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Bismarck und Metternich

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Im Gegensatz zu den Geschichtsschreibern und der politischen Mode seiner Zeit gehörte Bismarck zu den wenigen, die in ihren Urteilen der Persönlichkeit und der Staatskunst Metternichs gerecht wurden, ihr sogar Bewunderung zollten. * Aber schwerlich hätte es sich Bismarck träumen lassen, daß Metternich gerade auch dort sich als der Sieger, als der größere Staatsmann erweisen werde, wo er, Bismarck, geglaubt hatte, den Wiener Staatsk-mzler in der Idee und im Werk besiegt zu haben. Das Werk Metternichs war der Deutsche Bund, eine föderative Einigung Mitteleuropas, durch ihren Überfluß an Zwergfürstentümern keine ideale Lösung, aber eine friedliche, frei von imperialistischen Tendenzen; sie ließ den Weg zu inneren Reformen frei. Ihrem Wesen ist eine der längsten Friedensperioden der neueren Geschichte Deutschlands zu verdanken. Sie endete 1866 mit dem Siege Bismarck-Preußens über Österreich und Österreichs Ausschluß aus dem Deutschen Bunde. Von da an war nur ein Schritt zu der Reichsgründung in Versailles unter der zentralistischen Führung Preußens. Nicht mehr Frankfurt, die Geburtsstadt Goethes in der lebendigsten Zone deutschen Geisteslebens, war das politische Zentrum, sondern Berlin, die Geburtsstadt Friedrichs II. Der Aufstieg war blendend, verwirrend großartig. Er beflügelte den alten Machtdrang Preußens, nun hatte der friderizianische Geist Raum; er schuf eine Wehrmacht, vor der die Welt zu erzittern begann und was schlimmer- war, er nährte den Glauben der neuen Großmacht, an das sieghafte Bestimmungsrecht der Waffen. Seine Endfrucht war der Militarismus, die politische Moral der Gewalt, das Kredo der nationalsozialistischen Großplanung, die sich rühmte und es unternahm, einen Neubau Europas, nein, einen neuen „Weltaufbau“ zu beginnen.

Das krankhaft phantastische Traumbild ist in der größten Katastrophe des deutschen Volkes zerflossen. Der zentralistische Einheitstaat Bismarcks, der nach dem ersten Weltkrieg die letzten Reste einstiger Bundesstaatlichkeit in Bayern und Württemberg aufgesaugt hatte — die Weimarer Verfassung war seine verschlechterte Neuauflage —, ist nicht mehr. Wieviel von dem gestrandeten stolzen Schiff noch an Land geborgen werden kann, ist noch völlig ungewiß. Auch in die engeren Grenzen wird der alte Einheitsstaat nicht mehr zurückkehren. Die Geschichte schwenkt zurück zu dem konstruktiven Plan Metternichs, einer föderativen Neuordnung Deutschlands.

Schon die Erfahrungen mit der extremen Weimarer Verfassung, dieser politischen Verpreußung Deutschlands, hatten in vielen denkenden Köpfen die Überzeugung bestärkt, daß der Zentralismus auf gefährlichem Wege war. In Bayern, Württemberg, im Rheinland, bis hinauf nach Hamburg, lebten föderalistische Ideen trotz aller Hoffnungslosigkeit bei den gegebenen Machtverhältnissen auf. Auf der vertraulichen Konferenz, die kurz vor den für 30. Jänner 1933 angesetzten deutschen Reichstagswahlen in Salzburg zwischen Führern der Bayrischen Volkspartei und der österreichischen Christlichsozialen stattfand, bezeichnete der bayrische Minister-. Präsident Dr. Held in einer von tiefster Sorge um das Kommende erfüllten Rede die Rückkehr zur Föderation als die einzige etwa noch mögliche Rettung Deutschlands. Der Wahlsieg Hitlers, die sofort einsetzende Zusammenballung einer von Berlin aus gelenkten totalitären Macht verschüttete auch die letzte Aussicht auf eine normale Lösung.

Nun muß die Verfassung Deutschlands von Grund auf neu begonnen werden. Seit hundert Jahren, seit dem Zusammentritt des Frankfurter Parlaments, war der Ruf nach' Föderation in Deutschland nicht so laut als jetzt. Und das Bezeichnendste ist: zu den alten Anhängern des Föderalismus haben sich sozialistische Führer, Männer vom Range des Bayern Dr. Hoegner, gestellt, Politiker einer Partei, die seit je als Vertreterin des Zentralismus galt. Was sie wollen, ist keine wässerige Kompromißlösung, sondern ein absolutes, restfreies Los von Berlin. Lieber ein selbständiger süddeutscher Staat als wieder Verkettung mit Berlin! Die Vehemenz, mit der die Lösung vorgetragen wird, ist kaum mehr zu überbieten. Die Annahme, daß es bei solcher Lage noch zu einer Rückkehr zu alten Beständen gäbe, würde gegen alle politischen Erfahrungsgesetze gehen. Fundamentale Umgestaltungen sind zu erwarten.

Fünfundsiebzig Jahre nach der Fürstenwahl des Königs von Preußen zum Kaiser des Deutschen Reiches, siebenundzwanzig Jahre seit dem Bestand der Weimarer Verfassung, dreizehn Jahre seit dem Beginn des tausendjährigen Dritten Reiches — das Heute! Wie kurz sind doch die mit dem Paukenschall ruhmredigen Stolzes eingeleiteten Werke der Menschen!

Über dem Schattenbilde Bismarcks, des gefeierten Reichsgründers, erhebt sich die Gestalt Metternichs, der ein Zeitalter der Kriege beendete... •

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