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Der Donkosak als Außenminister

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Am „stillen Don“, über den so viele.russische und kosakische Lieder singen, ist im Jahre 1905 Dimitri Schepilow geboren. Im Lande der Donkosaken also. Diese Donkosaken sind ein eigenartiger Menschenschlag. Bekanntlich flohen frühzeitig aus dem Moskauer Rußland hierher, an den Rand der Welt, in ein Gebiet, das Niemandsland war und keiner Staatsmacht unterstand, vor Herren- und Fürstenwillkür, alle, die sich unterdrückt fühlten. So bildete sich am Don die freie Kosakengemeinschaft. Nur sehr starken und rücksichtslosen und in gewissem Sinne auch intelligenten Menschen gelang unter den damaligen Verhältnissen die Flucht. Von überschäumender Kraft waren diese Donkosaken. Wenn sie die türkischen Ufer des Schwarzen Meeres überfielen, dann hausten sie mit rücksichtsloser Brutalität. Doch wenn sie in ihrem Ring, einer Art Landgemeinde, ihre Führer wählten, dann folgten sie diesen mit eiserner Disziplin. Die Moskauer Zaren fürchteten die freien Donkosaken und brauchten sie doch. Denn sie bildeten den Schutz des Moskauer Reiches nach Osten und Südosten hin. Die Ideologie dieser kriegerischen Kosakenrepublik war durch zwei Worte bestimmt: „Freiheit“ und „orthodoxes Christentum“. Um der Freiheit willen waren sie den gleichgläubigen Moskauer Zaren feind. Sie boten Asyl jedem Flüchtling aus Moskau. Stolz antworteten sie den Zaren im Kreml: „Vom Don gibt es keine Auslieferung!“ Und bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war die Forderung aller rebellierenden russischen Bauern im weiten russischen Reich: „Wir wollen die Kosakenfreiheit!“ Bis die Zaren die Donkosaken endlich unterkriegten. Doch geschickt ließen sie diesen Bauernsoldaten ihre alten Lebensformen und den Schein der alten Demokratie. Die Disziplin in den Kosakenregimentern war eine andere als in der ganzen kaiserlichen Armee. Wie zum Zeichen dafür durften die Kosaken auch im Dienst ihr langes Haar tragen, statt mit kahlen, glattrasierten Köpfen herumzulaufen wie alle übrigen russischen Soldaten.

Aus dieser besonderen Entwicklung heraus, aus den Lebensformen entstand auch der Typ des Donkosaken. Ueberschäumende Kraft, die sich auch in Gewalttat auslebte, doch auch strengste Disziplin im Dienst. Allen russischen Stäben waren immer Kosakenordonnanzen zugeteilt, welche die wichtigsten Aufgaben zu versehen hatten.

Aus diesem Lande, still und südlich, von diesem Strome, trügerisch ruhig und träge fließend, kommt Dimitri Schepilow. Wohl der erste russische Staatsmann vom Don. Denn der Don stellte bisher immer nur Soldaten.

Wir wissen noch nicht, wer die Eltern Dimitri Schepilows waren. Doch auf jeden Fall ist der Name Schepilow ein Kosakenname. Und äußerlich ist auch eigentlich Dimitri Schepilow der typische Donkosak: groß, breitschultrig, beinahe massig. In dem russischen Gesicht jene leichte orientalische Beimischung, die oft Donkosaken haben, denn sie brachten ja von ihren Feldzügen auch fremde Frauen mit.

Als Dimitri Schepilow zwölf Jahre alt war — ein A'ter- i“ welchem man im Dongebiet mit den militärischen Uebungen begann —, war die Revolution schon einige Monate im Gange. Wir treffen den jungen Dimitri erst Jahre später, als Mittelschüler und Mitglied des Kommunistischen Jugendbundes. Der Komsomolez Schepilow war ruhig, strebsam und zuverlässig. Kein Wunder, daß er nach Absolvierung der sowjetischen Mittelschule — etwa um 1924 — in die Partei aufgenommen wurde und nach einiger Zeit auch auf die kommunistische Universität kam. Das sind jene Hochschulen, auf welchen die geistige Elite des Komsomol und der Partei gesandt, auf denen die Kaders der höheren und hohen Parteifunktionäre herangebildet werden. An diesen Universitäten werden nicht nur gründlich Marx und Engel, Lenin und die Kirchenväter des Sozialismus studiert, sondern auch Philosophie, Geschichte (natürlich marxistische) und vor allem Nationalökonomie. Man eignete sich dort auch alle jene Kenntnisse und Fähigkeiten an, die für die Parteiarbeit notwendig sind.

Mit seinem Hochschulstudium war der heutige Außenminister gerade rechtzeitig fertig, als für die Absolventen der kommunistischen Universitäten besonders gute Aussichten bestanden. Die russische Intelligenz, die vor der Revolution ihre Ausbildung vollendet hatte, war als „bourgeoise“ Intelligenz den herrschenden Bolschewiken immer verdächtig, ja verhaßt. Diese Intelligenz sollte so schnell wie möglich durch eine neue, kommunistische, ersetzt werden.

Nach 1928 beschloß man, die Ablösung der alten Hochschullehrer zu beschleunigen. So wurde das „Institut der roten Professur“ geschaffen. In dieses Institut wurden besonders ausgesuchte Akademiker, die gut ausgewiesene Parteimitglieder waren, entsandt. Es war also eine Superhochschule, in die man erst kam, wenn man die normale Hochschule mit Auszeichnung absolviert hatte. Sie wollte die Hochschullehrer, Wissenschafter und Forscher heranbilden, die ganz vom Geiste des kommunistischen Regimes erfüllt waren. Nach 1934 aber schloß bekanntlich Stalin mit einer plötzlichen Schwenkung seinen Frieden mit der Intelligenz, machte sie zu einer moralisch, gesellschaftlich und materiell privilegierten Schicht.

Schepilow bewährte sich gut im Institut der roten Professur. Die eben geschilderte Entwicklung gab jedoch seiner Karriere eine andere Richtung als die eines Hochschulprofessors. Denn als Folge der Versöhnung des Regimes mit der Intelligenz ergriff nur ein Bruchteil der Absolventen dieses Instituts die akademische Laufbahn. Der größere Teil wurde, als besonders dazu geeignet, einfach auf höhere Staatsposten berufen. Eine Reihe der heutigen Sowjetdiplomaten, so auch Gromyko, entstammen diesem Institut.

Die Zeit, die Dimitri Schepilow formte, sind die Jahre zwischen 1928 und 1934.

Aus jenem Teil der Jungkommunisten, die in Staatsämter eingesetzt wurden, formte sich auch ein besonderer Menschenschlag. Ein alter deutscher Geheimrat, der um das Jahr 1927 die Sowjetunion bereiste, erklärte nachher, diesen jungen Beamten fehle nur die entsprechende Kleidung, die Schmisse und das Monokel, sonst wären sie vollendete königlich-preußische Referendare, so gefiel ihm die autoritative, wortkarge und distanzierte Art dieser jungen Beamten.

Schepilow wurde mehr irl wissenschaftlichen Instituten als in der Verwaltung beschäftigt. Diese Institute arbeiten die Gutachten aus und führen die Untersuchungen durch, auf Grund welcher die verschiedenen Abteilungen des Zentralkomitees der Partei arbeiten. So kommt schließlich Schepilow unter jene, die als „Ablösung“ vorgesehen sind. Unter jene, zu denen auch Malenkow gehörte, die planmäßig herangezogen werden, um die heutigen Leiter der Geschicke der Sowjetunion zu ersetzen. Jetzt steigt er rasch auf. Doch erst 1949 hört die breite Oeffentlichkeit das erstemal seinen Namen. Schepilow wird Leiter der Abteilung für Agitation und Propaganda des Zentralkomitees der Partei. Also so etwas wie ein Propagandaminister, doch etwas im Schatten, denn diese Abteilung der Parteizentrale lenkt in erster Linie die Propaganda in der Partei selbst und für die Partei. Dann untersteht ihr natürlich auch die allgemeine Leitung der Presse, sie nimmt Einfluß auf die Literatur und die Kunst. Doch man darf diese Stellung, so hoch sie ist, auch nicht überschätzen. Denn diese Abteilung arbeitet auf Grund genauer Direktiven des Politbüros. Und zu seinen Mitgliedern zählte ja Schepilow nicht. Er war übrigens auch in dieser Stellung noch „Lehrling der Staatskunst“. Die besondere Aufgabe, die er hatte, konnte er nicht erfüllen. Doch das war nicht seine Schuld, das lag an Stalin, dem Schepilow nie nahestand. Schepilow sollte die Zügel, die gleich nach dem Kriege dem sowjetischen Geistesleben, der Literatur und Kunst, scharf angezogen wurden, wieder lockern. Denn dieses Geistesleben drohte unter dem Gewicht der stalinschen Diktatur ganz zu ersticken.

Nach dem Tode Stalins wurde dann Schepilow Chefredakteur der „Prawda“. Die Sowjetpresse ist zentralistisch organisiert. „Iswestija“ ist das Zentralorgan der Regierung, „Prawda“ das zentrale Presseorgan der Partei. Jedes Wort, das man in der „Prawda“ liest, ist die Meinung der Parteileitung. Dem Chefredakteur obliegt es, diese Meinung der Parteileitung publizistisch zu vertreten. Er ist dem Leiter der Propagandaabteilung nicht unterstellt. Er verkehrt unmittelbar mit der Parteileitung, also mit dem Sekretariat der Partei selbst. Immer ist er Mitglied des Zentralkomitees. Schepilow stieg sogar eine

Stufe höher. Er wurde Ersatzmann im Parteipräsidium, wie jetzt das Politbüro heißt.

Es ist üblich, daß die Chefredakteure der „Prawda“ wie der „Iswestija“ Abgeordnete im Sowjetparlament, im „Obersten Sowjet“, sind. Auch Schepilow ist es. Das war bis jetzt seine staatliche Stellung. Der Oberste Sowjet besteht aus zwei Kammern: dem Sowjet der Union (entspricht etwa dem österreichischen Nationalrat) und dem Nationalitätensowjet (österreichische Analogie: Bundesrat). Schepilow sitzt im zweiten. Er ist einer der 25 Abgeordneten der Sowjetrepublik Rußland. Dieser Oberste Sowjet, obwohl er politisch nur eine immer ja sagende Attrappe ist, hat übrigens alles, was zu einem

Parlament gehört. Jeder der beiden Sowjets hat seine Ausschüsse. Schepilow war bisher Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Politik des Nationalitätensowjets. In dieser Eigenschaft und nicht als Chefredakteur der „Prawda“ begleitete er Chruschtschew und Bulganin als offizielles Mitglied der Delegation auf ihren Reisen. Als „Lehrling der Staatskunst“ studierte er rein praktisch das Handwerkliche außenpolitischer Verhandlungen. Es war damit noch nicht gesagt, daß er Außenminister werden sollte. Er konnte auch zum außenpolitischen Experten des Parteipräsidiums ausersehen sein. Nun ist Dimitri Schepilow Außenminister geworden. Zweifellos immer noch als eine Art fortgeschrittener Lehrling. Dem inneren Kern der Macht in der Sowjetunion steht er nahe, doch gehört er ihm noch nicht an. Er ist Ersatzmann im Parteipräsidium, doch nicht sein ordentliches Mitglied. Er nimmt an allen Sitzungen des Parteipräsidiums teil, doch normalerweise ohne Stimmrecht. Erst wenn ein ordentliches Mitglied abwesend ist, vertritt er dieses voll. Und das Parteipräsidium hat ja noch einen leitenden Kern: die fünf, sechs „Alten, Erfahrenen“. Schepilow steht erst am Rande der Macht. Er wird sich noch durchsetzen müssen, um an der Macht teilzunehmen.

Es wird auch keine schepilowsche Außenpolitik geben. Der Außenminister in der Sowjetunion ist nur der Vollzieher der Beschlüsse des Parteipräsidiums. Die Aufgaben, die Dimitri Schepilow zu erfüllen hat, sind organisatorisch-diplomatischer Natur. Es gab auch keine Außenpolitik seiner Vorgänger, Tschitscherins, Litwinows und Molotows. Doch jeder dieser Außenminister hat der ganzen Sowjetdiplomatie seinen Stil aufgedrückt. Unter Tschitscherin waren die Sowjetdiplomaten redselige russische Intellektuelle, die Kontakte suchten und Diskussionen leidenschaftlich liebten. Unter Molotow wurden die sowjetischen diplomatischen Missionen im Ausland zu unzugänglichen Festungen; der Typ des Sowjetdiplomaten: schweigsam, verschlossen, jeden Kontakt mit der Außenwelt vermeidend. Schepilow soll den diplomatischen Stil der Koexistenzpolitik schaffen. Also eine ähnliche Aufgabe erfüllen, wie sie ihm als Chef der Propogandaabteilung seinerzeit aufgetragen war. Ob er das mit den ihm zur Verfügung stehenden Menschen meistern kann, ist eine andere Frage. Doch von der Erfüllung dieser Aufgabe wird vor allem seine fernere Zukunft abhängen. Das wird aber erst dann sichtbar sein, wenn einer der „Alten“, Woroschilow, Molotow oder Kaganowitsch, aus dem Parteipräsidium ausscheidet. Rückt dann Schepilow zum ordentlichen Mitglied dieses Parteipräsidiums auf, dann bedeutet das, daß er sich dem Kern der Macht in der Sowjetunion wirklich nähert, und erst dann kann man von einer schepilowschen Außenpolitik zu sprechen beginnen.

Seine bisherige Karriere hat Dimitri nicht nur seiner zweifellosen Klugheit und Begabung zu verdanken, sondern wohl auch seinen pro-nonci erten Kosakeneigenschaften.

Wie bei vielen Vertretern der Kosakenintelligenz ist das Leidenschaftliche, das Ungestüme und die oft in Gewalttat sich auslebende überschüssige Kraft durch eine gewisse Kultiviertheit äußerlich verschwunden. Geblieben ist die Kosakendisziplin. So wie früher die Donkosaken dem Zaren dienten, ganz gleich wie er hieß und was er tat, wie sie die nationale russische und religiöse orthodoxe Ideologie diskussionslos für sich annahmen, so diente Schepilow nicht Stalin oder jemand anderem, sondern der Partei als solcher. Er vollzog den Willen der jeweiligen legalen Parteileitung. Diese Eigenschaft kann aber auch zum Stillstand der weiteren Entwicklung Dimitri Schepi-lows werden. Nicht umsonst ist er der erste Donkosak in einem der Ministersessel Rußlands. Nicht nur gewisse gesellschaftliche Vorurteile in den Salons des alten St. Petersburg waren ein Hindernis für den Aufstieg der Leute vom Don. Es ist bezeichnend, daß in den mehr als 300 Jahren, in welchen die Donkosaken für die Zaren kämpften, sie viele in ganz Rußland populäre Generäle hervorgebracht haben, wie in den napoleonischen Kriegen den Ataman der Donkosaken, Platow. Doch nie einen wirklichen Feldherrn. Immer erfüllten die Donkosaken nur Sonderaufgaben, die ein Nicht-kosak stellte. Es ist durchaus möglich, daß die zu große geistige und politische Disziplin auch Dimitri Schepilow daran hindern wird, vom Chef des sowjetischen diplomatischen Dienstes zum wirklichen Staatsmann, zu einem der Führer dieses großen Reiches aufzusteigen.

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