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Chiapas als Signal für den Widerstand
Ausgerechnet in den Musterbeispielen der neoliberalen Reform - Mexiko und Argentinien - explodierte der Unmut der Indios.
Ausgerechnet in den Musterbeispielen der neoliberalen Reform - Mexiko und Argentinien - explodierte der Unmut der Indios.
Während die Hauptstädte Buenos Aires und Mexiko-Stadt im Glanz von Budgetüberschüssen leuchten, verkommen die entlegenen Provinzen, denen — nur ein Beispiel - die unrentablen Eisenbahnverbindungen gekappt wurden, zu Armutsstätten.
Vor Weihnachten gingen in Santiago del Estero im argentinischen Nordwesten, wo nach wie vor Arbeit fast nur bei der Provinzbehörde zu finden ist, wütende Angestellte, deren Löhne seit Monaten nicht bezahlt worden waren, auf die Straße und verheerten oder verbrannten die öffentlichen Gebäude. Im Moment regieji dort unter dem Schutz von Bundestruppen ein Inter- ventor aus Buenos Aires.
In Mexiko haben in der südöstlichen Provinz Chiapas die Nachkommen der Mayas 500 Jahre lang den Mund gehalten. Ermutigt von den gesamtamerikanischen Indianerdebatten im „Kolumbus- Jahr“ 1992, aber gleichzeitig abgeschreckt von den zu erwartenden Folgen des Eintrittes Mexikos in die Nordamerikanische Freihandelszone (Nafta) für die Subsistenzbauern, rebellierten bewaffnete Maya-Stoßtrupps gegen die Provinzautoritäten. Diese gehen seit jeher, allen Slogans der mexikanischen Revolution zum Trotz, mit Brachialgewalt gegen die Ureinwohner vor. Die glänzende Reform- Weste von Präsident Salinas de Gortari hat plötzlich einen häßlichen Fleck.
Von den 450 Millionen Einwohnern Lateinamerikas zählen lediglich 20 Millionen als „reine“ Indianer, mit Konzentrationen in Guatemala, Mexiko, Ekuador, Peru, Bolivien und Brasilien. Da bei solcher Schätzung ein „Indianer“ zum „Ladino“ wird, sobald er Hemd (Bluse) und Jeans (Rock) anzieht, muß der indianische Bevölkerungsanteil weit höher angesetzt werden. Die Indios bilden keine homogene kulturelle Gruppe, sondern sind in Hunderte von Ethnien — teils noch mit ma- trifokalen Traditionen - aufgegliedert.
Trotzdem vereint sie heute, zum erstenmal seit der „Entdeckung“ durch Kolumbus, ein Wille zur Emanzipation, zur Autonomie und zum Widerstand. Die Vorgänge im mexikanischen» Chiapas bilden möglicherweise die Vorhut für größere indianische Widerstandsaktionen in ganz Lateinamerika. Zur Ironie der Geschichte gehört, daß lateinamerikanische Armeen ihre Rekruten, wenn notwendig mit Gewalt, zumeist aus den Großfamilien der Indianer- bauern holen. Somit kämpfen auch in diesen neuen Auseinandersetzungen Indianer gegen Indianer - eine Tatsache, die Lateinamerikas Herrschaftseliten immer schon für sich zu nutzen wußten.
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