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Berge und Menschen

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Ein Wiener Hochschullehrer, wiederholt Rektor, verlor seinen Sohn, einen hoffnungsvollen Studenten der Wiener Technischen Hochschule, der wissenschaftliche Ambitionen hatte und wohl eine Leuchte geworden wäre, heuer im Montblancgebiet durch einen Bergunfall.

Es war kein gewöhnlicher Berg- unfall. Der Student war mit einem zweiten Bergsteiger, einem erfahrenen Himalajamann, in die Montblancgruppe gegangen. Die beiden, bergerfahren, durften sich ruhig auch an einen Berg wie die keineswegs leichte Aiguille du Dru wagen. Vor ihnen mühten sich sichtlich erschöpfte Spanier ab. Die beiden, in bester Form, halfen den Spaniern zum nahen Gipfel und auch weiterhin, so daß sie wohlbehalten, mit dem Glück der Ersteigung des schwierigen Gipfels, auch wieder zu Tal kamen.

Die beiden Bergsteiger konnten sich etwas Zeit lassen, obwohl der Abend schon herniedersank. Sie stiegen, durch das Seil gesichert, ab. Der Himalajamann ging voraus. Das heißt, an der Stelle des späteren Unglücks stieg er nicht, sondern er ritt auf dem Eisgrat, der die Abstiegsroute bildete. Auch das ist nichts Außergewöhnliches, sowenig es etwa falsch war, daß der Wiener Technikstudent es vorzog, den Eisgrat aufrecht, mit Steigeisen, hinabzusteigen. Viele, die den berühmten Wiesbachhorn-Nordwestgrat (Kaindl- Grat) gemacht haben, wissen, daß man solche Grate nach seiner Manier bezwingt. Nur, der Wiener war von der Fürsorgeleistung für die Spanier schon ermüdet. Ein unbedachter Tritt — so vermutet man —, und er stürzte ab. Er stürzte, vom Seil des Kameraden gehalten, nicht weit, aber er stürzte immerhin in eine Gletscherspalte und blieb vier Meter unter ihrem Rand verkeilt. Da er nur leicht bekleidet gewesen war und die warmen Sachen im Rucksack waren, hätte er jetzt dieser warmen Sachen bedurft, aber er konnte sich nicht rühren. Das Eis der eng zusammenrückenden Spaltenwände hielt ihn gefangen.

Der Kamerad mit der Himalajaerfahrung wollte ihn begreiflicherweise heraufziehen. Jeder Bergsteiger weiß, daß das in einer Zweierseilschaft sehr schwierig, fast unmöglich ist, da das Seil in den Spaltenrand einfriert. Aber angesichts des Bergkameraden versuchte es der Begleiter. Es gelang ihm dennoch nicht. Es wurde spät, die 400 Meter tiefer liegende Schutzhütte erreichte er daher zu spät, so daß die Rettungsmannschaft ebenfalls zu spät kam. Der junge Student war inzwischen gegen ein Uhr nachts in der Spalte erfroren.

Man gab nun dem Bergkameraden die Schuld an diesem traurigen Ende. Der Vater des Verunglückten gab ein Beispiel: er lud den Bergkameraden nach Österreich, um am offenen Grab Gedenkworte zu sprechen. Da verstummten die Besserwisser, die von tieferer Einsicht um Schuld nichts wußten. Dieser Hochschullehrer hat als Mensch gehandelt.

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