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Das makedonische Schisma

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Als» vor wenigen Wochen der serbische Patriarch German in Begleitung mehrerer Epi- skopen und unter der Kuratel zweier führender Funktionäre der orthodoxen Priestergewerkschaft Jugoslawiens seine östliche Pilgerreise antrat und den Weg über Skoplje-llesküb, die Hauptstadt der Föderativrepublik Makedonien, nahm, leistete sich der kürzlich gewählte Archiepiskop von Ochrida und Metropolit von Makedonien, Dositej, durch eine sehr hintergründige Ergebenheits- und Grußbotschaft aus dem „Zentrum der makedonischen Kirche" eine unerhörte Provokation, indem er Seine Heiligkeit devot einlud, auf dem Rückwege aus Jerusalem „Gast der makedonischen Kirche" zu sein. Während dem Oberhaupt der Kirche des heiligen Sava vom Patriarchen von Antiochien „und dem ganzen Osten“, vom Präsidenten der Libanesischen Republik, Chehab, dem Patriarchen von Jerusalem und dem Oekumenischen Patriarchen Athenagoras in Istanbul höchste Orden überreicht wurden, dürften diese ökumenischen Erfolge des Patriarchen German wohl kaum über die schwierige innerkirchliche Lage in Jugoslawien hinweggetäuscht haben, die durch den makedonischen Irredentismus gekennzeichnet ist, der die serbische Orthodoxie einer latenten Zerreißprobe aussetzt.

Ohne Zweifel: der in ein akutes Krisenstadium gerückte makedonische Kirchenkonflikt zeigt schlagartig brüchig gewordene Stellen im Organisationsrahmen der Kirche des heiligen Sava auf, über die sich selbst serbische Kirchenpolitiker Jahrzehnte hindurch, befangen in einer von national-emotionellen Wunschbildern getragenen Denkweise, leichtfertig hinwegsetzten. Die letzten Zusammenhänge der drohenden Auseinanderentwicklung — Anhänger des Einheitsgedankens der serbischen Orthodoxie sprechen bereits offen von einem makedonischen Schisma — sind zweifellos in der ungelösten Nationalitätenfrage zu suchen.

Träger der makedonischen Irredenta zwischen den beiden Weltkriegen waren die bulgarienfreundlichen „Makedonstwujuschtschi“, deren gefürchtete Terrororganisation, die VMRO (Vnutrena Makedonska Revolucionara Organizacija), Belgrad immer noch Kopfzerbrechen bereitet hatte.

Die drakonischen Maßnahmen nach dem Königsmord in Marseilles, bei dem auch die VMRO ihre Finger im Spiel hatte, brachten nur scheinbar eine Befriedung.

Nach dem deutschen Blitzkrieg 1941 auf dem Balkan wurde das jugoslawische Makedonien durch das „faschistische" Bulgarien okkupiert. Die Politik der Besatzungsmacht bis Ende 1944 war nach dem gerade auf dem Balkan historisch „bewährten" Muster nationaler Flurbereinigung — diesmal durch Vertreibung des großserbisch ausgerichteten Elements, namentlich auch der orthodoxen Hierarchie — gekennzeichnet. Bezeichnenderweise durften nach 1945 weder der vertriebene Metropolit von Skoplje, Josif Cvijovič, noch der ebenfalls vertriebene Episkop von Zletovo-Strumica, Vikentije Prodanov, der später zum Patriarchen gewählt wurde, in ihre Heimatdiözesen zurückkehren, obwohl Titos Nachkriegspolitik sehr entschieden auf dem Prinzip der Wiedergutmachung jenen Bevölkerungsgruppen gegenüber basierte, die durch die Achsenmächte gelitten hatten.

Die erstmals von Lenin vertretene Konzeption einer Balkanföderation kommunistischer Republiken, in die bereits auch Makedonien miteingeplant war, darf als Lieblingsidee Titos herausgestellt werden, der diesen Föderationsplan zusammen mit dem bulgarischen Kommunistenführer Dimitrov als eine Art Gleichgewichtsfaktor im innerkommunistischen Machtkampf mit Stalin in das Va-banque-Spiel einzusetzen gedachte. Auf dieser Konzeption scheint Tito auch weiterhin zu beharren, wenn auch seine Politik zeitweise, durch kominformistische Intrigen behindert, den Eindruck erwecken mag. daß die „großmakedonischen“ Ziele zurückgesteckt wurden.

Der. gegenwärtige makedonische Kirchenkonflikt steht ohne Zweifel in ursächlichem Zusammenhang mit dieser konzeptionellen Linienführung des Weltkommunismus, wenn auch in der praktischen Verwirklichung der makedonischen Idee Lenins zwischen den Ansichten Stalins, Dimitrovs und Titos taktische und im Machtpolitischen begründete Abweichungen bestanden und noch bestehen. Mit dem aus der KZ-Haft erst am 14. November 1946 wieder ins Land zurückgekehrten Patriarchen Gavrilo konnte über eine makedonische Kirchenautonomie allerdings noch nicht gesprochen werden. Sein Nachfolger Vikentije Prodanov stand bereits unter fühlbarem Druck des Regimes und vor allem auch der Priestergewerkschaft, die in ihrer Führung als innerkirchliches Instrument der KP aufgezogen wurde. Dennoch blieb die über den Sofioter Exarchen, dem während der Zeit der bulgarischen Okkupation, 1941 bis 1944, die makedonischen Diözesen angeschlossen waren, vom Moskauer Patriarchen Alexej vorgetragene Intervention zugunsten einer makedonischen kirchlichen Autonomie auch bei Vikentije ohne das gewünschte Ergebnis.

Diese Versteifung bei der Hierarchie führte sehr bald nach 1945 zur Gründung des von der Partei inspirierten „Initiativausschusses“ in Skoplje, mit Nestor Popovski an der Spitze, dem seither im zäh geführten Kampf gegen den Einheitsgedanken, wie er in der Kirchenorganisation des heiligen Sava noch verkörpert ist, eine entscheidende Rolle zukommt. Das Forderungsprogramm des Initiativausschusses lief von Anfang an

• auf die makedonische Kirchenautonomie,

• auf die Anerkennung des makedonischen Idioms als Kirchensprache,

• auf die Wahl volksgruppeneigener Bischöfe und

• auf die Erneuerung der Archiepiskopie von Ochrida hinaus, die vom heiligen Klement, einem Schüler des heiligen Methodius, begründet wurde, von 1018 bis 1767 bestand, die ganze Zeit über aber eine autokephale griechische Kirchenprovinz war.

Die Bischofskonferenz — beim „Arhijerejski Sabor“ liegen die vollen nationalkirchlichen Machtbefugnisse, daher ist die nach dem katholischen Sprachgebrauch gewählte Umschreibung „Bischofskonferenz“ nicht ganz treffend! — lehnte 1957 die vom Initiativausschuß vorgeschlagenen Bischofskandidaten, Nestor Popovski und Toma Dimoski, Spira Popovski und Vladimir Zafirov-Popovski, mit der Begründung ab, daß deren moralische und' persönliche Qualitäten weder den kanonischen noch den traditionellen Voraussetzungen für ein hohes Kirchenamt entsprächen. Daraufhin wurde eine kirchliche Volksversammlung (Narodni crkveni sabor) nach Ochrida einberufen, die vom 4. bis 6. Oktober 1958 tagte. Die 203 Delegierten, Priester und Laien, wählten den Bischofsvikar Dositej Stojkovič zum Archiepiskopen von Ochrida und Skoplje und zum Metropoliten von Makedonien, ein Titel übrigens, der kanonisch nicht gerechtfertigt ist. Gleichzeitig wurden der Rechtsanwalt aus Bitolj, Nikola Trajanovski

(Vladika prespansko-fcitoljski), und der Priester Toma Dimoski (Vladika zletovsko-strumički) zu Bischöfen gewählt.

Wenn auch die Wahl des Laien Trajanovski zum Bischof an urchristliche Gepflogenheit anknüpft, so zeigt diese Entwicklung einmal mehr, wie geschickt die KP an eine seit Jahrhunderten verschüttete Tradition anknüpft, wenn damit ihren Zielen gedient ist. Aber auch den neugewählten Episkopen Dimoski hatte die Bischofskonferenz noch 1957 entschieden als „unwürdig“ für dieses Amt abgelehnt, weil er von seiner Frau geschieden ist und mit der Schwägerin lebt, aber auch, weil er keine höhere theologische Ausbildung genoß.

Der Patriarch protestierte, indem er keine Grußbotschaft an die Versammlung sandte. Das war zweifellos zuwenig, um die verworrene Situation zu klären, wirft man ihm vielfach vor. Der einzige Episkop, der gegen das Schisma auch öffentlich Stellung nahm, war der Diözesanbischof von Banjaluka, Vasilije Kostič, der bereits 1953 schweren Verfolgungen ausgesetzt war und nun wieder eingekerkert wurde. Anderseits billigt Episkop Dionys, Bischof der orthodoxen Serben in den USA und Kanada, selbst dem schismatischen Metropoliten von Makedonien, Dositej, immer noch die besten Absichten zu und versucht, ihn zu rechtfertigen, indem er behauptet, Dositej habe sich in manchem dem Regime gefügt, um größeres Uebel zu verhüten. Ob die jüngste Brüskierung des Patriarchen German, der noch als letzte Klammer die Kirche des heiligen Sava und die autonome makedonische Kirche zusammenhält, auch nur ein gut gespieltes Schauspiel ist, darüber dürfte wohl die eben beendete Bischofskonferenz Klarheit gebracht haben, die sich bereits mit eingebrachten Vorschlägen zu befassen hatte, die als überholt bezeichnete Verfassung der „prawoslawen serbischen Kirche“ zu ändern.

Alle Maßnahmen des Regimes scheinen zu bestätigen, daß man von Belgrad die „serbische orthodoxe Patriarchie“ in eine „Patriarchie orthodoxer Kirchen in der Föderativrepublik Jugoslawien“ umzuwandeln beabsichtigt. Der im Exil in München lebende Theologieprofessor Dr. Djoko Slijepčevič meint; daß das makedonische Schisma, sollte sich die Bischofskonferenz nicht endlich klar distanzieren, zwangsläufig eine Kettenreaktion von Autonomiebestrebungen auslösen wird, etwa in Montenegro, in Kroatien, in Dalmatien, in Bosnien-Herzegowina und in der Wojwodina. Das wäre zweifellos das Ende jener kirchenpolitischen Entwicklung der serbischen Orthodoxie, die mit dem Nemanjiden Rastko-Sava einsetzte, ein halbes Jahrtausend Türkenherrschaft überdauerte, von den großen geistesgeschichtlichen Strömungen des Westens im wesentlichen unberührt blieb und daran scheiterte, daß die Kommunisten die in der ungelösten Nationalitätenfrage und in der sozialen Struktur begründeten Spannungen nach nüchtern-wissenschaftlicher Analyse rechtzeitig erkannten und für ihre Politik zu nutzen wußten.

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