Fragen an mich und Wünsche an Wien und Oesterreich, für das „geliebte Oesterreich“. Tief erschüttert kniete ich nieder, um den Segen und die eindringlichen Wünsche für die bedrohte Heimat und die uns auferlegte Aufgabe von diesem großen Freunde unseres Landes zu empfangen, Die Audienz hatte mehr als .eine Stunde gedauert.

Wir haben den geistigen Beistand des hohen Freundes gebraucht. Genau eine Woche später, um dieselbe Stunde, brausten über Wien bereits die Bombengeschwader Hitlers. Und als Verhafteter ging ich schlafen.

Mir altem Manne wurde die Gnade zuteil, dem gewesenen Kardinalstaatssekretär als Papst Pius XII. wieder nahen zu dürfen. Losgelöst von den öffentlichen Dingen, durch den Heiligen Vater ganz in das Persönliche einbezogen, empfing durch ihn die Begegnung eine Innigkeit, als wollte sich in ihr das tiefste Wesen dieses großen Papstes offenbaren. Er wirkt nicht nur in seiner Rolle als Staatsmann und Diplomat an einer weltgeschichtlichen Zeitenwende, es wirkt sein Wesen nicht nur in seiner Stellung als Gelehrter in weiten Bereichen der Wissenschaft, der an ihre schlummernden Geheimnisse heranging und einmal im Auditorium maximum der Dominikaner-Universität Roms in freier großer Rede an uns Journalisten in fünf Weltsprachen sich wandte — die Krönung seines Wesens, das Edelste ^seiner Persönlichkeit empfängt er immer wieder durch die Art, wie sich in ihm die liebevolle Güte des priesterlichen Völkerhirten mit dem Heroismus des schmerzensreichen Dulders in dem unermeßlichen Leide der Kirche verschmilzt.

Was hat doch die Nachfolgerschaft Petri für einen gigantischen Stammbaum! Um nur vom letzten Jahrhundert zu reden. In der Zeit der schwersten Verfolgungen der Kirche, indes ringsum die Menschheit so arm war an ganz großen Erscheinungen, wird ihr eine ununterbrochene Reihe apostolischer Führergestalten bis herauf zu Pius XII. geschenkt. Aber die Welt, die Gott 'leugnet, kennt keine höheren Anordnungen im irdischen Geschehen, sie schnitzt sich ihre kleinen Hausgötter nach ihrem Geschmack, um sie nächstens wieder zu verbrennen.

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