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Das Weistum von Raffel statten

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Mehr als ein Jahrtausend ist verronnen, seit karolingische Königsboten zu jener denkwürdigen Zoll- und Wirtschaftstagung zusammentraten, die Österreichs ersten zaghaften Schritt zur Selbständigkeit gängelte.

Ein raumkarger, den Avaren abgejagter Landstrich zwischen Enns und Leitha, entlang der Querstraße Europas, der Donau, verwildert und spärlich besiedelt, das war die Keimzelle eines in Erfüllung seiner geschichtlichen Sendung als Puffer und Mittler zwischen zwei verschiedengearteten Welten großgev/ordenen Reiches, das Kernland einer künftigen Großmacht, dessen Fürsten, geteilt in eine deutsche und eine spanische Linie, zum mächtigsten Herrschergeschlecht Europas wurden.

Karl der Große hatte diese kleine Mark mit Hörigen des geistlichen und adeligen Großgrundbesitzes aus dem benchbarten, kirchlich wohleingerichteten Bayern besiedelt, sie sdiaute bereits auf eine hundertjährige, um ihres Daseins und des Reiches willen opfervolle Geschichte zurück, und noch immer waren die Kapitularien von 803 und 805 in Kraft, die unmittelbar nach der Landnahme erlassenen Gesetze und Verordnungen, die das Anhängsel in Osten als bezwungenes Feindesland behandelten. Dabei bedrohten die Ungarn die Mark vom Osten her, im Norden und Süden drückten aufstrebende Slawenvölker auf ihre Grenzen. Unterdrückungen im Zoll- und Mautwesen unterbanden die Wirtschaft, Ubergriffe der Reichgefällsbeamten hemmten die Entwicklung. B;s die Kanzlei Ludwigs des Kindes den Beschwerden von Großgrundbesitzern und Handelsmachthabern stattgab und durch den Markgrafen Aribo eine Wirtschaftstagung nach Raffelstätten im heutigen Oberösterreich einberufen ließ, die Straßen-, Strom- und Marktzoll auf eint neue Grundlage stellen und das junge Wirtschaftsleben des Ländchens stärken und vor eigensüchtiger Bevormundung von Seite des Mutterlandes schützen sollte. „Quod a Bavieris observandem est — Was von den Bayern wohl zu beachten ist“, bemerkt hiezu das Weistum.

Raffelstätten — Rapholtestatun — heute ein unbedeutendes, zwischen Enns und Traunmündung an den Donauauen gelegenes Dorf, dürfte damals Sitz eines Zent-grafen gewesen sein. Seine Lage, hart an der Grenze zwischen Mark und Mutterland, mag wohl die Wahl zum Ort der Tagung bestimmt haben, die wahrscheinlich im Jahre 905 zusammentrat.

Des Reiches Erzkanzler Ersbischof Theotmar von Salzburg, Bischof Burchhard von Passau und ein Graf Otacher aus dem Chiemgau waren als Königsboten (missi dominica) erschienen, Rechtskundige und Sachverständige waren Beisitzer, einundvierzig hochfreie Herren haben die Bestimmungen der Charta beschworen. Diese weisen ausdrücklich auf die vom Mutterland verschiedenen geographischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen hin und nehmen auf ihre besonderen Aufgaben irn ostalpinen Donaubecken als Brücke von West zu Ost Bezug. Hell und scharf wie aufgrellendes Scheinwerferlicht heben die Satzungen das eigenartige Wirtschaftsleben im ältesten Österreich aus dem Dämmerdunkel seiner Wiegengeschichte und beleuchten seine vom Reiche unabhängige, nach Ostrom ausgerichtete Geldwirtschaft, ein Nachklang an die einstige Grenze zwischen West- und Ostrom, die über den Wienerwald verlief.

Als Handelsleute führt diese von der Geschichtswissenschaft „Zollordnung von Raffelstätten“ genannte Urkunde allerlei Volk an und als eingeführte Waren zählt die Zollordnung Rinder, Pferde, Honig und andere Lebensmittel, Wachs, Gerätschaften und Leibeigene auf; als ergiebige Geldquelle spielt der Zwischenhandel mit Salz die Hauptrolle.

Rosdorf, ein verschollener Ort, der oberhalb Linz vermutet wird, Eparesburc, vielleicht Persenbeug, und Mautern werden als Wassermauten, ein Zollhaus an der Url in der Gegend von Amstetten wird als Landmaut für die Achsenfracht auf, der Strata legitima genannt, auf der erhalten gebliebenen Römerstraße, die von Salzburg über Linz, St. Pölten und Wien ostwärts führte.

Salz aus jenem Teil des Traungaues, der damals in einem heute nicht mehr erkennbaren Verhältnis der Mark angegliedert war, ließ die Zollordnung überall ge-fällsfrei durch, Salz aus dem Salzburg i-schen, Reichenhall oder Berchtesgaden nur dann, wenn der Schiffsführer eidlich bekräftigen konnte, daß die Fracht zum Verbrauch in der Mark bestimmt war; sollte dagegen dieses Salz an Nachbarländer verhandelt werden, hatte es an jeder der genannten Wassermauten je drei Scheffel Salz und zu Mautern noch einen Goldsolidus Abgabe zu leisten. Alle Salzschiffe mußten vorschriftsmäßig genormt sein, was in der Anzahl der Bodenplanken zum Ausdruck kam, durften nicht mehr als drei Schiffsleute an Bord haben und nur bei den vorgesehenen Zollstätten anlanden. Bei der Landmaut an der Strata legitima hatten Salzwagen aus Bayern (wozu damals fast ganz Oberösterreich und Salzburg gehörte) einen Scheffel Salz abzuführen, Traungauer Salz ging auch hier frei durch. Konnte der Frachter nachweisen, daß Wagen, Zugvieh und Leibeigene nur dazu bestimmt waren, in der Mark getätigte Einkäufe nach Hause zu schaffen, gingen sie zollfrei, kam er durch einen Markt, ohne dort einzukaufen, mußte er den Platz auf der Mitte der Straße, ohne sich aufzuhalten, durchziehen. Um die Gütererzeugung in der Mark zu heben, wurde auf handelswichtige Waren wie Wachs oder Honig, die damals im Wirtschaftsleben eine ungleich größere Rolle spielten als heute, Einfuhrzölle gelegt, so von jeder Traglast Honig e i n, von jeder Saumlast zwei Massel, vom Wachs das Doppelte der Ware. (Ein Massel kam nach der Glosse zur Grazer Handschrift der Lex Bayuvariorum einer dreißigmal gefüllten Männerhand gleich, fünf Massel gingen auf einen Sechter, sechs Sechter auf einen Metzen. Ein Sechter — der Ausdruck wird heute noch für ein hölzernes Schöpfgefäß gebraucht — entsprach beiläufig zehn Litern.) Für einen Leibeigenen oder eine Stute mußte eine Saiga, für eine Sklavin oder einen Hengst aber eine Tremisse Einfuhrzoll bezahlt werden.

Um dem damals schon blühenden Schwarzhandel und Zollhinterziehungen zu steuern, waren die reisenden Kaufleute behördlich überwacht. Trotz härtester Ahndung scheint es aber schwer gewesen zu sein, Waffenschiebungen zu den Ungarn und ins Großmährische Reich hintanzuhalten. Auf Schmuggel standen beträchtliche Geldbußen, ein Freier verlor dazu das Fahrzeug samt Fracht, ein Leibeigener wurde so lange eingekerkert, bis ihn sein Herr gegen eine hohe Gefällsstrafe auslöste.

Das oströmische Gepräge, das dazumal unseren Donauhandel kennzeichnete, spiegelte sich auch im Münzwesen. Der fränkische Silbersolidus zu 12 Pfennigen, auch „Kurzer Schilling“ genannt, konnte sich in der Mark nicht einbürgern, weil er in den Geldverkehr mit den unteren Donauländern nicht paßte. Dagegen nennt das Weistum den Goldsolidiis oder „Langen Schilling“ zu 3 Tremissen, zu je 10 Pfennigen, die Saiga — so genannt nach jji'cm gesägten Rand — zu“ 5 und den Scotus zu IV* Pfennigen. Auf ein Pfund gingen 20 Kurze oder 8 Lange Schilling oder 240 Pfennig.

Die Zollordnung von Raffelstätten nennt M a u t e r n als letzte Zollstelle. Also war zur Zeit, da die Charta zusammentrat, das östliche Drittel der Mark bereits verloren und zum Tummelplatz magyarischer Reiterschwärme geworden. Daß man zu Raffelstätten überzeugt war, die Ungarn aus der

Mark vertreiben und die alten Verhältnisse wiederherstellen zu können, dafür spricht der Zuzug der vielen im Ostland begüterten Grafen, Bischöfe und Äbte, die bei einer Neuaufteilung des rückeroberten Landes dabei sein wollten.

Im Frühsommer des Jahres 907 führte der kriegserprobte Graf I.iutpold der Schyre, der Stammvater der Wittelsbacher, den bayrisdien Fleerbann über die Enns. Bei Preßburg kam es zum mörderischen Kampf, in dem die Deutschen von den Ungarn überfallen und aufgerieben wurden. „Bellum pessimum fuit a Prezelaurespurc“, vermerkt ein Chronikum mundi der Salzburger Annalistik in der Stiftsbibliothek zu Admont zu diesem Waffengang. Es war wirklich die „schlimmste Schlacht“: Erz-bischof Theotmanr von Salzburg und seine Suffragane, die Bischöfe Uta von Freising und Zacharias von Sähen (Brixen), lagen mit der Blüte des Adels erschlagen auf der Wahlstatt und „nur wenige entkamen“.

Wiederum war “die Enns zur unsicheren Grenze zwischen einer westlichen und östlichen Welt geworden. Erst nach dem Sieg Ottos des Großen über die Ungarn auf dem Lechfeld am Laurentiustag des Jahres 955 konnte der Faden, der bei Preßburg zerrissen worden war, wiederum geknüpft und die Mark neu aufgerichtet werden.

Die Zollordnung von Raffelstätten aber ist das Gängelband, an dem das jüngste Österreich seinen ersten Schritt zur Selbstverwaltung und nachmaligen F.igenherr'ich-keit tat, der erste Vortritt zu dem Opfergang seiner geschichtlichen Sendung, sein ältestes Kulturdenkmal.

Und heute stehen die Tagungen, die sich um die Voraussetzungen zur Lebensfähigkeit eines klein gewordenen Österreichs mühen, wieder vor ähnlichen Aufgaben, wie man sie vor mehr als tausend Jahren zu Raffelstätten zu lösen versucht hat.

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