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Der alte Mann und der Ski

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Vergangene Woche fiel in Evian die Entscheidung. Karl Schranz erklärte bei der Überreichung des Weltcups, daß er „auch bei strengster Selbstkritik“ nicht das Gefühl habe, zu alt oder gar zu schlecht geworden zu sein, um nicht zumindest eine weitere Saison als Rennläufer zu bestreiten. Er, der seit 15 Jahren zur Weltklasse des alpinen Rennsports gehört, will seine „aktive Karriere nicht nach dem Versicherungsprinzip beenden“. Damit entschied sich „Karl der Große“, wie enthusiastische Sportjournalisten ihn in den Zeiten seiner Siege zu nennen pflegten, für die Weiterführung seines Kampfes gegen sich selbst und gegen die öffentliche Meinung, die im Falle des Mißerfolges nur allzu schnell „personelle Veränderungen des Skiteams“ fordert. Weitermachen bedeutet für Schranz, der im November 32 Jahre alt wird, täglich gegen psychische und physische Barrieren ankämpfen, ein unbequemes Training absolvieren und durch Ausschöpfung der Substanz um Perfektion bemüht sein. Das bedeutet aber auch, im Falle der Niederlage, ungeachtet einstiger Siege und Medaillen, von der Öffentlichkeit „hingerichtet' werden. Denn nur allzu schnell werden von Sportjournalisten Siege, die nur um hundertstel Sekunden verfehlt wurden, zu „nationalen Tragödien“ umstilisiert.

Versagt oder stürzt Schranz, so stürzt mit ihm Österreich in nationale Trauer. Der Wunsch, „Skidebakels“ und „weiße Waterloos“ oder „schwarze Freitage“ vergessen zu machen, gipfelt dann meist in der Forderung nach einer „Verjüngung der Mannschaft“. Denn dann — wer wüßte es nicht — hindert angeblich der „einsame Wolf vom Arlberg“ die ach so sensible Jugend daran, weiße Lorbeeren für Österreich zu erringen.

Tritt „der alte Mann“ endlich ab, verstellt kein „Schranzkomplex“ dem Nachwuchs „den Weg nach oben“, so werde, heißt es dann, die Jugend endlich „explodieren“. Diese Aussagen hindern die Sportreporter jedoch nicht daran, am nächsten Tag schon, nach „dem fälligen Sieg“, in schlichten Worten „den alten Haudegen“, der „wieder einmal die Kastanien aus dem Feuer geholt haV, zu besingen. Wer denn sonst als „Karl der Große“ kann die Franzosen schlagen?

So pendelt man zwischen den Extremen und fordert von einem Menschen die unveränderlichen, präzisen Leistungen einer Maschine.

Letztlich aber führt Schranz auch einen Kampf gegen den greisen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, Avery Brundage. Dieser amerikanische Millionär und Porzellansammler glaubt die Entwicklung des Leistungssportes moderner Prägung aufhalten zu müssen und fordert immer wieder die Rückkehr zum makellosen Amateur, der zu seinem Vergnügen und zur Ertüchtigung seines Körpers — heißa —

Gerade gegen Schranz, den er als „lebende Rehlamesaule“ bezeichnet und dem er Verdienste „bis zu 60.000 Dollar pro Jahr“ vorwirft, richtet sich der Zorn des Präsidenten. Er fordert die Entflechtung von Sport und Geschäft und plädiert für die Streichung der alpinen Wettkämpfe aus dem Programm der Olympischen Spiele. Und fast scheint es, als ob ein Weltcupsieger Schranz im Jahre 1971 die Frage stellen könnte: Schranz oder Brundage. Denn 1972 finden in Japan wieder Olympische Winterspiele statt.

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