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Berthold von Wehingen

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Die Gründung der Wiener Universität dnrch Herzog Rudolf IV.. 1365 zählt neben Prag und Krakau zu den frühesten in Mitteleuropa. Ihre Entfaltung zur machtvollen Trägerin österreichischer Bildungsbestrebungen ging zunächst nur langsam vor sich. Vor allem erwies sich die der Universität zugedachte Dotierung zu gering, am einen großzügigen Ausbau zu ermöglichen. Dies dürfte auch mit ein Grund gewesen sein, warum Papst Urban V. nur zur Errichtung der drei niedern Fakultäten sein Zustimmung erteilte. Bei der damaligen Bedeutung gerade der theologischen Fakultät blieb die Gründung dadurch zunächst nur ein Torso. Freilich könnte auch, wie schon Thomas Ebendorfer vermutete, Kaiser Karl IV. aus Besorgnis um die konkurrenzlose Entwicklung seines Prager Generalstudiums die Beschränkung bei der Kurie inspiriert haben. Schließlich aber fehlte der neuen Wiener Hochschule eine hinreichende Anzahl tüchtiger Lehrkräfte, insbesondere auch ein Organisator, der die Einrichtung den vorgenannten Schwierigkeiten zum Trotz durchgeführt hätte. Erst während des großen abendländischen Schismas, 13 8 bis 141 , folgte unter Herzog Albrecht III. ein entscheidender Umschwung und eine Epoche kräftigen Empor- blühens. Dies ermöglicht und in die Wege geleitet zu haben, war weniger das persönliche Werk des Landesfürsten, dem es allgemein zugeschrieben wird, als die Tat seines Kanzlers Berthold von Wehingen. Im Geiste dieses umsichtigen Staatsmannes, der über den Notwendigkeiten des Tages die tieferen Bedürfnisse der Kirche und des Landes erkannt hatte, reifte der Plan zur Reorganisation der Hochschule. Seinem Weitblick überließ der Herzog schließlich auch die Auswahl der zu berufenden Persönlichkeiten, denen man die Reform und den Ausbau des Studienbetriebes anvertrauen könnt .

Berthold stammte aus der Famili der schwäbischen Herren von Wehingen. Einer seiner Ahnherren war vermutlich der Minnesänger Hugo von Werbenwag. Von Bert- holds Vater Hugo von Wehingen kaufte 1351 Herzog Albrecht III. die Veste Wehingen und verpfändete 1353 ihm und seiner Frau Agnes die Burg zu Klosterneuburg, wo die Familie anscheinend schon früher Besitz erworben hatte. Berthold, der um die Mitte des 14. Jahrhunderts in Österreich geboren wurde, begann seine Laufbahn als Passauer Kanonikus, erhielt dann die landesfürstliche Pfarre Rußbach in Niederösterreich, war hernach längere Zeit Propst von St. Stephan in Wien (13 6) und erlangte 1381 das Bistum Fx-eising. Er wurde 1404 sogar zum Erzbischof von Salzburg ernannt, vermochte sich jedoch gegen den vom Kapitel gewählten Eberhard von Neu- hauoen nicht durchzusetzen. Als Berater der österreichischen Herzoge verweilte Bischof Berthold meist am Hof der Habsburger und spielte als Kanzler Albrechts III., Leopolds IV. und Wilhelms eine hervorragende Rolle. Von Bertholds Geschwistern stand Reinhard als Kammer- und Hofmeister und Oberst-Thürhüter ebenfalls in Diensten des Hauses Habsburg; Hugo war Johanniter zu Mailberg, später Komthur der Häuser in Wien und Nieder-Laa; eine Schwester. Klara, tritt 1386 bis 1394 als Äbtissin des Klarissinnenklosters Dürnstein hervor; eine andere, namens Margarete, war Äl-tissin des Klarissinnenklosters Königs- felden. Berthold starb 1410 und wählte sich die letzte Ruhestätte neben seinem Bruder Reinhard (gestorben 1394) im Kreuzgang des Stiftes Klosterneuburg.

Die Beziehungen Bertholds von Wehingen zur Wiener Universität reichen bis in die ersten Jahre ihres Bestandes zurück. Sein Name findet sich bereits in der ältesten erhaltenen Inskriptionsliste. Er war der erste Scholar, der in Wien den Magistergrad erlangte. Als Magister regens hielt er sodann einige Jahre Vorlesungen an der artistischen Fakultät. Hernach wandte er sich den Rechtswissenschaften zu und übersiedelte für ein paar Semester nach Prag, um sich dort das für seine spätere Stellung am Habsburger Hof unentbehrliche juristische Wissen anzueignen. Sowohl während seiner Wiener als auch während seiner Prager Lehrtätigkeit hatte er einmal di Würde des Rektors inne.

Als Student, Professor und Rektor Hatte Berthold von Wehingen die materielle und geistige Lage der Wiener Universität genau kennen gelernt. Ihre anfangs mangelhaften Einrichtungen hatten ihn vermutlich veranlaßt, zeitweilig die ältere und besser ausgebaute Hochschule in Prag aufzusuchen. Sein Herz aber gehörte der Wiener Gründung, welcher er sein erste Ausbildung und einige Zeit Lehrerfahrung verdankte. Sie nach Kräften zu fördern, blieb sein Wunsch und fester Vorsatz. Bald bot sich auch Gelegenheit, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Durch das große, aus dem avignonesisdien Exil hervorgegangen Papstschisma seit 13 8 war auch an der Pariser Universität eine Spaltung entstanden ond dieses universelle Bildungsinstitut der abendländischen Christenheit in Verwirrung und Unordnung geraten. Ohne Rücksicht auf ihre wissenschaftlichen Leistungen wurde eine große Anzahl Professoren gezwungen, die bisherige Stätte ihres Wirkens zu verlassen. Bereits nach 13 9 wandten sich vier Magister, darunter zwei Österreicher, die an der Sorbonne tätig waren, nach Wien: Koloman Kolb, Lambert von Geldern, Gebhard von Selbach und Peter Engelhard. Kolb, ein gebürtiger Wiener, wurde für das Jahr 1380, Engelhard aus Höbersdorf in Niederösterreich für 1382 zum Rektor gewählt. Mit diesen Professoren schien sich eine Kulturübertragung anzubahnen, deren Auswirkung für die nicht recht zur Geltung gekommene Wiener Hochschule von größter Wichtigkeit wurde.

Von der Abwanderung aus Paris versuchten zunächst der Prager Erzbischof Johann von Jenzenstein und König Wenzel I. für ihre aufstrebende Prager Universität Nutzen zu ziehen, indem sie Anstalten trafen, das Pariser Weltinstitut soweit als möglich nach Böhmen zu verpflanzen. Schon waren einige der namhaftesten Pariser Professoren in Prag eingetroffen und hatten dort ihre Dienste angeboten. Das Gelingen der Absicht König Wenzels und seine Beraters hätte die ohnehin schon drückende Prager Konkurrenz ins Übermächtige verstärkt und Wien für lange Zeit in den Hintergrund gedrängt. Diese Gefahr rasch und sicher erkannt zu haben, ist Berthold von Wehingens Verdienst. Vertraut mit den akademischen Verhältnissen sowohl in Wien wie in Prag, griff er entscheidend für alle Folgezeit im kritischen Augenblick ein und führte mehrere der bedeutendsten Träger damaliger Gelehrsamkeit von ihren Pariser Lehrstühlen in die Donaustadt Wien: die

Theologen Heinrich von Langenstein, Heinrich von Oyta und Gerhard von Kalkar, den Juristen Heinrich von Odendorf, den Mediziner Hermann von Treysa, die Pro fessoren Michael von Frankfurt, Andreis von Langenstein (Heinrichs Neffen) und Paul von Geldern. Diese vorzüglichen Lehrer mit ihrem weitverbreiteten literarischen Ruf zogen einen beinahe unübersehbaren Reigen von Studenten nach sich.

Das Haupt dieses nunmehr hochangesehenen

Lehrkörpers War Heinrich von Langenstsin (zirka 1325 bis 139 ). Seinem organisatorischen Genie, verbunden mit ausgebreiteter Gelehrsamkeit, ist die Erweiterung und Neuorientierung der Universität, ihre Verfassung und die Neuordnung des ILehrbetriebes zu verdanken: Februar 1384 genehmigte Papst Urban VI. die Errichtung der bisher fehlenden theologischen Fakultät, Frühjahr 1385 wurden den Studenten die neuformulierten Statuten verkündet, und 1389 waren die Satzungen für das Studien- und Prüfungswesen aller vier Fakultäten in Kraft. Selbstverständlich alles in engstem Einvernehmen mit dem Kanzler Berthold von Wehingen und Herzog Albrecht III. Die Reorganisation und Umgestaltung der rudolfinischen Stiftung war so gründlich, daß die Zeitgenossen die Reform beinahe als eine Neugründung betrachteten. Tatsächlich war Bertholds Wirken für ganz Europa von größter geistesgeschichtlicher Bedeutung. Durch die Berufung der Professoren aus Paris leitete er gleichzeitig audi das Positive der okkamistischen Schule, dieser letzten großen Erscheinung der mittelalterlichen Scholastik, nach Wien herüber und rettete es fßr die Zukunft. Seine gelehrte Bildung, die Stellung am Wiener Hof sowie sein Bemühen für die Universität lassen darauf schließen, daß er mit den nach Wien berufenen Gelehrten auch engere geistige Beziehungen pflegte. Heinrich von Langenstein widmete ihm zwei Schriften über das Schisma „De falsis prophetis" (1392) und die „Epistola de cathedra Petri“

(1395/96). Kanzler Berthold selbst wieder schenkte der Universität das Werk des heiligen Augustinus „De civitate Dei“.

Allem Anschein nach war das Erbe des poesie- und kunstfreudigen Geschlechtes der Wehinger auch in Bertholds Generation lebendig. Sein Stiefbruder Michael Tuti rrichtete 1381 die eigenartige spätgotische Totenleuchte vor der Stiftskirche in Klosterneuburg. Die Betrachtung der weh ingischen Siegel bestätigt ebenfalls die Kunstfreude der ganzen Familie. Berthold selbst dürfte als Kanzler dem Schriftsteller- und Übersetzerkreis, den Herzog Albrecht III. um sich sammelte, nahegestanden sein: dem Hofhistoriographen und Übersetzer Leopold Steinreuter, dem für Hofkreise tätigen Erbauungsschriftsteller Ulrich von Pottenstein, dem Verdeutscher und Bearbeiter der „Pilgerfahrt des Ritters Georg zum Purga- torium des heiligen Patricius", Nikolaus von der Astau, dem Bearbeiter der Hedwigs- Legende, Rudolf Wittauer, und anderen.

Leider haben wir vom Kanzler Berthold von Wehingen, diesem eigenartigen, von der Sage umwobenen Mann, der im politischen wie im geistigen Leben Österreichs in so entscheidende Stellung innehatte, keinerlei gelehrte oder literarische Werke erhalten. Was er jedoch als Kanzler Albrechts III. für den Ausbau und das Aufblühen der Wiener Universität geleistet hat, reicht aus, seinem Dasein in der Geschichte der Alma mater Rudolfina einen vollgewichtigen Wert zu verleihen. Entsprechend der allseitigen Geltung und des hohen Ansehens, deren sich Bischof Berthold bei seinen Zeitgenossen erfreute, hat auch der Meister seines kunstvollen Hochgrabes in der

„Schönen Kapelle“ zu Klosterneuburg die Wesenzüge seiner Persönlichkeit für die

Nachwelt festgehalten: es zeigt einen hochgewachsenen, gealterten Mann im bischöflichen Ornat, das wohlgeformte stolze Haupt von einem energischen und durchgeistigten Antlitz geadelt.

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