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Das Sonnenfürstentum des Inkareiches

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Unter dem tiefen Eindruck, den das Inkareich auf die Spanier machte; als 'sie im 16. Jahrhundert mit dieser mächtigsten politischen Sdiöpfung des alten Amerika erstmalig in Verbindung traten, entstanden die idealisierenden, vom Geiste ihrer Zeit gefärbten Schilderungen dej spanisdien Chronisten, auf die mancherleiirrigeVorstellun-gen über die -sozialen Verhältnisse der alten Peruaner zurüdszu-führen sind. Besonders in Gesellschafts- und Staatsromanen haben diese falschen Auffassungen ihren Niederschlag gefunden. Das Inkareich als eine zentralistisch geleitete Monarchie zu bezeidinen, in der in bewußter Planung Ideale im Sinne eines Staatskommunismus konsequent zur Verwirklidiung gelangt seien, widerspricht vollkommen dem, was von der modernen völkerkundlichen Wissenschaft nach kritischer Prüfung der alten spanischen Geschichtsquellen und Berichte in nüchterner, vorurteilsloser Forschung an Erkenntnissen über diese Kultur erarbeitet wurde.

Wer waren nun dielnkas und welche Bewandtnis hat es mit ihrem „Kommunismus“? Wenden wir uns heute der ersten Frage zu.

Im 12. Jahrhundert begann eine zahlenmäßig schwache, doch von expansiven Triebkräften erfüllte indianische Adelsgruppe in der geographisch so wechselvollen Gebirgs-welt des zentralen Peru ihre kriegerische und staatsbildende Tätigkeit. Manco Kapac, eine sagenumwobene Persönlichkeit, begründete in dem klimatisch und landschaftlich günstig gearteten Tale von Cuzco einen winzigen Stadtstaat, den Ausgangspunkt für die zahlreichen Eroberungszüge seiner Nachfahren, die in grausamer und rücksichtloser Kriegführung in den wenigen Jahrhunderten bis zur Ankunft des Francisco Pizarro ein Reich von gewaltiger Ausdehnung geschaffen hatten, in dem die Volksstämme des Andenlandes von Ekuador bis Chile dem Herren von Cuzco untert,-gi wären. Diese Führerschicht also, die für den Andengroßraum eine so bedeutsame geschichtliche und politische Wirksamkeit entfaltete, waren die Inkas, aus deren Mitte jeweils der regierende Fürst, der Inka schlechthin, hervorging. Ihrer Sprache und den Grundlagen ihrer Kultur nach gehörten sie dem peruanischen Hochlandsvolke der Khechua an, das noch heute in beträchtlicher Volkszahl die Anden bewohnt. Im spanischchristlichen Gewände leben altes Brauchtum und einstige Glaubensvorstellungen weiter und das tägliche Leben verläuft vielfach in den Bahnen der Väter. Allenthalben stößt man in diesem Lande auf markante Zeugen einer großen Vergangenheit, mit denen die heutigen Indianer keine Verbindung mehr aufweisen.

Der Inkaregent wurde von den Spaniern als „König“, mitunter sogar als „Kaiser“ be-zeidinet, die Khechua-Sprache findet jedoch kein Wort für einen solchen Titel oder Rang. Nach Art der orientalischen und asiatischen Despoten war der Fürst von einer sakralen Sphäre umgeben, er galt als der menschgewordene, auf Erden weilende Sonnengott. Seine Machtfülle war — wenigstens nach außen, hin — unbeschränkt und verlieh ihm den Charakter eines autokratischen Herrschers, der, mit bestimmten Insignien seiner Würde ausgestattet, von vielen Tabus umgeben, in prunkvoller Hofhaltung in seinem Palaste zu Cuzco residierte. Ursprünglich aber war er nur der Exponent einer von Machtstreben und Geltungsdrang erfüllten Adelssippe, die sich, als Menschen höherer Art fühlend, einen Khechua-Stamm untenan gemacht hatte. Die Stellung und politische Wirksamkeit dieses einstigen Stammeshäuptlings wurde mit der Ausdehnung seines Herrschaftsbereiches im Laufe der Zeit naturgemäß immer mehr gesteigert.

Einem flüchtigen Beobachter mochte das peruanische Großreich als festgefügtes Staatsgebilde erscheinen, in Wirklichkeit aber kann hier von einer geschlossenen und organischen Einheit keine Rede sein. Die unterworfenen Volksstämme in ihrer kulturellen Vielfältigkeit fügten sich meist nur unter starkem Zwang in den StaatsVerband ein. Organisationstalent, Feldherrnkunst und politische Klugheit besaßen die Inkas im beträchtlichen Ausmaße, sie hatten jedodi nicht die Absicht und waren audi nicht dazu befähigt, ihre Untertanen mit kulturellen Werten nach einer staatspolitischen Idee weitgehend zu durchdringen und zu formen, obwohl Ansätze hiezu keineswegs fehlten. Diese Fürsten waren in erster Linie darauf bedacht, ihre Machtstellung und ihr Prestige zu festigen und das Staatsgebilde nach innen und außen zu sichern. Dazu bedienten sie sich einer drakonisch strengen Strafjustiz und eines gut ausgebildeten.Heeres, das in Garnisonen und Festungen — Glanzleistungen einer eigenartigen Architektur in Stein — an verschiedenen Punkten des Landes stationiert war. Ebenso dienten diesen Zwecken die einzigartig angelegten Straßen mit einer trefflich funktionierenden Nachrichtenübermittlung durch Stafettenläufer, die beispielsweise eine Strecke von 200 Kilometern in rund zwanzig Stunden durchmaßen.

Die kulturelle Wirksamkeit dieser Feudalherren dokumentierte sich im besonderen iitechnischer, organisatorischer und politischer Hinsidit. Durch ihre Initiative und Förderung wurden alte Stammesgewerbe und aus früheren Kulturepodien überlieferte Kulturcrrun-genschaften gehoben und mit einer eigenen Prägung versehen. Landeseinheitliche Maßnahmen zeigen sich in der Einführung des Khechua als Amtssprache und des Sonnenkultes als der offiziellen Staatsreligion, ebenso in eherechtlichen Bestimmungen und in Verordnungen über die Tracht. Ihr Eigenleben hingegen konnten die unterworfenen Stämme ziemlich ungestört weiterführen. Es zeugt dies weniger von einer toleranten, verständnisvollen Haltung der Inkas, als vielmehr von ihrem Unvermögen, die Stammeskultuten tiefgreifend und entscheidend zu ändern. * * *

Wie es kam, daß bei den' peruanischen Indianern eine Menschengruppe sich als Adel hinstellen konnte und einer bestimmten Mission zu dienen sich berufen fühlte, ist eines der interessantesten, doch sehr ungeklärten Probleme der amerikanischen Völker-forsdiung. Das Inkareich war natürlich keineswegs die einzige indianische Staatengründung auf südamerikanischem Boden. Im Bereiche der Anden bestanden zu verschiedenen Zeiten lange vor Ankunft der Europäer noch andere Fürstentümer, von denen aber keines jene Größenentwicklung erreicht hatte, wie der Staat der Inkas. Ihm ging auf dem Hochlande ein Reich voraus, eine auf rätselhafte Weise untergegangene Kultur, die schon in Trümmern lag, bevor noch die Inkas ihre Eroberungszüge antraten. Sie wird nach der berühmten Ruinenstätte \n der Gegend des Titicaca-Sees in Bolivia als „Tiahua-nako-Kultur“ bezeichnet. Ihre Träger waren die ernsten, versdilossenen Aimara des rauhen, eintönigen Hochlandes, die später dem Inkareich einverleibt wurden. Es deuten manche Anzeichen darauf hin, daß die Sonnenhäuptlinge von Cuzco mit der führenden Schicht von Tiahuanako in Verbindung standen. Ebenso nach Kolumbien und Panama weisen Beziehungnen, die besonders sinnfällig zutage treten. Dort, in dem von den Spaniern sehnsüchtig gesuchten Goldlande, dem „El Dorado“, ■ herrschten die Fürsten- und Häuptlingsgeschlechter der Chibcha-Völker, in deren Regenten ebenfalls der Sonnengott als Mensch auf die Erde gekommen waft Wie bei den Inkas, so wurden auch in dieser Hochkultur die Mumien oder Gebeine der verstorbenen Fürsten im Tempel mit Steinidolen zur kultischen Verehrung ausgestellt. Es bestand somit in den Bergen des nordwestlichen Südamerika bis nach Mittelamerika hinein ein altes Zentrum des Sonnenfürstentums, von dem einst Adelsgruppen über das Karibische Meer nach Nordamerika fuhren, um am unteren Mississippi bei dem Indianerstamm der Natchez einen „Sonnenstaat im kleinen“ zu begründen.

Die Selbstherrlichkeit des Inka erfuhr durch die einflußreichen Mitglieder der Adelssippe, besonders durch den Hohenpriester, dem obersten Diener des Sonnenkultes, eine nicht unwesentliche Einschränkung, die den Untertanen gegenüber kaum in Erscheinung trat. Kraft seiner gehobenen politischen Stellung stand er dem Fürsten fast ebenbürtig gegenüber. In eigenartiger Fassung scheint hierin die altamerikanische Einrichtung des Doppelhäuptlingstums vorzuliegen, die auch in den mexikanischen Herrschaftskulturen der Azteken und Maya sowie besonders deutlich im Kriegs- und Friedenshäuptling bei den seßhaften Indianerstämmen des südöstlichen Nordamerika Geltung hatte.

Die letzte Erklärung für das indianische Gottesfürstentum erschließt sich uns allerdings erst dann, wenn wir den Blick von Amerika über den Stillen Ozean nach dem fernen Asien hinwenden. Der sakrale Häuptlingskomplex kann kaum auf amerikanischem Boden gewadisen sein, um so weniger, wo so zahlreiche auffallende und charakteristische Übereinstimmungen die altamerikanischen Herrschaftskulturen mit den Zentren alter Hochkultur und Zivilisation der anderen Welt, vor allem mit Ost-, Süd- und Westasien und dem Mittelmeerraum verbinden. War es durch politische Wirren und Zwistig-keiten, war es aus Abenteuerlust und Tatendrang oder in dem Glauben an eine kulturelle oder religiöse Mission, daß Angehörige, dieser gehobenen Volksschichten in die Ferne zogen und schließlich über die Weite des Pazifischen Ozeans und seiner Inselfluren hinüber nach Amerika schifften — wer weiß es? Noch manches hat die Wissenschaft der Völkerkunde zu leisten in der historischen Er-gründung bisher ungelöster Menschheitsrätsel, in der Aufhellung geheimnisvoller Vorgänge, die sich hinter den Kulissen der großen Weltgeschichte einst abgespielt haben.

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