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Churchill und seine Ahnen

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Für die Briten und alle die Zahllosen, denen der unsterbliche Retter seines Vaterlands, der vielbegnadete Staatsmann, Stratege, Diplomat, Parlamentarier, Redner von hinreißendem Schwung und große Schriftsteller etwas bedeutet, stellt er die reinste Verkörperung englischer Wesenheit dar:' und zwar m deren letzter aristokratischen, noch im viiktorianiischen Zeitalter geborenen Ausprägung. Zudem im Bann einer, eben nach angelsächsischer Art, nur die Abstammung in der einzigen Vaterlinie beachtenden, bewußt oder auch nur unbewußt angenommenen Betrachtensweise erblickt man in Sir Winston nur, oder vor allem, den Sproß des Herzogshauses der Marliborouigh, aus dem bereits der erste Träger des Titels als Feldherr und als politischer Führer in die Geschichte .seiner Heimat und in die Europas eingegangen ist. Nun ist an dieser Ansicht manches richtig, das meiste aber bedarf einer Ergänzung und einer Korrektur.

Zunächst war der Unvergeßliche überhaupt kein Agnat der Familie Churchill. Er gehörte vielmehr den erst um ein Viertel] ahrtauisend später als die Churchill nachweisbaren Spencer aus der Grafschalt Warwick an, die allerdings mit anderen, älteren Linien dieses sehr verzweigten Geschlechts in einem nicht einwandfrei festzustellendem Zusammenhang stehen. Der volle, richtige Name Old Winnies lautete denn auch: Sir (seitdem er den Hosenbandorden bekommen hatte) Winston Leonard Spencer-Churchill, dem er. als Sahn eines jüngeren Herzogsohns das Prädikat „the honourable“ und darnach, als Mitglied des königlichen Geheimen Rats, „the rigfat honourable“ voransetzen konnte. Dieser Urforite war halb Amerikaner. Sein Vater, Lord Randolph Henry, dritter Sohn des 7. Herzogs von Marlborough, hatte die ebenso schöne wie kapriziöse Jennie Jerome aus New York geheiratet. (Winstons Mutter hatte sich, nach dem frühen Tod ihres Gatten — der sechsundvierzigjährig starb, er war Staatssekretär für Indien und Finanzminister gewesen —, noch zweimal vermählt, zuletzt, über sechzig] ährig, nach Scheidung ihrer zweiten Ehe.) Viel von seinem Temperament, von seiner einstigen Quicklebendigkeit, seiner Originalität hat der spätere britische Premier von seiner Mutter und von deren Vorfahren geerbt. Sie war die Tochter eines reichen Zeitungseigen-tümers, Leonard Jerome — von diesem Großvater hatte Churchill den ■weiten Vornamen —, aus einer ursprünglich franizösischsprachdgen Familie. Die Ahnen Jeromes und seiner Gattin haben zum Teil in der amerikanischen Geschichte eine Rolle gespielt, zum Teil waren es einfache Leute. Ihre Namen sagen aber dem Durchschnittseuropäer nichts. Das sej och hervorgehaben, daß sich unter ihneneine Indianerin befindet, das Kind eines berühmten Häuptlings.

Weit mehr als Winstons mütterliche Aszendenz, deren Gesamtwirkung in seiner Erbmasse wir schon unterstrichen haben, besagen den Briten und den gebildeten Kon-tinentäleuropäem die Vorfahren Lord Randolphs. Anfänglich sieht es da sehr vornehm aus. Im Mannesstamm gelangen wir vom 7. zum 6., zum 5., zum 4. und zum 3. Herzog von Marlborough aus der Familie Spencer, die den in den Vordergrund tretenden zweiten Familiennamen infolge der Ehe der Mutter des 3. Herzogs. Anne, der zweiten Tochter des ersten Herzogs von Mariborough, aus dem Hause Churchill, ererbt hatte. Ihr Gatte, der dritte Earl von Sunderland, Charles, besaß wohl Earlsfamilien in den ihm vorangehenden drei Ahnengenerationen von Vater- und Mutterseite, doch vor dem Eintritt ins Oberhaus, 1603 als Baron, waren die Spencer nicht mehr als wohlhabender Landadel.

Die echten Churchill sind nur ein Jahrhundert darnach Peers geworden, Baron, Earl, Marquess und Duke (1702), alles in der Person Johns, des ersten Herzogs von Maii-borough, Freundes und Kampfgefährten Prinz Eugens von Savoyen gegen die Marschälle Ludwigs XIV. Doch die Churchill hatten schon seit langem höheres Ansehen, vornehmere Allianzen, schon zu Ende des Mittelalters mit Verwandten des Königshauses. John Churchill, der Großvater des ersten Herzogs von Mariborough, nahm zur Gattin Sarah, die Tochter des reichen Sir Henry Winston, dessen Familienname einem seiner Söhne als Vorname gegeben wurde. (der, wie so macher andere aus früheren Generationen, bei den späteren Spencer-Churchill immer wiederkehrt).

Folgen wir auf der Ahnentafel der Linie nahe bei den Herzogen von Mariborough, dann bewegen wir uns allerdings in der alten Aristokratie. Es erscheinen die Herzoge von Bed-ford aus dem Geschlecht der Russell — Sir Winston ist übrigens mit dem berühmten kommu nist enfr eund -liehen Philosophen und Mathematiker Bertrand Russell, dem dritten Earl desselben Namens, durch Lady Caroline, Tochter des 4. Herzogs von Bedford und Gattin des 4. Herzogs von Mariborough, die Urgroßmutter seines Großvaters, des 7. Herzogs von Mariborough, relativ nahe verwandt. Man mag auch daraus für das Vorhandensein gemeinsamer Höchstbegabung Schlüsse ziehen. Es treten ferner hervor die Earls von Antrim, von Caimden — der gefeierte Jurist und Parlamentarier Charles Pratt, erster Earl von Camden war einer der Urgroßvater der väterlichen Großmutter Churchills — und — zweimal, bereits in der fünften Ahnengeneration (der 16 Ahnen) — die Earls von Galloway, aus dem schottischen Königsgeschlecht der Stewart-Stuart und durch diese Nachkomme aller führenden Geschlechter schottischer Feudalherren. Die Wichtigkeit des siebenten Earls von Galloway als Vorfahre Sir Winstons ist um so stärker, als er und seine Gattin Anne Dashwood die frühesten Aszendenten des großen Staatsmanns sind, denen wir, auf dessen Ahnentafel rückschreitend, mehrfach begegnen. Dieser Earl nun und sein Sohn, ein gefeierter Seeheld, Admiral der Blauen Flotte, der allerdings nur einmal anzutreffen ist, hatten beide den Ruf, ungewöhnlich widerstandsfähige Freunde eines guten und reichlichen Trunks wie einer ausgiebigen und gepflegten Küche zu sein; was bei britischen Peers jener Epoche pantagruelischer Eß- und Trinkfreudigkeit nicht wenig heißen will. Auch da dämmert uns ein wichtiger Erbeinfluß auf den in Speise und Trank quantitativ und qualitativ außerordentlich wählerischen Sir Winston entgegen.

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