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Christengräber und Beton

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EINE SCHMALE TÜR und einige Stufen führen von der Kirche St. Severin in Köln hinunter in das Totenreich eines Gräberfeldes, zu den Anfängen des Christentums. St. Severin ist eine jener Kirchen in der einstigen Colonia Claudia Ära Agrippinensis, deren Geschichte bis in die Römerzeit zurückreicht. Wie weit? Viele Jahrhunderte hat der Boden unter St. Severin dieses Geheimnis bewahrt.

Um so freigiebiger zeigte er sich dann. Den Ausgrabungen unter der Kirche und in ihrem LImkreis verdanken wir die Antwort auf eine Reihe offener Fragen über die Anfänge des Christentums im Abendland; Erkenntnisse, die Rückschlüsse auf die Frühgeschichte des Christentums in Rom ermöglichen und vielleicht Ausgangspunkt neuer Forschungen in der Hauptstadt der Christenheit werden können.

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WO SIE DER SPATEN jahrtausendelanger Finsternis entriß, liegen die Ausgrabungen in einzigartiger Uebersichtlichkeit vor uns. Eine schmale Tür, einige Stufen — vor uns ein Labyrinth von Mauerwerk verschiedenster Bauperioden, Steinsärgen, Pfeilern und Schächten, von verschieden hohen Niveaus. Alles auf Generationen vor dem Verfall gesichert. Ueber uns, gerade so hoch, daß wir mit dem Kopf nicht anstoßen, eine Betondecke Von der Krypta her wurden Stollen unter Haupt- und Seitenschiff vorgetrieben. Ohne oben auch nur ein einzigesmal den Gottesdienst zu stören, ohne eine einzige Marmorfliese aufzuheben, wurde ein großer Teil der Kirche mit Beton unterfangen, der Raum unter ihr zu einem Museum besonderer Art ausgebaut.

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MAN FAND DIE RESTE der frühesten Kirche, die hier stand: ein Grabkapellchen von fast quadratischem Grundriß, etwa zehn Meter lang. Die Steine stammten vom umliegenden heidnischen Friedhof und von vergessenen Christengräbern. Die Apsis stand genau über dem-Grab 'zweier Märtyrer, das wan-'einige Meter tieferfand: Asclinitis und Pamphdius, die wahrscheinlich im dritten Jahrhundert, an einem 30. Juni, ihr Leben für den Glauben hatten lassen müssen. Die Apsis war im Westen angeordnet; hinter dem Altartisch stehend, dem Volk zugewendet, muß der Priester das Meßopfer dargebracht haben.

313 gab Konstantin den Christen die Glaubensfreiheit, nicht lang darnach muß dieses kleine Martyrion entstanden sein. Es wurde bald vergrößert — in der Vorhalle war die Ruhestätte des heiligen Severinus. des Mannes, der nach den Angaben Gregors von Tours damals die Fäden der Entwicklung weitergab von der ausgehenden Antike in die nachrömische Zeit. 948 wurde das Grab in die mittlere Tonne der neuen Confessio verlegt, wo man die Abdrücke des hölzernen Sarges heute noch sieht.

Auch die dunkelste Epoche der rheinischen Christenheit, der Frankeneinfall, unterbrach die Baugeschichte von St. Severin nicht. Im sechsten Jahrhundert tritt uns bereits der vierte Bau

entgegen, größer, aber primitiv gemauert. Zerbrochene, mit Steinen ausgefüllte Sarkophage wurden bei den Fundamenten mitverwendet. Die Toten mußten sich damals mit „Plattengräbern“ ,begnügen, weil die Kunst, massive Särge aus dem Felsen zu hauen, vergessen war. Die karolingische Zeit bringt einen neuen Geist und eine neue, massive Kirche St. Severin, deren Fundamente auch die heutige tragen.

KÖLN WAR DAMALS schon eine alte Stadt. 50 nach Christus wurde die von Agrippa, dem Schwiegersohn des Augustus (der als erster nach Cäsar den Rhein überschritt), gegründete Siedlung zur ersten und ältesten Stadt auf deutschem Boden erhoben. Die ausgedienten Soldaten, die sich hier niederließen, stammten aus Griechenland, Aegypten, Kleinasien — aus Ländern, in denen das Christentum sehr früh Fuß gefaßt

hatte. Muß man nicht annehmen, daß schon sie

i

es nach dem Norden brachten?

Wir besitzen Reste einer tönernen Lampe aus Köln, auf deren Boden vor dem Brennen ein nach rechts schwimmender Fisch, das christliche Symbol aus den Katakomben, eingeritzt worden war. Alles weist darauf hin, daß sie aus dem letzten Viertel des ersten Jahrhunderts stammt. Aber zwischen dieser Lampe und den Funden aus dem dritten Jahrhundert: nichts, was auf die Existenz von Christen hinweist. Nichts bis zu den Grabungen von Prof. Fremersdorf, der jahrzehntelang unter und um St. Severin gegraben hat und das Römisch-Germanische Museum in Köln leitet. Er hat sich mit dem Kompaß der Logik vom Festland des Erwiesenen auf den Ozean des Unbekannten hinausgewagt und von seinen unmittelbaren Arbeitsergebnissen weitreichende Schlüsse auf die Frühgeschichte der christlichen Gemeinde in Rom gezogen.

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ES WAR RÖMERBRAUCH, die Toten dort zu bestatten, wo täglich die Lebenden vorübermußten, längs der Straßen, die aus den Städten führten*iln Rottri an der Via Appiai'fln.'Köhta} anfcreinem fi&rm hundert Meter, breiten Sitreifien.* kilometerweit neben der Straße, die im Süden hinausführte.

Auch St; Severin liegt an dieser Straße. In der Umgebung der Kirche fand man ein ausgedehntes heidnisches Gräberfeld mit reich ausgestatteten Brandbestattungen Manches hier gefundene Glasgefäß gehört zu den schönsten Produkten der Kölner Glasindustrie, die schon im zweiten Jahrhundert im ganzen Imperium berühmt war. Dazwischen fanden sich vereinzelt Körperbestattungen, auch dann ohne Beigaben, wenn der Sarg auf den Reichtum des Toten hinwies: Christengräber Christliche Gräber mitten unter den heidnischen? Man mußte annehmen, daß sie viel später in die Erde gekommen waren.

Bis Prof. Fremersdorf unter dem Kreuzgang von St. Severin einen mächtigen Tuffsarg fand, dessen Form an die der heidnischen Brandaschenbehälter aus dem zweiten Jahrhundert erinnerte. Eine Faustina-Münze aus dem zweiten

Jahrhundert, wie sie die Christen freilich auch später gern ihren Toten in die Särge legten, war stempelfrisch. Etwas vor diesem Sarg und etwas darüber, nur wenige Zentimeter von ihm entfernt, fand man eine ungestörte Brandbestattung, deren Beigaben eine sichere Datierung zuließen: um 180. Es wäre unmöglich gewesen, den christlichen Sarg nachträglich unter die heidnische Bestattung zu praktizieren, ohne sie zu beschädigen.

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DAMIT WAR BEWIESEN: schon um die Mitte des zweiten Jahrhunderts wurden hier Christen nach christlicher Sitte mitten unter den Heiden auf deren Friedhöfen bestattet. Was damals kaum jemand glauben wollte, ist heute, durch weitere Funde belegt, sicheres Wissen und erscheint uns völlig einleuchtend: es wäre zwecklos, nach rein christlichen Friedhöfen aus frühester Zeit zu suchen. Das Christentum wurde nicht von heute auf morgen mächtig, sondern entwickelte sich aus kleinsten Anfängen. Christliche Friedhöfe konnten erst entstehen, als es genug Christen gab.

irA'betr5efeam:5neh Teft (fort u*rpttfrftl unwr Sftrf'S8vein begatteten Toten vmiii genau mfro dem Blick nach Osten begraben, ein Teil der Särge wich etwas von dieser Orientierung ab. Diese Tatsache hilft heute bei der gröberen Datierung manchen Fundes. Die genau „geosteten“ Särge sind die älteren. Das kleine Martyrion, das i zur Keimzelle der heutigen Kirche wurde, stand parallel zur benachbarten, nicht genau nach Süden führenden Straße, und alle späteren Bestattungen orientierten sich nach der neuen Kapelle Der fränkische Bau folgte dem römischen, der karolingische dem fränkischen, der gotische dem karolingischen, so daß St. Severin auch heute noch etwas von der Ostung abweicht. Ein Teil der unter dem Kirchenboden aufgestellten Särge steht schön ausgerichtet im Raum, während andere etwas verschoben scheinen.

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JEDE HIMMELSRICHTUNG ZU MISSACHTEN scheint die Pantaleonskirche in Köln. Im Krieg kamen bei Grabungen in unmittel-

barer Nachbarschaft umfangreiche römische Fundamente zum Vorschein, Reste von Fußbodenheizungen und Abwasserkanälen, eine stattliche „Villa suburbana“. Die Mauerreste wiesen die gleiche Orientierung auf wie die Kirche. Sollte bei deren Bau auf ein früheres römisches Privathaus Rücksicht genommen worden sein?

Prof. Fremersdorf wagt die kühne, aber bestechende Vermutung, daß in einem größeren Zimmer dieses Landsitzes eine frühe christliche Kultstätte untergebracht war und daß aus diesem Kultraum später die Kirche hervorgegangen ist, deren älteste Fundamente, wie sich jüngst gezeigt hat, mindestens bis in fränkische Zeiten zurückreichen. Vieles “weist darauf hin, daß sich in Italien die älteste Christenheit in Privathäusern versammelte: im Oberstock eines Hauses in Herculaneum, der im Jahre 79 verschütteten Stadt, fand man, im Putz der Wand ausgespart, ein großes Kreuz. Nach der Himmelfahrt versammeln sich die Apostel in einem Obergemach, auch in, Rom lehrt Paulus in seiner Privatwohnung. Juden und Christen werden ypn den Heiden mitein-,

ander, verwechselt Wer weiß, wie viele römische

Titelkirchen aus Kultraumen m PrivathauSern

hervorgegangen sind—so wie die Lateransbasilika,

Haupt und Mutter aller Kirchen des Erdkreises,

aus dem Palast der Laterani, in dessen Räumen

313 die Synode des Papstes Miltiades (an der

auch der älteste bekannte Bischof von Köln,

Maternus, teilnahm) stattfand. Besonders wichtig

waren derart unauffällige Versammlungsräume

in den Zeiten der Verfolgung.

MAN KANN ABER NICHT NUR von den italienischen auf die rheinischen Verhältnisse schließen, sondern auch umgekehrt. Noch haben nicht alle Forscher die Hoffnung begraben, noch Katakomben zu finden, die weiter als bis in die Mitte des zweiten Jahrhunderts zurückreichen — und damit die Begräbnisstätten der allerfrühesten Christenheit. Nach Prof. Fremersdorfs Meinung „werden sie aber auch in Zukunft nicht gefunden werden, einfach deshalb, weil es sie überhaupt nicht gab“! Das beste Argument: Wären nicht auch Petrus und Paulus dort begraben worden, wenn es derartige gemeinschaftliche christliche Begräbnisstätten in jener Zeit schon gegeben hätte? Beide Apostel wurden jedoch auf heidnischen Friedhöfen inmitten heidnischer Gräber bestattet. — „In den sechziger Jahren des ersten Jahrhunderts gab es eben noch gar keine andere Möglichkeit, als die Bestattung von Petrus und Paulus auf einem heidnischen Friedhof“, schreibt Fremersdorf. „Das gilt aber ebenso auch noch in der Folgezeit und für alle Christen ganz allgemein, und zwar mindestens bis gegen die Mitte des zweiten Jahrhunderts. Die ältesten Christengräber Roms sind also keineswegs in Katakomben zu suchen — auch nicht in solchen, die angeblich noch gar nicht gefunden sind —, sondern auf den in der damaligen Zeit in Benutzung gewesenen heidnischen Friedhöfen. Das muß bis gegen die Mitte des zweiten Jahrhunderts Geltung gehabt haben, erst damals war die christliche Gemeinde Roms so groß geworden, daß man daran denken konnte, eigene christliche Besrräbnisplätze anzulegen. Das waren die ältesten erhaltenen Katakomben. In Rom ist somit die gleiche Entwicklung zu beobachten, die ich für St. Severin in Köln dargelegt habe. Aber für Rom ergibt sich damit die wichtige Forderung der systematischen und subtilen Erforschung der großen heidnischen Grabfelder, eanz besonders derjenigen, in deren Nähe christliche Kirchen mit ältesten Patrozinien liesjen.“

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