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Der Dom im Gebirge

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Am 16. September 1164 weihte der selige Bischof Hartmann von Brixen, wenige Monate vor seinem Tode (gestorben 23. Dezember 1164), in Vertretung des in Italien weilenden Erzbischofs Konrad II. von Salzburg, der um die Regalien bei seinem Neffen Kaiser Barbarossa ansuchen mußte, die Basilika in Seckau. In 20jähriger Bauzeit — 1143 bis 1164 — erstand aus einheimischem Sandstein im sächsischen Stil, nach dem Vorbild von St. Godehard in Hildesheim (Sachsen), die ursprünglich nur für die Chorherren Sankt Augustins bestimmte Basilika, die seit 1218 als Kathedrale Steiermarks bis zur Aufhebung des Stiftes unter Joseph II. 1782 eine Sonderstellung einnahm. Durch Wiederbesiedlung des Stiftes am 8. September 1883 entrissen die Beuroner Benediktiner den „Dom im Gebirge“ dem Verfall. Es ist insbesondere das Verdienst des ersten Abtes Ildephons

Schober 1887—1908, das verödete Stift und die Basilika der urtümlichen Bestimmung erhalten zu haben.

Der „Dom im Gebirge“ erhielt unter Abt Ildephons Schober neue Westtürme, da der Nordturm am 26. Mai 1886 einstürzte; ferner wurde die Basilika durch Einbau eines Tran- septes im Osten verlängert, wodurch freilich die gesetzmäßige Harmonie der Urform stark beeinträchtigt wurde; aber jede Zeit redet im Ton die ihr eigene Kunstsprache. Schon 1950 hatte man Unebenheiten des ausgehenden 19. Jahrhunderts in der Innengestaltung beseitigt. Das 800jährige Weihejubiläum brachte wesentliche Neuerungen, die insbesondere der Ostpartie des Domes galten (Apsis, Presbyterium, Chor der Mönche). Der gewaltige neoromanische Baldachinaltar erhielt in der Wiener Jubiläumskirche an der Reichsbrücke einen passenden und würdigen Platz (die

Kirche wurde am 5. Juli dieses Jahres vom Kardinal Dr. König erst konsekriert, sie war nur benediziert).

Das Halbrund der Apside ist nun frei und erhält warmes Licht durch das schmale Fenster aus dünnen Platten des einheimischen Mariabucher Marmors. Im Scheitel der Apside steht die Kathedra, zu ihren Seiten je drei einfache Sedilien für die Assistenz aus Asiago-Marmor.

Über dem einfachen Altartisch aus grünem Marmor in der Achse des Transeptes schwebt auf schwerer, von geschmiedeten Ketten diagonal verspannter Eichenbrücke, die in der „Stein-Kremser Romanikausstellung“ viel beachtete Kreuzigungsgruppe, deren hoher Kunstwert erst nach mühevoller Restaurierung in den Werkstätten des Bundesdenkmalamtes (Rest. Lisi Sager) voll erkannt und gewürdigt wurde; sie gehört mit zum Kostbarsten, was wir an romanischer Monumentalplastik im europäischen Raum besitzen. In der jetzigen Aufstellung — früher stand sie hoch oben auf einem den einstigen Triumphbogen ersetzenden Querbalken — beherrscht sie zweifellos in ihrer herben Schönheit romanischer Ausdruckskraft den basilikalen Raum und zieht den Besucher sofort in ihren Bann. Die niedere, den Mönchschor gegen das Hauptschiff abschließende Brüstung und die Sockel der aus demselben Marmor wie der Altartisch gearbeiteten Ambonen bestehen aus Fohnsdorfer Muschelkalk, dessen Blöcke einst als Maschinenfundamente in der Alpine Zeltweg gedient hatten und vom dortigen Werksdirektor, Dipl.-Ing. Franz Gumbsch, der Abtei vor Jahren gespendet worden sind.

Auch die Westpartie der Basilika erhielt in der romanischen Vorhalle eine wirkungsvolle Ausstattung. Die über 80 Jahre lang draußen auf der Freitreppe stehenden spätromanischen Portallöwen, die „Wächter des Domes“, bekamen wiederum ihren alten Standort neben dem Gewände des Innenportales, wo sie durch das Mittelalter hindurch bis zum Einsturz des Nordturmes 1886 ihre Rechtssymbolik erfüllten (datum et actum inter leones — zwischen den Löwen wurden im Mittelalter die Rechtshändel ausgetragen). Das moderne Mosaikbild, Christus als Pantokrator beziehungsweise als Keltertreter, wurde ausgetauscht mit einer romanischen Plastik aus Seckauer Sandstein: Madonna mit Kind, zirka 1260, die bisher unbeachtet im Dunklen das Tympanon zur Sakristei zierte. Ist doch der „Dom im Gebirge“ Maria Assumpta geweiht, ein Marien- dom im wahrsten Sinne des Wortes; denn viele Madonnen aus verschiedenen Jahrhunderten, beginnend mit der Nikopoia (Siegesbringerin), dem ältesten Gnadenbild Österreichs, vielleicht überhaupt im alpinen Raum, 12. Jahrhundert, bis zum apokalyptischen Weib in der Engelkapelle unter den Fresken von Herbert Boeckl birgt dieser Dom, den bei der grandiosen Feier am 6. September der Landeshauptmannstellvertreter Universitätsprofessor Dr. Hanns Koren „die Herzmitte unseres Landes“ nannte.

Planer, Leiter und Berater der Erneuerungen, die bereits im Vorjahr mit der Entfernung des störenden Spruchbandes an den Kirchenwänden und der neugotischen Ornamentik in den Gewölbefeldern der beiden Seitenschiffe begonnen hatten, war Architekt Prof. DDr. h. c. Clemens Holzmeister. So hat der Dom nach Aufstellung der Hauptorgel auf der Westempore (1959) und nach der Weihe der Engelkapelle mit der „Seckauer Apokalypse“, Fresken von Herbert Boeckl, mit der wahrhaft erhebenden Gestaltung des Ostchores wohl einen Höhepunkt erreicht.

Die eigentliche 800-Jahr-Feier, die wegen des frühen Beginnes des Konzils vorverlegt werden mußte, fand am 6. September statt. Erzbischof Dr. Andreas Rohracher feierte das Pontifikalamt in Beisein des Apostolischen Nuntius in Österreich, Erzbischof Dr. Opilio Rossi, des Bischofs von Graz-Seckau Dr. Josef Schoiswohl, des Erzabtes Dr. Benedikt Reetz (Beuron), der am Vortag den neuen Hochaltar konsekrierte, der steirischen Äbte Kolo man Holzinger (Admont) und Maximilian Aichern (St. Lambrecht), des Landeshauptmannstellvertreters Univ.-Prof. Dr. Hanns Koren, Sektionschef Dr. Wohlgemuth als Vertreter des Unterrichtsministers, Professor DDr. h. c. Clemens Holzmeister und Magnifizenz Prof. Herbert Boeckl (Wien). In meisterhafter Predigt hob Erzbischof Rohracher die geschichtlichen, kulturellen und religiösen Zusammenhänge Seckaus sowie die Wirksamkeit der Beuroner Benediktiner hervor. Das festliche Orgelspiel besorgten an der Chororgel Dipl.-Ing. P. Laurentius Hora OSB. und an der großen Orgel über der Westempore Prof. Forer (Wien), der auch am Nachmittag vor der Pontifikai vesper, die der Nuntius Dr. O. Rossi hielt, vor vielen hundert Menschen aus nah und fern ein Orgelkonzert gab.

Die schönste Jubiläumsgabe war die Priesterweihe von vier Benediktinermönchen der Abtei am Geburtstage von Neu-Seckau am 8. September, die der Diözesanbischof Doktor Josef Schoiswohl an dem von ihm gestifteten neuen Altar vornahm. Die Jubiläumsfestlichkeiten werden am 4. Oktober um 15 Uhr mit einem Konzert des Madrigalchores St. Veit- Wien, am 5. Oktober, dem Namensfeste des hochwürdigen Herrn Abtes Dr. Placidus Wolf OSB., um 10 Uhr mit einem Pontifikalamt und am Nachmittag um 15 Uhr mit einem Festspiel: Hic seca! „Hier haue — hier baue“ im Festsaal der Abtei ausklingen.

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