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Der dritte Band des Großen Brockhaus

19451960198020002020

Der Große Brockhaus. 16., völlig neubearbeitete Auflage in zwölf Bänden. Dritter Band D—Fa . Eberhard Brockhaus, Wiesbaden. 796 Seiten.

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Der Große Brockhaus. 16., völlig neubearbeitete Auflage in zwölf Bänden. Dritter Band D—Fa . Eberhard Brockhaus, Wiesbaden. 796 Seiten.

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Im Mittelpunkt dieses Bandes stehen die

Deutschland, den Deutschen, ihrer Geschichte, ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung, ihren geistigen Schöpfungen gewidmeten Artikel, die zusammen 108 Seiten umfassen. Kritik im einzelnen ist aber im Rahmen einer kurzen Anzeige ebenso wenig möglich wie Hervorheben der wertvollen Grundthesen. Dennoch seien wenigstens folgende allgemeine Einwände angemeldet: in der Sozial- und Ständegeschiehte überwiegt zu sehr der Nachdruck auf die wirtschaftlichen Momente, während der „ideologische Ueberbäu", der für die deutsche Entwicklung so wichtige Glaube an die geborene Führerschicht nicht klar hervortritt. Es muß aber gerade dieser Gegensatz zu den im Westen und im Süden sich früh durchsetzenden, auf die Antike zurückgreifenden Ansichten unterstrichen werden, weil darin die wesentliche Utsache des Auseinanderstrebens der französjsch-englisch-italienischen und der deutschen Zustände und politischen Anschauungen wurzelt. Aus dem, zu sparsamen, Literatürhinweis zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte ersieht man, daß eben über die grundlegenden Forschungen Schuhes, Dungefns und ihrer Nachfolger zur Tagesordnung iibergegangen worden ist. Um so entschiedener bejahen wir in allem Wesentlichen die im Lexikon gebotene .politische Geschichte, dann die der Kunst, mit kleinen Einschränkungen — Verkennen des österreichischen Vormärz, Ueberschätzung Reines als Wortkünstler; Schaukal, Kaßner überhaupt nicht erwähnt — die der Literatur. Größere Vorbehalte nötigt uns der Artikel über deutsche Philosophie ab. Klages, Jung, Vaihinger, Keyserling, Othmar Spann, Peter Wust, Guardini, Przy- •wara, Spranger nicht zu nennen, beim Wiener Kreis nicht einmal die Namen Ludwig Wittgenstein, Carnap und Schlick erläuternd hinzuzufügen, das sollte nicht sein.

Ein zweites Herzstück des Bandes linden wir in den Schlagworten Europa (unentschuldbar, daß bei der Literatur nicht das monumentale Hauptwerk von Gonzague de Reynold, noch O. Haleckis „Limits and divisions of European History" erwähnt sind; als Ganzes ist der Artikel vorzüglich) und „Europäische Literatur, Kunst, Musik" (Zeittafel). An dieser chronologischen Uebersicht, die 13 -Seiten umfaßt, haben wir zunächst ihr bloßes Vorhandensein, dann die hier leitenden Grundgedanken zu loben. Im einzelnen sind begreiflicherweise viele Ergänzungen zu machen, während manches, unseres Erachtens, fortzulassen wäre. Was haben zum Beispiel im Jahrzehnt 1811 bis 1820 unter literarischen Marksteinen, deren Rang etwa für England durch Byron, Shelley, Keats, Walter Scott, für Italien durch Manzoni und I.eopardi, für Rußland, durch Puskin, für Dänemark durch Kierkegaard bezeichnet wird, .Müllers „Schuld", Schenkendorfs „Gedichte", Arnims „Kronenwächter" zu suchen? Oder, um von anderen Gesichtspunkten aus Kritik zu üben: die polnische Literatur seit 1881, also seit ihrem neuerlichen Aufstieg, ist durch folgende Werke vertreten:Towianski „Schriften", Sienkiewicz

„Sintflut", „Herr Wolodyjowski", „Quo vadis", Wyspiariski „Die Warschauerin", Przybyszewski „Schnee", „Der Schrei", Kasprowicz „Einer untergehenden Welt", „Das Buch der Armen", „Meine Welt", Reymont „Die Bauern", Ossendowski „Tiere, Menschen, Götter’’. Von diesen zwölf Werken sind Ossendowski und die beiden Bücher Prybyszewskis fast vergessene Modeerscheinungen gewesen, „Herr Wolodyjowski" ist einer der schwächeren Romane Sienkiewiczs, Towianskis „Schriften" sind nicht des Erwähnens wert, Wyspiariskis „Warschauerin" ist zwar ein bedeutendes Drama, doch beiweitem nicht das beste des Autors, von Kasprowicz hätte es genügt, den ersten der hier genannten Lyrikbände zu verzeichnen. Et ist zusammen mit Reymonts ..Bauern" das einzige angeführte Werk von Weltklasse in dieser Aufzählung; „Sintflut" und „Quo vadis" mag man, das letztgenannte wegen seines Welterfolges, dazunehmen. Doch dafür fehlen die wahrhaft großen Prosaschöpfungen, vor allem Boleslaw Prus’ „Puppe" und „Pharao“, Sienkiewiczs „Mit Feuer und Schwert", der erste und überragende Band jener Trilogie, von der im Brockhaus die „Sintflut" und der stark abfallende ,,’Woledy-

jowski" herausgestellt werden; sodann Stefan Zeromski, mindestens mit „Heimatlosen Leuten", „Aschen" und „Vorfrühling" zu nennen, Wyspiariskis „Hochzeit", das bedeutendste polnische Drama seit einem Jahrhundert, Kaden-Bandrowskis „General Barcz" und Maria Dabrowskas „Nächte und Tage". Aehnliche Verrückung der Proportionen haben wir bei der tschechischen Literatur konstatiert, während die ungarische, ihrem Reichtum zum Trotz, seit Petöfi, Madäch und Jokai durch Abwesenheit glänzt. Besser steht es um das italienische Schrifttum, obzwar auch da entscheidende Werke wie Päpinis „Uomo finito" fehlen, um die französische Literatur, obwohl hier Péguy und Maurras übergangen sind.

Nun noch ein Kapitel, das für den Rezensenten wie für die Redaktion eines. jeden Lexikons gleichermaßen unangenehm ist, das der Lücken in der Nomenklatur. Wir möchten uns aufs Biographische beschränken. Wenn wir hier Ergänzungen bringen, die unserer Ansicht nach wünschenswert wären, so begegnen wir dem von vornherein zu erwartenden Einwand dämit, daß wir die Platznot eines zwölfbändigen Lexikons wohl kennen, daß aber durch Weglassen mancher überflüssiger Gäste in dieser gedruckten Walhalla und durch Beschränkung des anderen Koryphäen gewährten Raumes Seiten und Zeilen eingespart werden könnten, die dann den bisher Abwesenden zur Verfügung stünden. Natürlich ist es umstreitbare Ansichtssache, inwieweit jemand in den Großen Brockhaus hineingehört. Wir möchten auch nur Vorschläge anmelden. In den seltenen Fällen, bei denen wir die Nichterwähnung für unverzeihbar halten, merken wir das gesondert an, nämlich hei folgenden Personen:MariaDabrowska,Polens große Erzählerin, der französische Staatsmann Herzog Descazes, die Zentralgestalt der Restauration, der tschechische Dichter Jakub Demi, der französische Historiker Ernest Denis, Masaryks Freund und der entscheidende Fürsprecher der Aufrichtung eines Tschechenstaates, noch vor dem Ersten Weltkrieg, der belgische Reformsozialist De Man, General Desaix, der Held der französi-

schen Aegyptenexpedition, der österreichische Staatsmann Doblhoff, der Komödiendichter und Vater der Kabarettkleinkunst Maurice Donnay, der berühmte französische Seeheld Duquesne, der polnisch-österreichische Staatsmann, langjährige Finanzminister~ und Retter des k. k. Staatshaushaltes Dunajewski, der Staatsmann und Historiker des alten Rom Duruy, der gefeierte Entomolog J. H. Fahre, Marschall Fabert, der Komponist Gabriel Faure. Des weiteren empfehle sich die Aufnahme von: Joseph Delteil und Lucien Des- caves, französische Schriftsteller, Dennery, König dee populären Sensationsromane, General Dem-

brnski, polnischer Feldherr, Derschatta, deutsch- österreichischer Politiker, Erna Destin, Operadiva, Gustav Dtoz, Autor des so vielgelesenen „Monsieur, Madame et Bebé", Ernest Drurnont. Pole- ntist und Autor der „France Juive", Karl Doma- nig, österreichischer Dichter, Dschambul, der hundertjährig verstorbene kakstansche Poet und Politiker, Dschemal Pascha, jungtürkischer Führer, Dschilas (Dzilas), jugoslawischer Politiker, Pierre Duhem, Philosoph, Dvornik, tschechischer Historiker, Otto v. Düngern, überragender Rechtshisto- liker, J, B. Dumas, Chemiker von Rang, Duguey-

Trouin, französischer Seeheld, Dygasiftski, bedeutender polnischer Erzähler, Dzieduszycki, österreichisch-polnischer Politiker und Minister von großem Einfluß unter Franz Joseph I., Ebenhoch, Leader der katholischen Partei zu jener Zeit, F.ftimiu, rumänischer Dichter, Oskar Eberle, Schweizer Theatermann, der französische Rechtshistoriker Esmain, der tschechische Politiker und Schriftsteller Drda, der bulgarische Staatsmann Dragomonov, der französische Kritiker Emile Faguet und der Literaturhistoriker Bernard Fay.

Univ.-Prof. Dr. Otto Forst de Battaglia

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