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Der Bart ist aö

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Beim Barte des Propheten, der Bart ist ab. Mein Vater hatte noch einen! Einen Schnurrbart nach spanischem Vorbild! Einen Schnurrbart, wie ihn sein Kaiser, Wilhelm II., trug. Am Samstag, wenn mein Vater zum Friseur ging, da wurde das Gebilde gestutzt, gekämmt und an den Enden in die Höhe gezwirbelt. Ehrfurchtsvoll sahen wir am Abend zu unserem Vater auf, wenn er seine Manneszierde unter der Bartbinde spazierentrug. Beim sonntäglichen Frühschoppen geriet freilich der so gepflegte Bart durch den Bierschaum außer Fasson. Die Barttasse, jene sinnvolle Erfindung der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, war ja gewöhnlich nur für Kaffeetrinker noch in Verwendung und durch den „Verein für sauberen Schnurrbart beim Kaffeetrinken, e. V.” verbreitet worden.

Mein Großvater trug einen Vollbart. In W-Form, wie ihn sein Kaiser Friedrich vorexerzierte. Mein Onkel, den es nach Oesterreich verschlagen hatte, richtete seine Manneszierde sehr betont nach dem Backenbart Kaiser Franz Josephs und trug das heute als „Kaiserbart” in die Bartologie eingegangene Gebilde.

Und ich? Keine Spur von Bart auf weiter Flur! Der Bart ist ab! Wirklich, der Bart des Mannes von heute ist um ein Haar abhanden gekommen. Unsere Frauen verlangen es. Im äußersten Falle dulden sie noch den ganz kurz gestutzten, sogenannten „englischen Schnurrbart” oder das melancholische Filmbärtchen des Adolphe Menjou. Worauf Männer einmal stolz als den natürlichen männlichen Schmuck, als Rasse- und Geschlechtsmerkmal hinweisen konnten, das hat die Haare lassen müssen. Und die paar Existentialistenbärte bilden die Ausnahme der bartlosen Regel. Unsere Frauen finden kein gutes Haar an unserem Bart. Rasiermesser- und Rasiercremefirmen zeigen auf ihren Packungen, Plakaten und Prospekten den modernen, idealen Mann, den aalglatt-rasierten Herrn im Smoking, an dessen Wange sich die naturrosige der Dame schmiegt: So glatt bist du liebenswert!

Ich frage mich zuweilen, ob nicht ein Zusammenhang zwischen der zeitgemäßen Humorlosigkeit und der bartlosen Tracht besteht. Die guten Witze, die alten, haben bekanntlich Bärte.

Ja, die Zeiten haben sich geändert. Nicht immer war der bartlose Mann auch der ideale Mann. Darwin brauchte ihn für seine Theorie dringend. Er sieht im Barte das ornamentale Merkmal, das die begehrlichen Sinne der Frau ebenso anzieht wie das Geweih des Hirsches die Hirschkuh. Ein uraltes Sprichwort behauptet, ein Kuß ohne Bart sei wie eine Suppe ohne Salz. In dieser Beziehung leben unsere Frauen heute also salzlos.

Es bleibt dabei: Wir tragen „Bart-ab”! Ein Leben lang haben wir Männer uns täglich der Prozedur des Rasierens zu ergeben, nur um das

Stückchen Haut zwischen Nase und Oberlippe, um Kinn und Wange, bartfrei zu halten. Die Frauen wünschen es. Aber den Verlust unserer Zierde verwinden wir nicht so leicht. Seitdem lassen wir den Frauen Haare auf den Zähnen wachsen!

Bärtige Männer sind nur noch — außer den Existentialisten — nach längerem frauenlosem Dasein, nach Himalajabesteigungen, nach Unter- seebootfahrten in den Pazifik und nach Expeditionen zu den Pygmäen zu sehen. Nur bei solchen außerordentlichen Bravourleistungen wird der Bart noch als Signum des1 Helden geduldet und sogar geachtet und als hoffähig hingenommen. Für uns gewöhnliche Frauenhelden gilt der Grundsatz: Bart ab!

Tröstlich, daß sich schon die Herren der Bronzezeit fügen mußten und sich rasiert haben. Die Rasürgeräte liegen in den Heimatmuseen in der prähistorischen Abteilung zur Einsicht auf. Auch Felszeichnungen aus Skandinavien zeigen bartlose Männer. Die Aegypter, Sumerer. Babylonier und Assyrer waren auch glattrasiert. Die Semiten brachten später den gewöhnlichen Vollbart und den Kinn- und Backenbart bei abrasiertem Schnurrbart auf und gaben ihre Barttracht den Aegyptern weiter, die daraus den „Königsbart”, den nur Pharaonen, Fürsten und Adelige tragen durften, entwickelten. Die Frauen ‘ wiaren damals so entzückt, daß sie sich selber hinter ihre Ohren eine Bartattrappe banden.

In unseren Landstrichen wurde von den Karolingern bis ins 11. Jahrhundert hinein „Bart ab” getragen. Von da bis zur Reformation wieder „Bart auf”. Unter Karl V. wurde Schnurrbart Mode, hoch aufgezwirbelt, wie er zu Kaiser Wilhelms Zeiten später fröhliche Urständ feierte. Nach 1510 kam der waagrecht gestutzte Vollbart auf, der vom kurzen Kinnbart mit kleinem Schnurrbart durch französische und spanische Einflüsse abgelöst wurde.

Peter der Große führte in Rußland um 1703 eine Bartsteuer ein. Die Reichen zahlten jährlich hundert Rubel pro Bart und Kopf, die Bauern eine Kopeke. Barttragen galt als Luxus. Luxus mußte für den Staatssäckel Haare lassen. Wie heute. Merkwürdig, daß unsere Steuerstrategen die noch gewiß luxuriöse Bartlosigkeit nicht zugunsten des schwindsüchtigen Kulturgroschens besteuern! Allerdings, eine solche Aktion würde trotz Einspruchs der Frauen eine Revolution in der modernen Barttracht auslösen. Wir alle würden uns wieder Bärte wachsen lassen, Vollbärte sogar, und sollte auch einer 1,68 Meter lang werden, wie ihn der Metallwarenhändler aus Tokio trägt, oder wenigstens einen langen Schnurrbart wie der Inder Desan Arjan Dangar. Der kann gerade noch mit seinen ausgestreckten Händen die Bartspitzen erreichen. Uebrigens, Katharina II. von Rußland schuf die Bartsteuer wieder ab. Sie liebte Bärte, obwohl sie gewiß kein Haar besser war als unsere Frauen heute.

Der Bart als Zeichen der Gesinnung ist keine Haarspalterei. Die Barttracht ist zuweilen kein Haar besser als ihr Träger. Die Regierung von Hessen-Kassel fand im Revolutionsjahr 1848 ein Haar in der Suppe, wenn einer ihrer Beamten Vollbart trug. Vollbart war staatsgefährlich. Ein Erlaß verbot Vollbart. Weltanschauung hängt eben nicht selten buchstäblich an einem Haar. Das für Karikaturisten so dankbare Hitlerbärtchen hat im „Tausendjährigen Reich” Schule gemacht und wurde von den Gefolgsmännern und von sonst ganz normalen Männern als Ausdruck der unwandelbaren Gesinnung, des Glaubens an Blut und Boden, getragen. Nach dem „Dritten Reich” lagen dann übereifrige Besatzer, die Wächter und Lehrer demokratischer Gesinnung, sich mit ihren Zö ‘-’naen in Erziehungslagern in den Haaren. Oft nur des ver-

dächtigen, kurzgeschorenen Schnurrbärtchens wegen. Heute wird keinem ein Haar gekrümmt, wenn er sich mit Haut und Haaren dem Bart verschreibt. Aber Peter Alexander und Maxi Böhm und Toni Sailer und auch kein anderer Held unserer Tage verschreibt Bart, also wird er heute nicht getragen. Uebrigens. der „Kaiserbart” des guten Franz Joseph machte auch keine schlechte Figur. Er war bis hinunter zur Adria verbreitet und manch einer trägt ihn noch, wenngleich er in einer „Volksdemokratie” lebt. Auch der Knebelbart Napoleons III. und der rund geschnittene, in der Mitte gescheitelte Vollbart Heinrichs IV. wurde von den jeweiligen Untertanen in Treue zu ihrem Herrn getragen.

Da fällt mir ein Erlebnis ein. Ich besuchte die Mustermesse. Unrasiert. So etwas kommt vor, wenn die Frau verreist ist. Und sie war’s damals. Ich schlendere also unrasiert, nichts Böses ahnend, so für mich hin und bin von den vielen Neuheiten, die mir angepriesen wurden, schon ganz benommen. Plötzlich schiebt sich unter meinen Arm eine Hand, ein freundlicher Herr steigt mit mir auf ein Podium, und ehe ich’s versehe, surrt es auf meiner Wange, kitzelt es unter meinem Kinn, juckt es unter meiner Nase. Der freundliche Herr verhält mich zu völliger Ruhe, hält zuweilen in der Prozedur inne und wendet sich mit beredten Worten an die Zuschauer, beklopft dabei meine Backen und fährt nach einer Weile in seinem Geschäft fort. Er versichert immer wieder, ich sei ihm geradezu vom Himmel geschenkt und sein bisher idealstes Modell zur Vorführung des neuesten elektrischen Trockenrasierapparates Marke „Ideal”. Wie ich so steif und starr auf dem Stuhl, der mich an den elektrischen Stuhl nach amerikanischem Muster gemahnt, sitze, und an mir geschehen lasse, was nicht mehr zu ändern ist, höre ieh deutlich in der Zuschauermenge eine Frau „Ah” rufen. Mein Vergewaltiger lächelt siegesbewußt in Vorahnung des kauffördernden Endsieges. Der Vorführer drückt mir vor allen Leuten die Hände, beklopft noch einmal verbindlich lächelnd meine aalglatten Wangen, um Haaresbreite fällt er mir um den Hals, als schon der erste Käufer sich einstellt. „Der Bart ist ab! Meine Damen, meine Herren! Wer wird heute noch mittelalterliche Folterwerkzeuge benützen, heute, in der Zeit der Automation! Sehen Sie sich diesen Mann an, begreifen Sie diese Wangen, so glatt wie ein Kinder...” Jetzt ist mir die Sache aber doch zu dumm, ich bereite mich zur Flucht vor. Aber der Vorführer hält mich lächelnd am Arm. Das Geschäft geht gar nicht so glatt, wie sich meine Wangen anfühlen. Er muß die Käufer bei den Haaren herbeiziehen. „Darf ich Ihnen eine verchromte, hygienisch einwandfreie oder eine gewöhnlich lackierte Maschine einpacken?” fragt er mich. Jetzt stehen mir schon die Haare zu Berge. Ich entgegne wutentbrannt: „Danke, überhaupt keine Maschine!” Und gehe weg. Doch der Mann holt mich ein zweites Mal zurück, er geht mir um den Bart und ruft: „Ja, sind Sie denn nicht zufriedengestellt worden?” Dabei streichelt er wiederum frech über meine Wangen. „Gewiß, sie sind glatt!” erwidere ich. „Aber was ersetzt mir das Hochgefühl des Einseifens? Das Einseifen ist das halbe Leben. Wer sich einseift, hat mehr vom Leben! Die Automation macht vor meinem Gesicht kehrt. Einmal im Tag will ich zu mir kommen. Wann könnte diese Besinnung besser geschehen als während des feierlichen Verschönerungswerkes!” Ich verfalle immer mehr in den Jahrmarktston und fahre fort:

‘ „Nein, ich rasiere mich nach wie vor mit den mittelalterlichen Folterwerkzeugen, da bin ich sicher, daß ich nicht aufs Waschen vergesse.” Der Mann ist vernichtet. Er murmelt vor sich hin: „undankbarer Mensch” und Schimpfworte aller Art. Kein Wunder, aus der Menge wird mir Beifall gespendet. Wie es immer zu sein pflegt, wenn Propaganda den eigenen Willen lähmen will und einer aufsteht gegen den Gesinnungsmord. Mein Mann hat sich indes wieder gefunden und rüstet sich zur Verteidigungsrede: „Sehen Sie, das ist eine völlig verkehrte .. . Weiter hörte ich nichts mehr. Mir war es zu bunt. Ich ging meiner Wege. Es hat ohnehin nicht mehr viel gefehlt, und wir wären uns in den Haaren gelegen. Ein Mann aus dem Publikum rief mir noch nach: „Ach, nehmen Sie’s nicht so ernst, lassen Sie sich keinen Bart wachsen!”

Nein, das versprach ich: Der Bart bleibt ab!

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