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Das Heil in der Zeil

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Bernhard von Clairvaux gehört einem Typ von Heiligen an, die heute unsere besondere Teilnahme anrufen: Heilige in der Zeit.

Stehen aber nicht alle großen Heiligen in ihrer Zeit und sind Antworten auf ihre tiefsten Nöte? Dennoch lassen sich zumindest zwei Typen unter dem Gesichtspunkt dieser kurzen Betrachtung auseinanderhalten: Heilige über der Zeit, die in der Abgeschlossenheit ihres Klosters, in der Geschlossenheit auch einer äußerlich in der „Welt“ stehenden Existenz, in Gebet und Opfer um die Erlösung ihrer schwer geprüften Brüder und Schwestern in der Welt ringen. Ein anderer Typus von Heiligen, dem Bernhard, Franz ' von Assisi, Ignatius von. Loyola angehören, drei Heilige, die viele verwandte Züge besitzen, strebt primär' etwas anderes an: Rettung in der Zeit, Rettung der Zeitgenossen mitten durch die Zeit hindurch, die als „Lage“ (das alte deutsche Wort bedeutet tödliche Versuchung und Hinterhalt), Fährnis, Chance und, im evangelischen Sinne, als Kairos erfahren wird: Geschichtsstunde also, voll von Möglichkeiten, die Heil und Unheil in sich bergen. Diese Heiligen setzen sich, in vollem Bewußtsein ihrer persönlichen Gefährdung, den Kämpfen der Zeit aus.

“Wenige haben die Dialektik der Zeit, das Weben von Heil und Unheil in ihr, so tief, schmerzlich und fruchtbar erfahren wie Bernhard von Clairvaux. Er scheute nicht davor zurück, die Wege seiner Zeit zu gehen

und unter , diesen auch jene Wege, die bisher für einen Christen als Christen und zumal einen Mönch als ungangbar erachtet wurden, und dieser unser Heiliger errang zum andern einen Einstieg in die innerste Dimension des Christseins, die ihn zum Apostel des „Herzens“, der „inneren Frömmigkeit“, zum „Freund Gottes“ machte, der in vertrautem Umgang mit dem Bräutigam Christus das „innere Reich“ der gottunmittelbaren Seele baut.

Wir.haben deshalb.Bernhard hier kurz zu betrachten als Erzieher des europäischen Adels, als christlichen Humanisten, als Reformer der Kirche, als europäischen Politiker, als Mystiker.

Bernhard von Clairvaux erkannte.in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, daß die kirchlich,, politisch und gesellschaftlich . führende Schicht Europas der alteuropäische Adel, trotz zahlreicher Bemühungen und- obwohl dieser Adel die wichtigsten Positionen in Reich und Kirche besaß, in seinem innersten Kern noch recht wenig berührt war von christlichen Urelementen. Benediktiner und zumal. Cluniazenser hatten eine beträchtliche Vorarbeit geleistet. Wieviel aber noch zu tun war, ersah der junge burgundische Adelige Bernhard tagtäglich an den Fehden und der oft mehr als ungeschlachten Lebensweise des westeuropäischen Adels. Mit zwölf jungen Adeligen gründet er im Rahmen des jungen Zisterzienserordens Clairvaux als eine Zelle

zur inneren Zucht, zur geistlichen Disziplinierung dieses Adels im Dienste des Gottkönigs Christus. Sein Ziel: Europa mit immer mehr Zellen dieser christlichen Substanzbildung des Adels zu besiedeln. Auf seinen Reisen und Predigtfahrten durch ■ Europa wirbt er für diese seine neue Adelsschule. Bezaubernd und ergreifend sind, oft seine Briefe, in denen er hochadeligen Vätern, Männern der „alten Welt“, die Erlaubnis zum Eintritt ihrer Söhne ins Kloster, in seine Klöster, abringt. Hier sah Bernhard sehr bald: das Bergen einiger Dutzend hochstehender junger Adeliger in seine Klosterburgen konnte auf die Dauer nur Erfolg haben, wenn es gelang, ihre Sippen in der Welt mit zu gewinnen. Um deren Leben, das Kampf und Streit war, ins Christliche zu bergen, scheute er schließlich nicht vor dem kühnen Schritt zurück (dessen Kühnheit wir heute ob seines weltgeschichtlichen Erfolges nicht mehr erkennen), Mönch und Ritter zu vereinen im Ritterorden der Templer, dem er eine einzigartige Lebenslehre verfaßt. Bis dahin gab es nur im Islam geistliche Ritterorden, die Gebet, Askese, Buße und „Heiligen Krieg“, „Kampf wider die Ungläubigen“ vereinten.

Bernhard war sich des hohen Wagnisses und der tiefen Problematik dieses seines Ja

zum Mönehs-Ritter durchaus bewußt. Er wagte es aber, weil er in ihm eine einzigartige Chance sah: den europäischen Adel zum christlichen Ritter zu erziehen. Aus ewiger innerer Fehde soll nun Kampf für Gott und sein Reich, aus Geschlechter- und Geschlechts- kämpf soll Ordenszucht und Mariendienst, aus fetischistisch-magischem Brauchtum soll höfische Sitte werden. Die Liturgie der Kirche und der Ehrenkodex des christlichen Edelmannes erziehen tatsächlich einen Weltstand der archaischen Gesellschaft zu einem Stand der einen Christenheit.

Bernhard wußte dabei sehr wohl, daß er diesem Adel, den er in seinen Klöstern vereinigte, geistlich und geistig etwas bieten mußte; wir machen uns heute von der intellektuellen Neugier des „Mittelalters“, von den vielen pantheistischen, gnostischen, atheistischen Strömungen, zumal im „Westen“, also in Spanien, Frankreich, Italien, oft nur blasse Vorstellungen. Die Katholizität war auch damals nicht nur von der Masse und Materie her gefährdet, sondern im allerhöchsten Maße vom Geiste her. Bernhard formte nun für seine geistlichen Ritter mit hoher formaler Begabung (in ihm steckt ein Dichter und ein Literat ersten Ranges) aus antii kischen, stoischen und ciceronianischen Ele

menten seinen Zisterzienser-Humanismus als eine Kultur der adeligen Seele, die sich vielleicht mit folgenden Schlagworten andeuten läßt: ein sauberer Geist und eine saubere Seele gehören zusammen, beide empfangen ihre Schönheit und reine Form vom Schöpfergott; der „gerade“, zu Gott aufgerichtete Mensch, der „große Mensch“ ist zur Freundschaft mit Gott und zum rechten, Gebrauch aller geschaffenen Dinge berufen. „Freundschaft“ — von nun an werden die christlichen Humanisten nicht aufhören, das Hohelied der Freundschaft auch unter den Menschen, den Gleichgesinnten, Hochgestimmten, den Brüdern, zu singen, so wie es der Ordensgenosse Bernhards, Aelred von Rievaux, singt.

Ist Bernhard nun ein Schwärmer (wie ihn 80 viele später mißdeuten), weil er so viel

und innig von hohen Dingen, von der Liebe Gottes und der Menschen zu singen und zu sagen weiß? Keineswegs. Dieser Heilige in der Zeit hat es sich nicht leicht gemacht: er hat das Unheil und das Unheilige in ihr ersehen, hat es beim richtigen Namen genannt und hat seine Beseitigung verlangt: ernst, kategorisch fordernd — zuerst vom Papst und den Bischöfen, von den Führern der. Kirche. Er hält Papst Eugen III., seinem Schüler, einen Spiegel vor, in dem die Kurie dem europäischen Bewußtsein des 12. Jahrhunderts in Farben erscheint, die mehr als einmal an Luther erinnern. Bernhard geißelt mit dem Freimut des katholischen Heiligen die Korruption, den Neid, Aemterschacher und Luxus, die Geldgier und Ehrsucht kurialer Prälaten, er fordert den Papst auf, sich seines Amtsschmuckes und seiner Pfauenfedern zu entkleiden und sich als nackter Adam zu betrachten. Unser Heiliger erkennt, daß mehr als Reichtum und Ehre die unkontrollierte Macht die Kirche verdirbt. Es fehlt, so führt er aus, an der notwendigen Selbstkritik und Selbstkontrolle in allen Aemtern und hierarchischen Rängen der Kirche, und deshalb droht ihr eine furchtbare Züchtigung durch ihre äußeren und inneren Feinde: Islam und Ketzer. Um hier selbst eine Anleitung zur Selbstkontrolle der Machthaber zu geben, verfaßt Bernhard seinen „Bischofsspiegel“, in dem er nüchtern, genau und konkret die Laster, Versuchungen, Aufgaben und Pflichten der Prälaten darstellt, an handfesten Beispielen erörtert und praktische Vorschläge zur Abhilfe unterbreitet. Bernhard von Clairvaux ist in seinen Predigten, Mahnungen, Forderungen und Zielen einer der größten Reformatoren der Kirche und des Abendlandes.

Vom Verfall in der Kirche fällt sein Blick, notgedrungen, immer wieder auf die „Fälle“ der Welt. Nicht aus Ehrgeiz, sondern um sein größtes Anliegen, die Erneuerung der ganzen Christenheit in Christus, zu fördern, wird Bernhard zum europäischen Politiker, zu einem der ersten Politiker europäischen Formats und europäischer Sichtweite. Von Krakau (das ihn als Reformator erbittet) bis Sizilien sieht sein waches, sorgendes Auge Europa zusammen, will es zusammenführen durch seine Erziehung des europäischen Adels, durch seine Predigten an die Massen, durch einigende große Aktionen. In ihrem Rahmen bemüht er sich um eine deutsch-französische Allianz, die sich im dritten Kreuzzug 1147/48 realisieren soll. Unermüdlich bemüht, Päpste und Kaiser zu einem Ausgleich ihrer vielfach ineinander verwickelten Interessen zu bewegen, steht er auf dem äußeren Höhepunkt seines Lebens, „Europas ungekrönter Papst und Kaiser“, wie ihn Feinde und Freunde nennen, als er am 27. Dezember 1146 im Dom zu Speyer Konrad III. und mit ihm den deutschen Adel für seinen Kreuzzug zu gewinnen vermag.

Der Kreuzzug scheitert kläglich. Die Schuld an seinem Zusammenbruch wird von vielen Bernhard, seinem Initiator, zugemessen. Bernhard selbst ist tief erschüttert; und erkennt in diesem Debakel die Stimme Gottes in seine Zeit, die sich gewandelt hat, die in einem

tiefgreifenden Umbruch aller Verhältnisse begriffen ist. Bernhard überschaut sein Leben: er hat sich ganz hingegeben in seine Zeit, ist alle ihre Wege gegangen, um in ihr Menschen, Orden, Kirchen, Klöster, Königreiche, Päpste, Arme, Bettler, Grafen heimzuholen zu seinem König Christus. Er hat sich ganz ausgegossen; tagsüber reisend, predigend, abends beratend mit Aebten, Fürsten, Großen in Kirche und Welt, nachts seinen Sekretären diktierend: Briefe, Sendschreiben in ,ganz Europa hinein. Bernhard ist so auch zum ersten Publizisten Europas geworden. Er hat seine Zeitgenossen bei ihren Schwächen und ihren Tugenden gepackt, hat sie ergriffen bei ihrer Ehrsucht und ihrem Geltungsstreben. Bernhard wußte seine Zeitgenossen, die Menschen, zu „nehmen“. Nun hält er, nach dem Scheitern seines

Kreuzzuges, nach dem Mißerfolg auch seiner Missionspredigten im südfranzösischen Ketzerland inne; verhält in Selbstprüfung, Selbstkritik. Kein Heiliger in der Zeit ist zum Heiligen geworden, ehe er nicht durch dieses innere Fegefeuer ging, durch eine Hölle auch von Zweifeln, Anfechtungen, Versuchungen.

Und nun weiß Bernhard, der so viele Menschen zu „nehmen“ verstand, daß jetzt Gott ihn selbst „nehmen“ will; ganz und ohne Rückhalte. Damit wird ihm zugleich die Erkenntnis zuteil, die von nun an für das ganze Abendland gilt: Gott will nicht mehr äußere Kreuzzüge, sondern innere Kreuzzüge. Der Mensch ist das Schlachtfeld — wie später Spaniens Mystiker erkennen —, in ihm und um ihn sind die großen Kämpfe der Zukunft

auszufechten.' Die ungeheure innere Dimension des Menschen wird, jetzt zum erstenmal sichtbar: nach Homer und vor Dante weiß Bernhard, daß die Irrfahrten des Odysseus, die Taten des Herakles, die Höllen- und Himmelsfahrten Vergils und Dantes zunächst in der eigenen Brust spielen. In seinen Predigten über das Hohelied schildert Bernhard die „Erfahrung“ Gottes — die Vereinigung des göttlichen „Herzens“ mit dem der Menschen. Das Ich begegnet dem göttlichen Du, der Mensch wird Person durch seine „Beziehung“ . zum persönlichen Gott. Christus erscheint nicht mehr als Heerkönig, als „Herzog“ an der Spitze der Kreuzfahrerheere, sondern als Freund und Geliebter der bräutlich offenen Seele.

Bis zu seinen letzten Lebenstagen arbeitet Bernhard an diesen Predigten; er weiß, daß er hier sein Letztes, sein Bestes zu geben hat: die süße Frucht seiner Erfahrungen, seines ganzen Lebens. Denn dies ist uns heute offen sichtbar: Bernhard hätte nicht so tief nach Innen gehen können und zum Führer eines verinnerlichten Menschentums werden können, wäre er nicht zuvor so weit und so viele Wege nach außen gegangen. Seine Erfahrung der Zeit hat ihm deren Nöte eingebracht, und diese hat er transzendiert und offen gemacht für ihre spirituale Bewältigung.

„Innen“ und „Außen“ greifen dabei freilich nicht ineinander wie die Glieder einer Stahlkette. Der Politiker, „Weltmann“, Organisator Bernhard und der Asket, Mystiker, Mönch Bernhard gehen nicht nahtlos ineinander auf. Wer solches sagt, verharmlost Gott, verharmlost auch den Menschen. In der großen, furchtbaren und so fruchtreichen, schmerzlichen und gefährlichen Spanne und Spannung zwischen dem „Aktivisten“ und dem „Kontemplativen“, dem Manne in der Zeit und dem Manne über der Zeit, steht das Kreuz; wächst in seinem Geheimnis der Mann der Geschichte zum Heiligen der Kirche, des Gottesreiches, empor. Ein Heiliger ist mehr als sein geschichtliches Leben, als seine Taten und Gedanken. Ein Heiliger ist das,.was Gott aus einem Menschen macht: für seine Gemeinde, für sein Reich. Auch deshalb tut es den Nachfahren- not, im Gedenken und im Gebet innig mit dem Heiligen zu kommunizieren; auf daß sich dessen Potenz uns erschließe und unserer Zeit ihre Segenskräfte mittle.

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