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Das Sterben einer Weltmacht

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GERMANENTUM UND SPÄTANTIKE. Von Karl Friedrich Stroheker. Artemis-Verlag, Zürich und Stuttgart, 1965. 330 Seiten, mit 8 Abbildungen im Text, sFr. 35.—.

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GERMANENTUM UND SPÄTANTIKE. Von Karl Friedrich Stroheker. Artemis-Verlag, Zürich und Stuttgart, 1965. 330 Seiten, mit 8 Abbildungen im Text, sFr. 35.—.

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Die Rolle der Germanen im historischen Geschehen der Spätantike wurde früher meist überbewertet, in der heutigen Geschichtsbetrachtung herrscht eher eine entgegengesetzte Auffassung vor. Die einstige Vorstellung, daß die Germanen das

Römische Reich mit der „Erstürmung des Limes“ sozusagen im

Frontalangriff zerstört hätten, ist nach der Ansicht des Verfassers wohl endgültig überwunden. Die Begegnung der spätrömischen Welt mit den „Barbaren“ — den Randvölkern des Imperiums, neben Germanen auch Hunnen, Slawen, Iranier und andere — war ein langanhaltender Prozeß und keineswegs nur auf kriegerische Auseinandersetzungen beschränkt.

Die Aufsätze, die in vorliegendem Buche vereinigt sind, behandeln die Auseinandersetzung der Germanen mit der spätrömisch-byzantinischen Welt vom vierten bis zum siebenten Jahrhundert. Sie behandeln einige ausgewählte Ausschnitte, die dem Verfasser einer eingehenden Bearbeitung wert zu sein scheinen. Die bereits hinreichend bekannten Themen, wie das Ostgotenreich von Theoderich bis Teja in Italien oder die Vandalenherrschaft von Geise- rich bis Gelimer in Nordafrika, werden hier nicht behandelt. Dagegen werden Fragen aufgegriffen, die auf den ersten Blick mehr am Rande des diese Epoche bestimmenden Geschehens zu liegen scheinen, von denen sich der Verfasser aber eine weitere Klärung der heute zur Diskussion stehenden Probleme verspricht. Im Zentrum stehen dabei die Fragen nach der. geschichtlichen Einordnung der ostgermanischen Staaten am Mittelmeer sowie nach den Faktoren, die den Übergang von der Antike zum europäischen Mittelalter bestimmen.

Hierbei setzt sich der Verfasser mit der Geschichtsauffassung des genialen belgischen Historikers Henri Pirenne (Mahomet et Charle- man, 1937; deutsche Übersetzung Fischerbücherei, 1963; Geburt des Abendlandes, 1940) auseinander und würdigt auch die deutschen Althistoriker A. Gutschmid (Die Grenzen zwischen Altertum und Mittelalter, 1863) und Mommsen, die in ihren Untersuchungen zu dem Schluß kamen, daß trotz der germanischen Staatengründung die spätantike Welt rings um das Mittelmeer — in der sogenannten Romania — wirtschaftlich und kulturell noch immer- eine Einheit gebildet und in ihren wesentlichen Komponenten weitergelebt habe. Auch der englische Historiker Chr. Dawson (The Making of Europe, 1932) meint dazu: „Man sollte diese Epoche nicht als die Bildung römisch-germanischer Königreiche bezeichnen, sondern als die Zersplitterung des Römischen Reiches in Teilstaaten, als die Vollendung derjenigen staatlichen Entwicklung, deren Vorfrühling das gallische Kaisertum des Postumus und des Tetrious ist, und die dan-n in dem Auseinanderfallen der lateinischen und der griechischen Reichshälfte (Rom und Byzanz) sich ent scheidet.“ In den ostgermanischen Mittelmeerstaaten und selbst im Merowingerreich ist auch nach Ansicht des Verfassers noch kein Bruch mit der antiken Vergangenheit festzustellen.

Die meisten germanischen Stämme verbrauchen sich rasch in endlosen Kämpfen, einzelne Anführer wandeln sich zu erfolgreichen Heerführern und Staatsmännern, andere Volksgruppen übernehmen bald römische Staats- und Rechtsordnung und gehen in der Kultur der Romania auf. Nur drei germanischen Stämmen sind Gründungen von größerer Dauer gelungen, den Westgoten in Spanien, den Langobarden in Norditalien und vor allem den Franken. Die Westgoten gehören im Stil ihres Staates noch fast ganz zur Antike, mit den Langobarden und Franken aber beginnt jene Entwicklung, die später zum Mittelalter führt, in dem germanische und römische Elemente zusammenfließen. Der Verfasser regt mit seiner in Buchform erschienenen Sammlung mn Aufsätzen den heutigen Leser sicherlich zum Nachdenken an.

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