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Brücke über den Atlantik

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Über die Heiden, Moore und smaragdgrünen Wiesen Irlands weht der feuchte Atem des atlantischen Windes. Der Golfstrom umspült die Felsbuchten der Insel, die, zum Ozean hingebreitet, von der Natur bestimmt ist, der Brückenkopf Europas gegen Amerika zu sein. Irischen Boden berühren die amerikanischen Clipper, wenn sie nach der Überquerung des Atlantischen Ozeans die erste europäische Station erreichen. Diese Gunst der geographischen Lage ist, seit sie das erstemal in ihrer ganzen Bedeutung erkannt wurde, Irlands Verhängnis gewesen und scheint — um die Wandlung vorwegzunehmen — erst heute im Begriffe, sich zu einem Trumpf in der Hand einer zielbewußten Regierung zu wandeln.

Hatte sich England bis zur Entdeckung Amerikas damit begnügt, die unterworfene Nachbarinsel in einer vergleichsweise lockeren Abhängigkeit durch die großen irischen Lords selbst zu halten, so änderte sich dies, sobald die neuentdeckten Welten eine wirtschaftliche und handelspolitische Realität wurden. Schon fünf Jahre nach der ersten Fahrt des Kolumbus, 1497, besetzte John Cabot Neufundland im Namen der britischen Krope, und an Irland vorbei mußte fortan jedes englische Schiff seinen Kurs nehmen, das den Küsten des späteren Neuengland zusteuerte, jenem Teil des amerikanischen Kontinents, dem Irland, von England aus gesehen, vorgelagert ist. Die religiöse Kluft zwischen Siegern und Unterworfenen, an sich schwerwiegend genug, war nicht die letzte Ursache ihrer abgrundtiefen gegenseitigen Befehdung. Kaum waren je vorher so viele Iren aus ihrer Heimat vertrieben worden als unter der katholischen Königin Maria, die englischen Siedlern das Land in den beiden neubenannten irischen Grafschaften Kings County und Queens County zuwies. Von da an geht über die Queen Elisabeth, über die Eisenseiten Cromwells eine Kette unaufhörlicher Verfolgungen und Leiden über Irland bis zum Osteraufstand des Jahres 1916 und den Kämpfen der Sinnfeiner. Erst nach der Entdeckung Amerikas wächst die Leidensgeschichte Irlands zu ihrer ganzen düsteren Größe empor! Hatte Richard Cox 1689 in seiner „Geschichte Irlands von den ältesten Zeiten” ausgesprochen: „…daß Irland in der Linie unseres Handels liegt und alle englischen Schiffe, die nach Osten, Westen oder Süden segeln, genötigt sind (dort) Spießruten zu laufen zwischen den Häfen von Brest und Baltimore..so berührte dreihundert Jahre später der britische Premierminister Gladstone den Kern des anglo-irischen Problems mit den Worten: „Darf jemand sagen, daß wir Irland so behandelt hätten, wie wir es getan, wenn es nicht zwischen uns und dem Ozean, sondern zwischen uns und Europa läge?”

Der neue irische Freistaat war noch nicht zwanzig Jahre alt, als der zweite Weltkrieg ausbrach. Irland schlug eine ebenso kluge wie menschliche Politik ein: es bewahrte als Staat eine streng neutrale Haltung, unterstützt durch die Tatsache, daß die britische Regierung wenige Jahre früher auf das ihr zustehende Benützungsrecht dreier irischer Kriegshäfen verzichtet hatte. Eindrucksvoll erwies sich nun, ein wie wichtiges Bindeglied im angelsächsischen Verteidigungsblock fehlte, wenn ihm Irland fernblieb! Der Unterseebootkrieg, die Land- und Seetransporte, die Kampfgeschwader der Alliierten standen nun Tag um Tag vor schwerst- wiegenden Problemen. Aber während de Valera unerschütterlich dabei beharrte, sein Land aus dem Weltkonflikt herauszuhalten, ergriffen die irische Regierung und das irische Volk jede Gelegenheit, den kämpfenden Westmächten ihre Sympathie zu erweisen. Irische Freiwillige kämpften auf Seite der Angelsachsen, und die Caritas der Iren linderte die Not geflüchteter englischer Kinder, wie der Bevölkerung bombengetroffener Städte Englands. Als der Krieg vorüber war, hatte Irland durch seine strikte politische Abstinenz zu gleicher Zeit seine Bedeutung als potentieller Bundesgenosse erwiesen, wie durch seine seelische Haltung die Freundschaft der Bevölkerung der großen Nachbarinsel erworben.

Da sich das politische Bild der Welt nun wieder verdüstert, scheint nun Irland neuerlich in den Blickpunkt gerückt. Seine neue irische Regierung wirft das ganze Gewicht der geographischen Gunst der brückenkopfartigen Lage Eires in die Waagschale. Irland ist bereit, in den nordatlantischen Verteidigungsring einzutreten, wenn das Unrecht der Teilung des Landes gutgemacht wird. Ministerpräsident Costello will aber Irland nur als gleichberechtigten Partner in die Gemeinschaft mit den großen angelsächsischen Reichen führen. Er hat eine Reise nach dem atlantischen Gegenpfeiler Kanada zum Anlaß genommen, zu erklären, daß Irland den Vertrag mit England Von 1936, der seine Außenpolitik, wenn auch nur formell, unter die Ägide der britischen Krone stellt, kündigen werde. Doch liege, wie er in einer Pressekonferenz in Ottawa erklärte, kein Anlaß vor, daß Irland seine enge Verbundenheit mit Großbritannien nicht aufrechterhalte, auch wenn es nicht formal Mitglied des Commonwealth of British Nations sei. Die bei der Anerkennung des Freistaates 1921 vorgenommene Teilung Irlands aber habe aufzuhören. Eire werde, wenn sie beseitet sei, sagte Costello, die Nachkommen jener Mitbürger zurücktufen, die in jenen Jahren (der Hungersnot 1845 bis 1850) ausgewandert seien, als die Bevölkerung der Insel von 81/ Millionen auf jetzt insgesamt 4,1 Millionen fiel. Der irische Premierminister bezeichnete sich als „Ministerpräsidenten von ganz Irland, ganz gleich, was die Irländer im Norden dazu sagen”. Gleichzeitig gab Costello der Hoffnung Ausdruck, im Rahmen des Marshall-Planes eine Anleihe von 21,/j Millionen Pfund zu erlangen — eine Kräftigung der wirtschaftlichen Mittel des Landes, die dessen Stellung zu seinem großen Nachbarn erheblich stärken würde.

Die Eingliederung der sechs Grafschaften von Ulster in den Irischen Freistaat wäre, wenn sie im beiderseitigen Einvernehmen vollzogen würde, nicht nur als Erfolg der irischen Staatsführung anzusehen. Sie wäre ebenso ein Beweis der ungeheuren Kohärenz und Elastizität, die dem britischen Reichsverband innewohnt und die ihm die seltsame Kraft verleiht, aus jedem Schritt zur Lockerung des staatsrechtlichen Gefüges eine Festigung der inneren Verbundenheit zu erzielen. England hatte um 1910 im größten Stile ältere Versuche wieder aufgenommen, in den nordöstlichen Grafschaften Irlands — eben in Ulster — britische Kolonisten anzusiedeln. Über eine halbe Million irische Acres wurde damals zu Spottpreisen der Londoner City, englischen und schottischen Privatleuten, protestantischen Kirchen, Schulen und altgedienten Regierungsbeamten überlassen. Die irischen Vorbesitzer wurden vertrieben. Diese Maßnahme hatte Irland den letzten Glauben an englische Gerechtigkeit geraubt. Ulster, das wirtschaftlich bald aufblühte, war in der Folge stets eines der Haupthindernisse einer Versöhnung zwischen Großbritannien und Irland. Es zog Macht und Reichtum ras der gegebenen Lage und opponierte durch Jahrzehnte aufs schärfste der Homerule-Bewe- gung, durch die Irland sich ;.u befreien strebte. Der irische Außenminister Sean MacBride erklärte nun kürzlich in einem Interview, Eire sei bereit, Ulster bei seiner Eingliederung ein lokales Parlament in Belfast zu gewähren, das dem allirischen „Dail” in Dublin unterzuordnen wäre. MacBride erinnerte an die wahrhaft freundschaftliche Atmosphäre, die zwischen den beiden Völkern Englands und Irlands gegenwärtig herrsche und die auch in den Handlungen der beiderseitigen Regierungen Ausdruck finde. Und er begründete seinen Vorschlag zur Lösung der bisherigen und zur Knüpfung neuer Bande zu England mit Worten, wie sie wohl noch nie der Premierminister eines durch Jahrhunderte bedrückten Volkes anläßlich der Lösung der letzten Fesseln des Vosallitätsverhältnisses gesprochen hat:

„…Ich glaube, ich kann sagen, daß keine Nation mehr bereit ist als wir, Groll, der auf Ereignisse der Vergangenheit zurückgeht, beiseite zu legen. Ein freies und einiges Irland würde unausweichlich, aus seinem eigenen freien Willen heraus, Englands engster Freund sein. Die sehr zahlreichen Umstände, die uns beiden gemeinsam sind, würden uns unbedingt nicht nur zu besseren Nachbarn, sondern zu festen Freunden machen … In gewissem Ausmaße sind wir (Irländer) das Muttervolk für so manche Nationen des british Commonwealth, die stark irische Bevölkerungsteile aufweisen. Vermöge dieser Bande von Blut und Freundschaft haben wir besonders enge Beziehungen zu den Ländern des British Commonwealth und wünschen diese durch gegenseitigen Austausch von Handelsbevorzugungen und Bürgerschaftsrechten fortzusetzen. Das sind wirkliche Beziehungen, viel stärker als irgendein Band, das von staatsrechtlichen Annahmen oder bloßen Ver trägen abhängt.”

Winston Churchill hat die irischen Vorschläge in seiner jüngsten umfassenden Besprechung der Weltlage abgelehnt und sein Wort hat in allen Fragen des Commonwealth großes Gewicht.

Zur Klärung der irischen Frage wurde auf der jüngsten Commonwealthkonferenz eine gemeinsame Besprechung jener Mitgliedsstaaten abgehalten, die einen zahlenmäßig erheblichen irischen Bevölkerungsanteil aufweisen: Großbritannien, Kanada, Australien und Neu-Seeland. Es gelang nicht, Irland von seiner Austrittsabsicht abzubringen. Die britische Regierung ließ daraufhin die irische wissen, sie würde Irland kraft internationalen Rechts nach seinem Austritt als Ausland behandeln müssen: alle irischen Bürger im Commonwealth — in Großbritannien sind es allein 2 Millionen —, würden sonach Ausländer werden. Sie müßten Pässe erhalten, Niederlassungs- und Arbeitsbewilligungen erbitten und wären allen Beschränkungen unterworfen, die Ausländern heute in allen Ländern auf erlegt werden. Vor allem würde Irland alle Handelspräferenzen verlieren, die es heute im Commonwealth genießt. England verweist darauf, daß es wider gegenseitige Begünstigungsbestrebungen südamerikanischer Staaten stets eine ablehnende Haltung eingenommen ufid sie verhindert habe, daß es also nun in eigener Sache nicht abweichend handeln könne. Ein Schatten fällt auch auf die anglo-irischen Verhandlungen dadurch, daß sie einen Präzedenzfall für einen Austritt Indiens darstellen könnten, das sich in seiner neuen Verfassung als „souveräne Republik” erklären, aber am Commonwealth (aus dessen Titel kürzlich das Wort „British” ebenso entfernt wurde wie die Bezeichnung „Dominions”) Rückhalt suchen will. England würde sich jedoch, wie es scheint, mit dem Zugeständnis einer Vereinigung Ulsters mit Eire abfinden können, wenn das so geeinte Irland im Rahmen des Commonwealth verbliebe.

Inzwischen hat Eire durch einstimmigen Beschluß des Dail das Abkommen vom Jahre 1936 gekündigt. Welches werden die nächsten Folgen sein? Man darf dieser Entwicklung mit Spannung entgegensehen, denn eine einvernehmliche Bereinigung des irischen Problems würde nicht nur eine sehr bedenkliche Lücke im Atlantikverteidigungsring schließen. Die katholische Welt, die durch Menschenalter die irische Frage mit schmerzlichem Interesse verfolgt hat, würde den friedlichen Erfolg des kleinen, durch kein widriges Geschick zu brechenden katholischen Volkes mit Freude begrüßen.

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