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Das Stiftergrab von Kremsmünster

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Die Geschichte des Benadiktinerstiftes Kremsmünster beginnt in jenen fernen Tagen, da Karl der Große daranging, sein Weltreich aufzurichten. Der ayernherzog Tassilo III. aus dem Haus der Agilolfinger stiftete 777 in der Grenzmark seines Herrschaftsgebietes Mieses Kloster, vielleicht als Votivgabe für die Geburt seines Thronerben Teoto. Bereits im 12. Jahrhundert umrankt der Efeu der Sage die Fundamente der Gründung. Tassilo hat, von seinem Sohn Günther begleitet, die weiten Jagdgebiete westlich der Enns aufgesucht. I jugendlichem Ungestüm verfolgt der Herzogssohn einen gewaltigen Eber bis in die Tiefen der Wildnis; er stellt das Untier, der Speer zerbricht; das todwupde Wild stürzt sich auf Günther —! Das Verhalten der herrenlos zurüdegekehrten-Jagdhunde läßt den Herzog Schlimmes ahnen, er folgt der Spur und findet die Leiche des Sohnes. Neben ihm liegt, den abgebrochenen Speer im Leib, der verendete’ Eber. An dieser Stelle erhebt sich auf des Fürsten Geheiß der Klosterbau; das dem Welth,eiland geweihte Münster umschließt das Grab des Jünglings.

Das Stiftergrab hat seine Geschichte. Über 400 Jahre ruhen die Gebeine in einem Erdgrab in der Mitte der Kirche. 1232 beginnt der großangelegte Neubau des Gotteshauses. Der im Süden anschließende Kreuzgang mit den Wohnbauten der Mönche zwingt, die Anlage nach Norden auszuweiten; die Mittelachse der Kirche wird verschoben, und so ergibt sich die Notwendigkeit, die Ruhestätte des Stifters zu verlegen, da ihr die zentrale Lage gewahrt bleiben soll. Dies führt zur ersten Öffnung des Grabes im Jahre 1232. Die Gebeine werden in einer Holztruhe geborgen und in die Frauenkapelle übertragen, wo während der Bauzeit des Münsters der Gottesdienst abgehalten wird.

1304 wurden die Gebeine, in einer steinernen Urne verschlossen, inmitten der Kirche unter einem Hochgrab beigesetzt. Eine zweite Urne wurde beigegeben; sie enthielt die Reliquien des seligen Mönches Wisinto. Dieser war am 2. Dezember 1079 eines heiligen Todes gestorben und vor dem Thomasaltar beerdigt worden. Auch seine Gebeine wurden eihoben und nun aus der Marienkirche übertragen und unter demselben Stein verschlossen.

Im Jahre 1509 ließ Abt Johannes I. Schreiner das Stiftergrab bis an die Stirnwand des Querschiffes vorverlegen. Ein kostbares Gitter umschloß das Grabmal, an dessen Kopfende sich der Kreuz- oder Stifteraltar erhob.

Im Jahre 1712 beendete Abt Alexander II. Strasser die barocke Erneuerung der Stiftskirche, indem er das Presbyterium in seiner heutigen Anlage gestaltete. Eine breite Freitreppe sollte zum hochgelegenen Querschiff emporführen: der Stifteraltar mußte mitsamt dem Grabmal weichen. In dem Raum vor dem Hochaltar wurde eine kleine Krypta ausgehoben, kaum mannshoch und keine drei Meter lang. Zwei Nischen nahmen die Gebeine des Stifters und die Reliquien des seligen Wisinto auf, die seit 1677 in Eidien- schreinen, die in kupferne Behälter versenkt wurden, ruhen. In der Mitte, den Boden fast zur Gänze bedeckend, wurde der Verschlußstein des romanischen Hochgrabes hingelegt. Er stellt den im Tod entschlafenen Herzogssohn Günther dar. v

Seitdem war die über tausend Kilogramm schwere Marmorplatte nur einmal (1857) gehoben worden. Das Verlangen, mit dem Lichtbild die überlieferten Berichte zu illustrieren und auch die Gebeine der beiden Urnen einer wissenschaftlichen Untersuchung zu unterziehen, bewog den Abt des Stiftes, Ignatius Schachermair, die Erlaubnis zur Öffnung des Stiftergrabes zu erteilen.

Es war ein ergreifender Anblick, als die ersten Strahlen des Tageslichts auf die in Frieden ruhende überlebensgroße Gestalt des Herzogssohnes fielen und wir sehen konnten, was noch keines jetzt lebenden Menschen Auge geschaut. Nach einer kurzen kirchlichen Verehrung des Seligen und nach einigen Ge beten für die Seelenruhe des Stifters wurden die Gebeine erhoben und in die Schatzkammer übertragen. In der Grabplatte des romanischen Hochgrabes (2,40 zu 0,90 Meter) erkannten wir eines der bedeutendsten Kunstwerke des 13. Jahrhunderts in Österreich.

Die Skulptur, aus weißer Nagelfliuh gehauen, zeigt den Im Tod entschlafenen Günther. Er trägt ein ritterliches Festgewand mit Wehrgehäng und Gürtel, das Schwert zur Linken, die Hand über dem Hifthorn; der abgebrochene Speer liegt unter der ausgestreckten Rechten. Sie berührt den Kopf des Ebers, der an seiner Seite liegt. Zu Füßen des Toten- kauert der treue Jagdhund. Die Figuren sind bemalt: das Gewand Günthers ziegelrot, das Gehäng weiß, die Schnallen der Schuhe gelb. Der Eber schwarz mit weißen Hauern, weiß der Hund. Besonders schön sind die Gesichtszüge des jungen Mannes: die Augen geschlossen, das auf einem Polster ruhende Haupt von Locken uAiwallt. Das Monument ist ausnehmend gut erhalten.

Der Geschichte des Grabes entspridat es, wenn wir die Entstehungszeit zwischen 1232 und 1304 ansetzen. Es schien wahrscheinlich, daß der Auftrag zur Erstellung des Steines gegeben wurde, als der Münsterbau so weit fortgeschritten war, dkß bereits Steinmet e an Plastiken und Figuren der Innenausstattung zu arbeiten hatten, etwa 60 Jahre nach Beginn des Kirchenbaues.

Unsere Kunsthistoriker, die Patres und Professoren Edmund Baumgartin- ger, Pankraz Stollenmayer und Petrus Mayrhofer, setzen die Entstehung auf etwa 1280 oder auch (Willibrord Neumüller) knapp vor 1304 an. Die erstere Schätzung hat das bestätigende Urteil von Fachleuten für sich, von Univ.-Prof. D a g o- b e r t. F r e y, Landeskonservator Dr. Jura- s c h e k, Dr. Eva Kraft, um nur diese zu nennen. Sie machten auf einige Charakteristika an der Kleidung, an den Locken, an der Lage der Augen aufmerksam und rundeten so das Bild der gewonnenen Erkenntnis.

Die Untersuchung der Gebeine wurde einem Freund des Hauses, dem Anatomen Dekan Sauser von der Innsbrucker Universität, anvertraut. Auf Grund seiner Feststellungen sollten einige historische Fragen ihre Lösung finden. Die Geschichtsforschung hat die Erzählung vpn der Gründung des Stiftes als Sage aufgezeigt. Tassilo •hatte keinen Sohn namens Günther; der Stiftbrief erwähnt den Inhalt der Legende mit keinem Wort. Andererseits birgt das Münster seit ältester Zeit das Stiftergrab. Sollte Tassilo, der 788 abgesetzt und in die Abtei Jumieges verbannt worden war und 794 gelegentlich seines endgültigen Verzichts auf alle Herrschaftsansprüche letztmals erwähnt, wird, 800, als Karl zum Römische Kaiser gekrönt wurde, aus der Haft entlassen worden sein? Woanders hätte er seinen Lebensabend verbracht als in seiner Lieblingsstiftung, die sich nun der Gunst Karl des Großen erfreute? Oder stehen wir vor dem Grab seiner Gemahlin Liutpirc, der Tochter des Langobardenkönigs Desiderius, der Virga regalis, wie sie die Aufschrift de Tassilo-Kelches ehrend bezeichnet? Oder sollten wir an des Herzogs Sohn und Thronfolger Toto denken?

Das Ergebnis der Untersuchung ist eindeutig: die Gebeine gehören einem Mann — also kann es Liutpirc nicht sein. Der Mann ist im Alter von etwa 35 Jahren gestorben — also kann es Tassilo nicht sein, der 777 bei der Gründung des Stiftes 37 Jahre zählte und 794 noch am Leben war. Es kann kein in plötzlichem Tod getroffener Günther sein: drei- bis vierjähriges Siechtum raffte den sonst vollkommen gesunden, prächtigen Menschen hinweg; eine Verletzung des Oberarmknochens durch den Biß etwa eines Ebers, durch die Tatze eines Bären, durch den Wurf eines Speeres führte das Ende herbei.

Wenn andererseits die ständige Überlieferung von den „ossa fundatoris“ spricht und diese nach Stifterrecht die Grabstätte inmitten des Münsters behaupten, bleibt der einzige Sohn Tassilos, Teoto, der 776 geboren wurde und deswegen im Stiftbrief als „im ersten Jahre seines Herzogseins“ bezeichnet wird. Mit großer Wahrscheinlichkeit dürfen wir die Behauptung aufstellen: Das Stiftergrab in Kremsmünster ist die Ruh-’tätte des letztenA g i 1 o I f i n gers. Sein Tod durfte um das Jahr 810 anzusetzen sein.

Die Reliquien des seligen W i- s i n t o sind mit besonderer Sorgfalt behandelt. Es liegt das Siegel der Urkunde noch bei, welche im 13. Jahrhundert anläßlich der ersten Erhebung als Authentik beigegeben wurde. Bei seinem Tod stand der Selige an der Schwelle des Greisenalters. Der Schädeltyp läßt auf einen charakterfesten Mann schließen.

Wie soll das Stiftergrab in der Zukunft gestaltet werden? Vor allem dem Kunstfreund würde es unerträglich sein, wollte man die Gruft nun für die nächsten hundert Jahre schließen. Soll das Grabmal an seiner

Stätte belassen werden, so würde dies die Erstellung einer allgemein zugänglichen Krypta bedingen: ein Plan, dessen Verwirklichung in unseren Tagen unmöglich ist. Nun besitzt die Kirche im Läuthaus des Südturmes einen ungemein schönen Raum, der aus dem 13. Jahrhundert in seiner ursprünglichen Form erhalten ist. Die Mehrheit des Stiftskapitels hat beschlossen, das Monument im Läuthaus als Hochgrab aufzustellen; die Wand, welche den romanischen Raum von dem barocken Gotteshaus trennt, soll fallen und ein würdiges Gitter den Blick auf die Skulptur freigeben. Die Gebeine bleiben, schlicht geborgen, an ihrem angestammten Platz.

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