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Der Berg des heiligen Martin

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Árpad und seine Recken schlugen ihre Zelte neben dem Berg des heiligen Martin auf und tranken aus der Quelle von Sabaria. Sie stiegen hinauf auf den Berg und waren von der Schönheit Pannoniens erbaut ..." So heißt es in der „Gesta Hungarorum" eines anonymen Chronisten über die Landnahme der Magyaren. Das Land nahe der heutigen Stadt Györ (Baab) war damals schon seit Jahrtausenden besiedelt und gehörte vom 1. bis 4. Jahr hundert zur römischen Provinz Panno-nien. Dann kamen 1 Iunnen und Awa-ren, die Ungarn blieben. Der heilige Martin soll 316 in dieser Gegend geboren sein, daher der Name des heiligen Berges (monssacer), „St. Martinsberg". Die Romantik erfand den ungarischen Namen Pannonhalma - Hügel Pannoniens.

996 wurde das Benediktiner-Kloster gegründet. Dieses Jahr gibt es viele Jubiläums-Veranstaltungen und eine Ausstellung. Der Papst war zu Besuch.

Hat der heilige Adalbert, Bischof von Prag, den ersten ungarischen König Stephan getauft oder gefirmt? Ganz klar ist es nicht. Man weiß nur, daß der erste Bischofsdom in Eszter-gom dem heiligen Adalbert geweiht wurde, der 997 in der Preußen-Mission das Martyrium erlitt. Die ersten Benediktiner-Mönche kamen 996 aus Prag. Als König Stephan seinen abtrünnigen Verwandten Koppäny besiegt hatte, bedachte er 1002 das Kloster mit reichen Schenkungen und Privilegien nach, dem Muster von Monte Cassino. Dafür sollten die Benediktiner täglich „pro stabilitate regi nostri", für den Fortbestand des Landes beten. Der heilige Berg wurde zum Symbol einer engen Verbindung von Staat und Kirche, die sich in Verantwortung füreinander auch in größten Notzeiten bewährte. Diese ließen nicht auf sich warten: der Mongolensturm von 1241, dann die Jahrhunderte der türkischen Aggressionen. Mochte vieles zugrunde gehen, mochte der Berg durch Jahre von Mönchen verlassen sein: er wurde immer wieder neu belebt. Für die Ungarn hat allein schon der oft dezimierte, mehrmals erneuerte Wissens-Schatz von Bibliothek und Archiv größte Bedeutung. In der Stiftungsurkunde für die Abtei von Tihany am Plattensee (1055) finden sich, im lateinischen Text die frühesten finnisch-ugrischen Sprachdenkmäler: 58 ungarische Wörter.

In der Baugeschichte des vielgestaltigen Gebäudes, das man von weit her im ringsum flachen Land erblickt, findet man eine lange Abfolge von Plänen, die nur teilweise verwirklicht und immer wieder von Zerstörungen beeinträchtigt wurden. Es fällt auf, daß die Bauherren zu allen Zeiten auf die Erneuerung des Überkommenen Wert legten. Sogar den Wiederaufbau nach den Verfallszeiten von Reformation, Gegenreformation und Türkennot in der anbrechenden Barockzeit stellte der Erzabt Ägydius Karner (ab 1699) unter das Motto „ad formam an-tiquam". Behutsam wurden neue Elemente in die Gotik eingefügt, etwa das prächtige Refektorium.

Karner, der beim Kuruzzen-Auf-stand auf der Seite des rebellischen Fürsten Raköczy stand, erwies sich als strenger Zuchtmeister seiner Mönche, für die er offenbar nie den rechten Ton fand. So ließ er für die Seitenwände des Speiseraums sechs großformatige Bilder malen, die alle vom Essen und Trinken handeln, aber nicht eben appetitanregend: Christus am Kreuz bekommt den Essigschwamm, nachdem er in der Wüste gefastet hat. Daniel wird in der Löwengrube vom 1 lerrn gespeist. Die Gastmähler des Belsazar und des Herodes (mit dem Kopf des Jochanaan) regen auch nicht zu unbeschwertem Schlemmen an. Die mißlungene Vergiftung des heiligen Benedikt durch seine Mönche dürfte am meisten Anklang gefunden haben. Erzabt Karner zog sich verbittert nach Györ zurück und dachte über die Wiederbelebung mittelalterlicher Traditionen nach - etwa mit 49 lateinischen Gedichten.

Hatte Maria Theresia noch große Ausbau-Pläne in Auftrag gegeben, die dann aber zu teuer waren, hob Josef II. das Kloster auf. Er wollte auf dem heiligen Berg einen Kerker einrichten. Dazu kam es aber nicht. Franz I. holte 1802 die Benediktiner zurück und betraute sie mit pädagogischen Aufgaben. Darauf waren sie zunächst nicht vorbereitet, fügten sich aber bald glänzend in die neue Funktion, errichteten eine eigene pädagogische Hochschule und betreuten mehrere Gymnasien in West- und Oberungarn (der heutigen Slowakei). Pannonhalma und Györ haben sogar die Kommunisten überdauert. Die höheren Funktionäre schickten bevorzugt ihre Kinder hin.

Bauliche Erneuerung gab es auch in der Romantik. Dieser Epoche verdankt das Kloster den dominanten Turm und die Bibliothek, die heute rund 300.000 Bände birgt. Der künstlerische Einfluß aus Wien ist deutlich erkennbar. Als Architekt und Freskenmaler wirkte Franz Storno d. Ä. aus Sopron (Ödenburg), der sich vom Schornsteinfeger zum angesehenen Architekten, Restaurator und Denkmalpfleger hochgearbeitet hatte. Auch der AA'iener Glasmaler Carl Gey-ling wirkte in dieser Phase mit. Einige der damals beteiligten Meister wurden nach dem Muster der Pilgram-Konsolen im Wiener Stephansdom verewigt.

Für das Jubiläumsjahr 1996 wurden schon in den frühen achtziger Jahren Restaurierungsarbeiten eingeleitet, so daß sich das Kloster heute in gutem Zustand präsentieren kann. 68 Mönche leben hier. Seit Anbeginn-unterstand die Erzabtei keinem Bischof, sondern bildete eine eigene kleine Diözese. Der Erzabt leitet die Ungarische Benediktiner-Kongregation, die nicht nur in Györ, Tihany und Ko-marno wirkt, sondern auch im brasilianischen Säo Paolo. Etwa zwei Dutzend Ordensschwestern gibt es in Tis-zaüjfalu. Die Benediktiner betreuen in der Umgebung von Pannonhalma 15 Pfarren.

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