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Corona und der Blick zurück, Teil 2: Die Seuchen und die Globalisierung

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Durch die bereits im Mittelalter einsetzende globale Vernetzung wurden über die Jahrhunderte hinweg nicht nur Waren und Ideen ausgetauscht, sondern auch Krankheitserreger. Das beeinflusste möglicherweise den Gang der Geschichte. Zweiter Teil einer dreiteiligen Reihe.

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Durch die bereits im Mittelalter einsetzende globale Vernetzung wurden über die Jahrhunderte hinweg nicht nur Waren und Ideen ausgetauscht, sondern auch Krankheitserreger. Das beeinflusste möglicherweise den Gang der Geschichte. Zweiter Teil einer dreiteiligen Reihe.

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Am 25. Januar 1522 kreuzte der spanische Dreimaster „Victoria“ vor der Insel Timor auf. Es war nicht das erste Mal, dass Europäer die südostasiatische Insel besuchten. Portugiesische Schiffe fuhren Timor schon seit ein paar Jahren an, um Sandelholz einzukaufen, das wegen seines Aromas über Asien hinaus als Räucherholz begehrt war. Im Verkehr mit den Einheimischen begnügten sich die Portugiesen aber anscheinend nicht mit dem kommerziellen Austausch von Waren. Denn einer der Passagiere der „Victoria“, der italienische Ritter Antonio Pigafetta, vermerkte in seinem Tagebuch: „Auf allen Inseln dieser Region grassiert das Leiden des Heiligen Hiob und auf Timor mehr als anderswo. Man nennt es hierzulande portugiesische Krankheit.“

Als „Leiden des Heiligen Hiob“ galt zu Pigafettas Zeit die Syphilis, eine Geschlechtskrankheit, die 1493 zuerst in Barcelona, bald darauf massenhaft in Italien aufgetreten war und von der man annimmt, dass Rückkehrer der Kolumbus-Expedition sie nach Europa eingeschleppt hatten. Pigafettas Bericht belegt, dass die Syphilis eine Generation später den weiten Weg bis an den östlichsten Rand der damals bekannten Welt zurückgelegt hatte, und zwar an Bord portugiesischer Schiffe. Die Portugiesen leisteten damit einen Beitrag zu dem, was der Historiker Emmanuel Le Roy Ladurie „l’unification microbienne du monde“ genannt hat: die Vereinigung der Welt durch Mikroben im Zeitalter der Globalisierung.

Der „Kolumbianische Austausch“

Kolumbus’ Seeleute wiederum brachten nicht nur das Bakterium Treponema pallidum, den Erreger der Syphilis, nach Europa. Bereits auf der Hinreise hatten sie einen Cocktail ansteckender Keime mitgeführt, die in der Alten Welt seit Langem endemisch, auf dem isolierten Kontinent jenseits des Atlantiks aber unbekannt waren. Für dessen Einwohner sollte der „Kolumbianische Austausch“ fatale Folgen haben. Ihre Immunsysteme hatten den Pocken, Masern, der Grippe und anderen Krankheiten, die mit jeder Schiffsbesatzung aus Europa ins Land kamen, nichts entgegenzusetzen. „Die Indianer sterben so leicht, dass allein der Anblick oder der Geruch eines Spaniers sie dazu bringen, ihren Geist aufzugeben“, notierte ein Augenzeuge. So hatten Epidemien wesentlichen Anteil daran, dass die Bevölkerung Amerikas binnen hundert Jahren auf weniger als ein Zehntel dahinschwand. Die Keime waren die mächtigsten Verbündeten der Eroberer.

Im Massensterben der amerikanischen Ureinwohner nach 1492 manifestiert sich das tödliche Zusammenspiel von Epidemien und Globalisierung: Verkehr und Handel förderten nicht nur die Ausbreitung von Krankheiten, diese beeinflussten auch den Gang der Geschichte.

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