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„Demontage des Rheins“

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Das düstere Wort von der „Demontage des Rheins“ geht im südbädischen Land von Mund zu Mund, seitdem der Westwind das Dröhnen und Rattern der amerikanischen Riesenbagger aus dem Elsaß täglich und stündlich in die deutsche Oberrheinebene herüberträgt. „Sie graben uns das Wasser weg“ ergänzen die Rheinbewohner mit müder Geste, und hinter ihrer sorgenvollen Miene erhebt sich das Gespenst des Hungers und der Heimatlosigkeit, das nicht mehr weichen wird, denn die Bagger graben auf der elsässischen Seite das Bett des künftigen Grand Canal d'Alsace durch die fruchtbaren Felder. Der Kanal wird den größten Teil des Rheinwassers — 1000 Kubikmeter in der Sekunde — an sich reißen.

Die Sorge der südbädischen Gemeinden hat ihre Vorgeschichte, in der Sich die beiden beherrschenden Ideen der verflossenen 150 Jahre — Technisierung und Nationalismus — die Hand zu dämonischer Zerstörung reichen. Sie begann mit der großen Rheinkorrektion Tüllas vor mehr als 100 Jahren. Der Stromlauf wurde damals durch die Beseitigung der zahlreichen Schleifen und Schlingen Um mehr als 100 km verkürzt und durch Abdämmung der Altwässer und Auen auch im Oberlauf für die Schiffahrt erschlossen. Aber die Begradigung des Flußbettes erhöhte die Strömungsgeschwindigkeit des

Wassers, was zur Vertiefung dr Wasserrinne und zum Absaugen des Grundwassers in der umliegenden Landschaft führte. Die Folge ist die Versteppung einer geschlossenen Fläche von rurtd 8000 Hektar zwischen Basel und Freiburg und die Bildung von kleinen Steppenherden in der übrigen badischen Rheinebene in einem Gesamtausmaß von 2000 Hektar. Die feuchtigkeitshungrigen Eichen-, bestände der Rheinauen sind ausgestorben. Der gesamte Holzzüwachs ist um 80 Prozent geringer geworden. Das Absinken des Grundwassers hat auch den Wiesen und Äckern das lebensspendende Naß entzogen. In den Auen verbreitet sich der Sanddorn, auf den Wiesen weichen die Süßgräser den harten Steppengräsern. Die Begradigung der Nebenflüsse und die Trockenlegung der Weiher und Moore hat ein übriges zur Verringerung der Wasserhaltung des Bodens getan. In regenarmen Jahren fehlt so dem Boden jede Wasserreserve. Selbst das Klima verschlechtert sich zusehends, die Niederschläge nehmen ab, die Taubildung hört auf und die frostabwehrenden Winternebel werden seltener. Die geometrischen Reißbrettvorstellungen der Technik haben das Lebensgefüge der Natur zerstört. Es sind dieselben Erscheinungen, wie sie auch die große Donauregulierung bei Wien im Marchfeld hervorrief, wo die Staubstürme bereits ein solches Ausmaß annehmen konnten, daß sie zu Zugsentgleisungen führten.

1917 gründeten die verödenden Rheingemeinden Badens einen Verband, der die Anlage von Kanälen forderte, um das Wasser wieder ins Land zurückzuholen. Der Vertrag von Versailles machte unter diese Pläne einen dicken Strich. Der Nationalismus ging an die Vollendung des technischen Unsinns. Artikel 358 des Vertrags verbot Deutschland die Anlage von Seitenkanälen und gab Frankreich das Recht, beliebige Mengen Wassers dem Rhein zu entnehmen. Deutschland wurde verpflichtet, alle Arbeiten zu diesem Zweck auf seinem rechten Stromufer zuzulassen. Auf Grund dieser Bestimmungen wurde in den Jahren 1922 bis 1932 bei Markt in Baden ein Rheinstauwehr gebaut, das den 6 km langen Kanal von Kembs auf der elsässischen Seite speist. Bei Kembs wurde an diesem Kanal ein großes Kraftwerk errichtet. Der seines Wassers beraubte Rhein verwandelte sich auf dieser Strecke in eine Reihe von Sandbänken und stinkenden Tümpeln. Die Rheingemeinden protestierten neuerlich, aber ihr Verband wurde 1934 von Darre aufgelöst und ihr Leiter Hermann Rudy zur Organisation Todt zwangsverpflichtet, weil die Hilferufe der badischen Rheinanwohner damals nicht in das Konzept der Berliner Stellen paßten. Während des Krieges wurde den Rheinbauern die Umsiedlung nach Böhmen angekündigt.

1945 kam mit der Kapitulation auch das rechte Rheinufer unter französische Kontrolle, und damit lebte das Projekt eines großen Rhein-Seitenkanals am linken Ufer wieder auf. Der Plan ist nicht neu. Er wurde schon 1886 von dem deutschen Ingenieur Karl Weiß aus Baden-Baden entwickelt und sollte von der Mühlhausener Industriegesellschaft verwirklicht werden. Aber erst 1945 gewann der Plan — übrigens in seiner ursprünglichen Form — praktische Gestalt. Frankreich erlangte im Rahmen der Marshall-Hilfe 30 Millionen Dollar für den Bau des Kanals und die entsprechende Maschinenhilfe. Am 31. November 1949 genehmigte die französische Nationalversammlung den Bau. Die Durchführung wurde der Gesellschaft „Electricite de France“ übertragen. Der Kanal beginnt einige Kilometer nördlich von Basel und mündet bei Straßburg, so daß er den ganzen 157 km langen Lauf des Oberrheins lahmlegt. Er wird an der Sohle 80 und in Spiegelhöhe 150 m breit und vollständig ausbetoniert sein, so daß sein Wasser vom Grundwasserhorizont der Rheinebene vollständig isoliert ist. Am Kanal werden acht Staustufen mit je einem Kraftwerk angelegt. Die Energieleistung je Werk wird 500 bis 800 Millionen Kilowattstunden betragen. Das erste Kraftwerk befindet sich in der Nähe Basels, das letzte wird am südlichen Stadtrand Straßburgs errichtet. Kanal und Kraftwerke sollen 1955 beendet sein.

Im Rahmen des Marshall-Plan-Programms läßt man den Arbeiten alle Unterstützung angedeihen. Seit dem Sommer 1949 sind rund 4000 Arbeiter und zahlreiche amerikanische Bulldozers und Bagger mit der Herstellung des Kanalbettes beschäftigt. Es ist bis zur zweiten Staustufe bei Ottmarsheim gediehen.

Von deutscher Seite plant die süd-badische Regierung, in Bonn einen Protestschritt gegen den Kanalbau unter Berufung auf die Proklamation der Rheinschiffahrt durch den Pariser Nationalkonvent von 1792 und den Wiener Kongreß anzuregen. Man wird damit zu spät kommen. Die Schweizer haben im Gegensatz zu ihrer Haltung im Jahre 1919 keine Einwände erhoben. Sie erhoffen sich jetzt durch den Grand Canal d'Alsace eine Intensivierung der Schiffahrt, während man deutscherseits durch die acht Scheusen eine Behinderung und vor allem Verteuerung erwartet. Die Abschnürung des südbädischen Landes von der internationalen Rheinschiffahrt ist ein weiterer nicht zu unterschätzender Nachteil. Das Schlimmste wird aber sein, daß der gesamte Oberrhein zu einem Rinnsal degradiert wird und durch die Tieferlegung des Wasserspiegels das Grundwasser in der gesamten oberrheinischen Ebene noch weiter absinken wird. Es wird nicht einmal mehr möglich sein, die von Baden begehrten 25 Kubikmeter Wasser pro Sekunde für die geplanten Bewässerungskanäle vom Rhein abzuzapfen. Der weiteren Versteppung des fruchttragenden Landes wird damit Tür und Tor geöffnet. Die in Baden zur Ertragsteigerung der Landwirtschaft angelegten Marshall-Gelder sind sinnlos geworden. „Der Kanal ist unser Todesurteil“ sagt man in der Rheinebene.

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