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Das Ende des kirchlichen Mittelalters

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Pius XL, sein Pontifikat, bedeutet eine kirchengeschiditlidie Wende: es ist das Auflassen weltlicher Vorwerke der Kirche, die Trennung der Kirche von überkommenem, aber unwesentlichem Zubehör.

Damit begann schon Leo XIII. Er liquidierte das „feudale“ Denken in der Kirche; er löste das uralte Verhältnis von „Thron und Altar“; er anerkannte — im Kampf gegen die französischen Royalisten — die Grundursache der Französischen Revolution: da*5 Ende des Mittelalters!

Diesen Prozeß schloß Pius XI. Er übertrug den leoninischen Gedanken der Trennung von „Thron und Altar“ auch aufs weltliche Königtum des Papsttums selbst. Er liquidierte den „Kirchenstaat“, das geistlich-weltliche Papstkönigtum der mittelalterlichen Kirche. Analog dazu strich er das „Papstkönigtum“ auch im letzten Dorf. Er rief dje Priester aus der Politik; er verwies sie auf das geistliche Königtum Christi in der Christ-Königs-Enzyklika; er entriß sie der Partei- und Staatspolitik und stellte sie an die Spitze der Katholischen Aktion. Er gründete diese kirchlich geführte, unpolitische Laienbewegung als eine Hilfsr kaplanci ins Neuheidentum und krönte mit dieser „allgemeinen Priesterschaft“ in der Katholischen Aktion — worauf P. Georg Bichlmair S. J. aufmerksam machte — die im Tridentinum angefangene wahre „Reformation“ der Kirche mit der Aufgabe der Seelsorge, der Gesinnungsreform.

Die Zuständereform, Staatskunst und Kultursorge sollte aber damit den Christen in der Welt keineswegs untersagt und den „Söhnen der Magd“ ausgeliefert sein. Das Werk des elften Pius ist alles eher als ein Rückruf der Christenheit in Sakristei und Katakombe. Nur der Klerus sollte sich der Seelsorge wegen aus dem „weltlichen Geschäft“ heraushalten, nicht aber der „Laie“, der auf Politik und Kultur verpflichtete Christ! Er hat im „weltlichen Geschäft“ Posten zu stehen. Hier wäre Weltflucht — Fahnenflucht! Das wird besonders seit Rerum novarum deutlich. Entschieden ruft die Kirche gerade den „Laien“, den christlichen Weltstand, zur Erfüllung der Staats- und Kultursachgebiete mit christlichem Geist!

Damit trat gewiß nichts Neues in das kirchliche Bewußtsein. Immer hielt die Kirche den „Laien“ zur Berufspflicht an, wie sie ihn auch immer als „Ebenbild Gottes“ betrachtete.

Trotzdem wird aber heute der „Laie“ in der Kirche neu erlebt. Er wird nicht mehr als „Kind“ erlebt; er wird als „Mann“ erlebt. Und er wird nicht nur auf der Grundlage des „allgemeinen Priestertums“ als

„Mitpriester“ in der Katholischen Aktion, sondern auch auf der Grundlage der „Mensdienrechte“ als „König“, als Vollbürger im Staat, erlebt, und er wird in diesem geistlichen und weltlichen Vollalter auch gewürdigt und eingesetzt für das „Omnia instaurare in Christo“, für die „Alleserneuerung aus Christus“ im Sinne des großen Pius X.

Was wir erleben: das ist eine Rangerhöhung des „Laien“ in der Kirche, geistlich und weltlich. Geistlich ist es die fortschreitende Ausgestaltung seines „allgemeinen Priestertums“ zu den Stufen des Altars. Weltlich erfüllt sich analog dazu, allerdings auf Grund der historisch-soziologischen Umwälzungen seit 1789, ein ebenso bedeutsames Wunsdibild des „Laien“ in der Kirche. Der in den Revohj-tionsstürmen mündig gewordene „Bürger“, der „dritte Stand“, woraus unser Kirchenvolk schichtenmäßig seit über hundert Jahren sich ergänzt, will, wie es einst seine Könige waren, nunmehr auch Bürge und Schwert der Kirche sein! Und die Kirche, und das ist das Großartige in der Kirchenentwicklung von Leo XIII. bis

Pius XL, ermuntert auch den neuen, aus dem Kampfe gegen das ancien regime her-i, vorgegangenen industriellen und demokratischen Gesellschafts- und Führertypus zu dieser Bürgschaft!

Wir wagen daher die kühnen Behauptungen: Mit dem Ende der feudalen Aristokratie, dem Untergang ihrer Herrschaftsordnung in der Französischen Revolution mit dem damit verbundenen Verlust des politischen Standescharakters des Klerus als eines „ersten Standes“ im Feudalsystem, mit der Abberufung des Klerus aus der Politik der Folgezelt, ihren Parteien- und Klassenkämpfen, durch Pius XL, ferner mit dem Fallenlassen des Kirchenstaates und kirchen-und staatsrechtlicher Gewaltenmischung in der Schaffung der „Citta del Vaticano“ 1929, worin nur mehr ein Tropfen Staatlichkeit vorhanden ist, gerade soviel, um den Thron des heiligen Perus exterritorial herauszustellen; und schließlich mit dem 1922 erfolgten Tode des letzten Erben der römischen Kaiser, nämlich Karls v«n Österreich, als eines solchen im Kanon der Messe in Österreich bis 1918 noch gedacht wurde — mit all diesen weltgeschichtlichen Ereignissen ist das kirchliche Mittelalter endgültig zu Ende gegangen.

Gleichzeitig ist aber im Bewußtsein der Kirche der weltliche Stand, der christliche Weltstand, der „Laie“, nach seiner weltlichen Verfassung hin, als neue sozio-logis-che Figur und Phase in der Kirchengeschichte der Gegenwart transparent geworden. Neben das „geistliche Königtum“ des Klerus tritt das „weltliche Königtum“ des „Laien“ — durch sein „allgemeines Priestert-um“ in der Kirche^wohl vorbereitet und gesalbt — als ein außerhalb der Kirche selbständig wirkendes Amt des Christen in der Welt!

Widitig aber für dieses Weltamt ist es, und hierin offenbart sich seine Hoheit und Würde, daß auch in ihm, freilich in arteigener, „standesgemäßer“ Weise, Christus repräsentiert, vergegenwärtigt sein will. Der „Laie“ erscheint nämlich in der Summe seiner profanen Fakultäten und Positionen als ein Statthalter des Christus in den Berufen und Aufgaben und Dingen dieser Welt! Was in den mittelalterlichen Krönungstexten zum Ausdruck kommt, daß der gesalbte Fürst — wie Papst Johann VIII. in Ravenna von Karl dem Kahlen sagt“ — ein gottgesetzter „Salvator mundi“ sei, ein „Retter der Welt“ vor Sozial- und Kulturverfall, genau dasselbe gilt, und die ,poli-tisdien Freiheiten brachten es zum vollen Bewußtsein, für jeden Christen in jedem Arbeitskreis.

Das ist das seigneunale Weltamt des „Laien“, die Aufgabe der Kultur, die Kultursorge: die Überwindung der Erbsündenfolgen und die Verjüngung aller Dinge. Grundsätzlich ist gewiß diese Arbeit — Schularbeit, notwendig eine Improvisation, doch ebenso notwendig ein Index letzter Wirklichkeit.

Nicht Verzicht also auf Welt, sondern Aufgabenteilung in der Welt lehrt die Kirche der Gegenwart. Hierin aber bezieht der „Laie“, aufgerufen von der Kirche, eine neue, eine wahrhaft priesterliche und königliche Stellung und Sendung.

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