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Bucheinbände aus alter Zeit

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Die Entstehung des Bucheinbandes geht ins graue Altertum zurück. Als die Griechen und Römer der vorchristlichen Zeit es bequemer fanden, aus viereckigen Blättern zu lesen, statt aus den damals üblichen Rollen, ergab sich aus der Notwendigkeit, diese Blätter aufzubewahren, der primitive Bucheinband in Form von zwei Platten aus Eichen- oder Zederholz, aus Metall, Leder oder Bein, welche die genähten oder geklebten Blätter schützten. Diese Buchhülle trug den Namen, von Werk und Autor, wurde mit einem Lederriemen verschnürt, wohl auch in Stoff oder Leder gewickelt und in späterer Zeit mit Metallbügeln geschlossen. Die Bücher lagen übereinandgeschlichtet, und besondere wertvolle Schriften fanden überdies Schutz in einem mit Leder überzogenen Holzkästchen. Cicero verlangt in einem seiner Briefe an seinen Bankier und Verleger Atticus zwei Sklaven, die tüchtige „ligatores librorum“, Büchereinbinder, sein sollen, denn, da die Buchform die Rolle noch nicht allgemein verdrängt hatte, war die Kunst des Einbindens auf wenige Könner beschränkt.

Schon im 5. Jahrhundert finden wir diese Buchdecken durch Rücken aus Metall oder Leder verbunden, mit kunstvollen Darstellungen aus den Evangelien in Gold- und Silber-Reliefs belegt und reich mit Edel-/ steinen geschmückt, so daß der heilige Hieronymus ausrufen konnte: ,jDie Bücher sind mit Edelsteinen besetzt, und Christus stirbt nackt vor den Pforten seines Tempels.“

Der Domschatz zu Monza in Oberitalien birgt zwei Bucheinbände griechischer Evangeliare, welche die Longobardenkönigin Theodolinde um das Jahr 600 der Basilika widmete. Nicht nur wegen ihrer künst-' lerischen Ausführung in Gold und Edelsteinen, sondern als Zeugen einer Zeit, die dem Untergang des römischen Imperiums vorausging, sind sie von höchstem Interesse und unschätzbarem Wert.

Wie Edschmid in seinem Italienwerk ausführt, gehörte der eine dieser Bucheinbände dem Vandalen Stilicho, jenem kaiserlichen General, der Alarich den Einbruch in Italien wehrte, und er zeigt auf der einen Seite einen griechischen Helden mit Lanze, auf der anderen Seite eine schöne Römerin mit Blumen, ein letzter Gruß an die Heidenzeit. Der andere Einband stellt die Kaiserin Galla Placidia dar, die in Ravenna begraben liegt in ihrer um 440 gebauten Kapelle. Sie mußte einen Gotenkönig heiraten und trug nach Abzug der Goten für ihren minderjährigen Sohn die römische Kaiserkrone.

Beide Einbände sind wohl Werke griechischer Künstler, deren Meisterschaft in der Herstellung getriebener Metallreliefs und Elfenbeinschnitzereien bis ins 13. Jahrhundert führend blieb.

Die Klöters, als Heimstätten der Schriftkundigen, widmeten den Einbänden der von ihren Mönchen geschriebenen Büchern besondere Sorgfalt; sakrale Werke erfreuten sich des Vorzugs wertvollerer Ausstattung, während wissenschaftliche oder religiöse Traktate nur in Holzdecken mit Lederüberzug gebunden und mit Ecken und Schließen aus Metall, versehen wurden, Diese Bücher wurden dadurch so gewichtig, daß sie nur auf Pulten und Ständern eingesehen werden konnten, die drehbar und für mehrere Bücher zum gleichzeitigen Lesen eingerichtet waren. Diese Pulte sind durch'ihre plastische Ausschmückung wertvolle Denkmäler alter Kunst. Der Dichter Petrarca hatte eigenhändig Ciceros Episteln abgeschrieben und sie mit solidem Luxus einbinden lassen. Als ihm einmal das Buch auf den Fuß fiel, verletzte es ihn so schwer, daß er nur knapp der Amputation entging.

Den prunkvollen Bucheinbänden mit ihrem Belag von Gold und Edelsteinen ist der Verlust vieler unersetzlicher Manuskripte zuzuschreiben, da sie bei den häufigen Plünderungen von Städten und Klöstern die Habgier der sonst auf Bücher nicht gerade lüsternen Söldner reizte. Andererseits sind uns durch die Pracht der Einbände von Evangeliaren aus fürstlichem Besitz mannigfache Zeugen mittelalterlicher Kultur überliefert worden. Die wertvollsten derselben stammen aus der Zeit Karls des Großen, aus dem 9. Jahrhundert, wie jenes Stundenbuch in einem Kästchen aus vergoldeten Silber, das im Pariser Louvre aufbewahrt wird. Im 12. Jahrhundert war das berühmte Kupferemail von Limoges ein beliebter Einbandbelag und besitzen das Cluny-Museum in Paris und der Mailänder Domschatz solche Platten.

Aber auch das schlicht gebundene Buch hatte vor Erfindung des Buchdrucks so hohen Wert, daß es nicht zu verwundern ist, daß die dem Publikum zugänglichen Bücher „an die Kette gelegt wurden“, und man findet bei alten Bibeleinbänden an der mit Leder überzogenen Holzplatte oft den Eisenring, der die Kette trug. Auf einem Kupferstich aus dem 16. Jahrhundert, der die Bibliothek der Universität in Leyden zeigt, sieht man alle Bücher an Ketten befestigt.

Frankreich war im Mittelalter durch seine kunstliebenden Fürsten, durdi den Reichtum seiner Klöster und Bischöfe der Mittelpunkt des Kunst- und Geisteslebens, daher die Fundgrube wertvoller Manuskripte und kostbarer Einbände. Trotzdem gab es um das Jahr 1300 in Paris im ganzen 17 gewerbliche Bucheinbinder, die ebenso wie die Schreiber und die Buchhändler unter der strengen geistlichen Aufsicht der katholischen Universität Sorbonne standen. Als der Pariser Rechnungshof für seine Akten einen Einbinder suchte, mußte derselbe nachweisen, daß er des Lesens und Schreibens unkundig sei; man wollte sich schon damals von Unbefugten nicht in die Karten sehen lassen!

Einen großen Aufschwung nahm die Kunst des Bucheinbandes durch die im Laufe der Kreuzzüge nach dem Abendlande gelangten „Koran“-Ledereinbände aus dem Orient, wo die Kunst der Bearbeitung, Färbung, Vergoldung und Prägung des Leders seit jeher zu Hause war. Diese, nach Analogie reich-gefiederter Vögel „Flügel“ genannten orientalischen Buchdecken regten französische Einbandkünstler zu erfolgreicher Nachahmung an.

Im 14. Jahrhundert erfolgte eine förmliche Revolutioriierung der königlichen und fürstlichen Bibliotheken Frankreichs. Die Missalien, Bibeln, Evangeliaren und theologischen Traktate waren nicht mehr die einzigen im Gebrauch stehenden Bücher. Die Entwicklung der Sprache, die Kunst der Troubadours zeitigte Dichtungen und Romane, welche die Gesellschaft entzückten und sie verfeinerte. Berühmt waren der „Roman des roses“ und der „Roman du renard“, welch letzterer Goethe zu seinem „Reinecke Fuchs“ anregte. Für die schönen Damen, sofern sie lesen konnten, und ihre Ritter, waren jene schweren Foliobände nicht mehr geeignet, die bisher Scholaren und Mönchen ernstes Wissen vermittelt hatten. Handlicheres Format, dünnes Velinpergament und später das Leinenpapier gestatteten die Verwendung von Samt, Goldbrokat und Seide für Einbände mit Goldschließen, welche die Bücher leicht tragbar machten und ganz neue Kunstzweige für deren Ausschmückung in Tätigkeit setzten.

Die Herzöge von Burgund sowie die französischen Könige, bekannt durch ihren Kunstsinn, hatten ihre Andachts(Stunden)-bücher von ersten Malern mit Miniaturen schmücken lassen, deren Einbände mit Perlen und leichten Gold- und Silberornamenten verziert waren. Ein origineller Roman, betitelt „Moralität der Menschen im Schachspiel“, prangte in einem Einband aus grüner Seide, mit Emailblumen und kleinen, silbernen Nagelköpfen. Diese kostbaren Kunstwerke wurden in Taschen aus feinem Leder in blühenden Farben geborgen.

Aus alten Inventaren sind nicht mir die hohen Preise dieser Einbände, sondern auch die Namen der Goldschmiede und Sticker zu entnehmen, die ihren Ehrgeiz daransetzten, sich gegenseitig zu übertreffen. Selbst berühmte Maler, wie ein Jean Cousin, hielten es nicht unter ihrer Würde, Bucheinbände zu entwerfen.

Im 15. Jahrhundert war das Italien der Frührenaissance im Bucheinband führend. Durch Venedigs Handelsverbindungen kamen Bucheinbände aus dem Orient in die Lagunenstadt, wie jene Mosaikledereinbände aus mehrfarbigen, schmalen Lederstreifen, die sich zu regelmäßigen Figuren verschlingen und deren Fugen feine, gepreßte Goldlinien aufweisen. Sie wurden dann in Venedig von den Offizien des berühmten Druckers Albin Manutius hergestellt. Diese Einbände sind unter dem Namen „Albinen“ bekannt und als wertvolle Sammelobjekte gesucht.

Die Pergamentbände der Bibliotheken des Vatikan und von Urbino waren gleichmäßig in Karmoisinsamt mit Silberbeschlägen gebunden.

Als die Franzosenkönige Karl VIII. und Ludwig XII. von ihren italienischen Kriegsund Beutezügen nicht nur wertvolle alte Schriften in herrlichen Einbänden heimbrachten, sondern auch geschickte italienische Einbandkünstler, wurden diese von ihren französischen Nachahmern bald übertroffen.

Der Kriegschatzmeister und Intendant von Mailand, Jean Grollier aus Lyon, hatte in Italien eine reiche Bibliothek gesammelt und nach Frankreich gebracht. Hier ließ er sie nach seinem erlesenen Geschmack einbinden, in braunes Maroquinleder, reich verziert durch Pressung in Gold und Olivgrün, und am Fuße des Deckels tragen manche Exemplare seinen Namen. Solch ein Grollier-Einband gehört heute zu den höchstbewerteten Sammelobjekten. In ähnlicher Weise hat ein Zeitgenosse Grolliers, der Bücherfreund Louis de Saint-Maure, seine Bücher binden lassen, und ebenso berühmt sind auch die von dem Buchdrucker Geoffrey Tory seinen Werken gegebenen Einbände. Die letzten Valois, die Söhne der Katharina von Medici, besonders Heinrich III., waren auf kunstvoll gebundene Bücher erpicht und wer sich bei ihnen in Gunst setzen wollte, widmete ihnen solch ein Kunstwerk als Geschenk. Schöne Einbände waren der Stolz herrschaftlicher Bibliotheken. Schon im 14. Jahrhundert hat Valentina Visconte, Herzogin von Orleans, ihre Bücher vom Einbandkünstler Jean d'Arras binden lassen, und Diane de Poitiers, die Geliebte Heinrichs IL, hatte in ihrem Schloß Anet eine Bibliothek, die wegen ihrer herrlichen Einbände berühmt war.

In Deutschland und den anderen europäischen Ländern blieb man weiter bei den massigen, schmucklosen Buchdecken aus Holz und Schweinsleder mit Metallecken, wobei höchstens die Schließen handwerklich schöner ausgeführt wurden.

Durch die Erfindung des Buchdrucks und der damit verbundenen großen Verbreitung von Büchern wird der Bucheinband zum Wahrzeichen und Maßstab für die Kultur-cntwicklung einer Periode und eines Landes.

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