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Der Feldherr der Habsburgermonarchie

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Feldmarschall Conrad. Auftrag und Erfüllung. 1906 bis 1918. Von Oskar Regele. Verlag Herold, Wien-München. 611 Seiten, 80 Abbildungen. Preis 158 S

Der verdiente Leiter des Wiener Kriegsarchivs, als hervorragender Historiker und als gewesener Generalstäbler doppelt zu dieser Aufgabe berufen, hat es unternommen, die Leistung des Feldmarschalls Grafen Conrad von Hötzendorf kritisch zu würdigen, die der letzte große Feldherr der einstigen Donaumonarchie in den schicksalhaften Jahren von 1906 bis 1918 vollbracht hat. In jener Zeit war der Held dieses Buches zweimal, vom 18. November 1906 bis zum 3. Dezember 1911 und vom 12. Dezember 1912 bis zum 1. März 1917, Chef des k. u. k. Generalstabs für die gesamte bewaffnete Macht bzw. des Generalstabs des Armeeoberkommandos. Zwischen beide Amtsperioden schiebt sich ein einjähriges Intermezzo als Armeeinspektor ein, und den Epilog bildet der Oberbefehl über die Heeresgruppe Conrad, die zusammen mit der Heeresgruppe Boroevic die letzte Offensive gegen Italien unternahm; die Tätigkeit als Oberster sämtlicher Leibgarden, zu welcher leeren Würde der gleichzeitig mit dem Grafentitel ausgezeichnete Feldmarschall erhoben wurde, reiht sich als Satyrspiel vom 15. Juli 1918 bis zum 11. November desselben Jahres an, dem Sterbetag des Kaiserstaats. Von die-dtn zwölf Jahren und nur von ihnen berichtet Regele; mit einer verstehenden Eindringlichkeit, mit einer Weite des Horizonts und mit einer vollkommenen Sachkenntnis, die ihresgleichen suchen. Hier bewährt sich der einstige Offizier und der Geschichtsforscher auch als Politiker, der imstande ist, Conrad, der ebenfalls — notgedrungenerweise, doch dazu aus angeborener Begabung und Neigung — ein Staatsmann war, zu begreifen.

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Der Generalstabschef war wohl kein „politischer General“, wie Ludendorff und Schleicher oder wie in Frankreich einst Boulanger und später de Gaulle; er strebte nicht darnach, als verantwortlicher — oder unverantwortlicher — Regierungschef den Staat zu lenken oder eine Partei zu führen. Doch er hatte klare Konzeptionen, vor allem auf dem Gebiet der Außenpolitik und, mit diesen zusammenhängend, über die Grundlagen der inneren Organisation Oesterreich-Ungarns. Diese Konzeptionen waren alt-österreichisch in dem Sinne, als sie die Linie Prinz-Eugen-Kaunitz-Metternich-Schwarzenberg fortsetzten und sich mit den Ansichten des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand wie mit denen des sogenannten Belvedere-Kreises begegneten, freilich ohne sich mit dem föderalistischen Plan des Toten von Sarajewo zu decken. Conrad war also Anhänger des deutschen Bündnisses, nicht aber einer Sekundantenrolle, die den Habsburgerstaat dem Wilhelminischen Reich unterordnete. Er hegte berechtigtes Mißtrauen gegen die Allianztreue Italiens und im Herzensgrunde, den Eingeweihten unverborgen, Träume von einer Wiedereroberung Venetiens und der Lombardei. Er wünschte, wenn irgend möglich, eine Verständigung mit Rußland, doch war er frei von jeder Abneigung gegen Frankreich oder Großbritannien. Obzwar er sich volksmäßig dem Deutschtum eingeordnet empfand, blieb er vornehmlich, wenn nicht einzig, übernationaler Oesterreicher. Er war von gefühlsmäßiger Abneigung gegen einzelne Nationen der Monarchie nicht gefeit: Polen und Madjaren waren ihm so wenig sympathisch wie dem Erzherzog-Thron-folser. Doch er wollte keinerlei Unterdrückung eines Volkes; die Hegemonie der österreichischen Deutschen hat er zwar nicht ausdrücklich gefordert, doch

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sie lag stillschweigend in seinen sonstigen Ansichten begründet, womit auch der Zentralismus gegeben war. Darin unterschied sich Conrad von Franz Ferdinand, ohne daß dies zu Konflikten geführt hätte. Auch die weltanschaulichen Gegensätze zwischen dem Kronerben und dem agnostischen General störten nicht das gute Verhältnis beider. Conrad drängte sich mit seinen Meinungen nie auf, solange es nicht um seine eigentlichen Kompetenzen ging: die Wehrbereitschaft, die Sicherheit der Doppelmonarchie gegenüber äußeren Feinden und der Schutz vor inneren Widersachern. Wo diese beiden Probleme zur Erörterung standen, da war der Feldmarschall unbeugsam. Wer über sie anders dachte als er, den betrachtete er als zu bekämpfenden Schädling.

Das galt besonders für den Außenminister Grafen Aehrenthal, dem Conrad gefährliche Illusionen über die Absichten der natürlichen, unversöhnbaren Feinde der Doppelmonarchie vorwarf. Der Generalstabschef glaubte nicht an die Möglichkeit, den Frieden auf längere Zeit zu erhalten; er wollte vorsorglich den von ihm als unabwendbar angesehenen Kampf ums Dasein Oesterreich-Ungarns zu einem Zeitpunkt beginnen, da noch Aussicht war, ihn günstig zu bestehen. Conrad drängte ferner darauf, die durch den Gegensatz zum Habsburgerreich und durch die Absichten auf dessen Erbe miteinander verknüpften Länder getrennt auszuschalten, ehe sie sich zu einer übermächtigen Koalition vereint hätten. Mit Italien, dem unzuverlä-sigen Bundesgenossen, begehrte er, nennen wir das Kind beim rechten Namen, einen Präventivkrieg. Rußland dagegen hätte er gerne von einem Waffengang abgebracht, bei dem die Chancen für Oesterreich-Ungarn schlecht waren. Der Mehrfrontenkrieg raubte als Gespenst Conrad

die Nachtruhe. Er hat ihn dennoch nicht vermeiden können. Und das war nicht im leisesten seine Schuld. Als dieser verhängnisvolle Kampf zur Wirklichkeit wurde, hat der Feldherr alles getan, um an Deutschlands Seite Widerstand zu leisten. Regele, dem es nicht schwerfällt, die Richtigkeit der Hauptansichten des Generalstabschefs über die militärpolitische Lage zwischen 1906 und 1914 zu erweisen, selbstverständlich vom altösterreichischen Standort aus — vom Standpunkt der nationalen Irredenten bekämen die Dinge allerdings ein erheblich anderes Aussehen —, hat das schwierige Vorhaben nicht minder gut gelöst, Conrad als überragenden Strategen darzutun, obgleich der k. u. k. Armee der Enderfolg versagt war.

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Den flach denkenden oder den gedankenlos Gemeinplätze nachplappernden Urteiler wird immer wieder die Lust packen, sich mit Mark Twain über die geschlagenen Heerführer lustig zu machen, die — wie der britische Feldmarschall Wolseley, das Urbild des Helden beim amerikanischen Satiriker — durch eine Reihe von Niederlagen den Ruf großer Strategen erwarben, oder zu spotten, der glänzendste Feldherr aller Zeiten sei ein Hausierer in einer amerikanischen Kleinstadt gewesen; er sei nur nicht dazu gekommen, sein Talent zu bewähren. Der Historiker wird eher dem alten Cato beipflichten, dem die besiegte Sache besser gefiel als die von den Göttern mit Sieg gekrönte und ihnen genehme; nämlich dann, wenn der geniale Planer, der vortreffliche Organisator an der Tücke des Objekts und vieler erbärmlicher Subjekte scheitert. Bei Conrad lagen die letzten Ursachen seines schließlichen Mißerfolgs in zwei Umständen; zitieren wir nochmals die alten Römer mit ihrer hohen Weisheit: „Nec Fleracles contra plures“ oder auch der Stärkste, der Beste vermag nichts wider die erdrückende Uebermacht, sodann: „Concordia parvae res crescunt, discordia maximae dilabuntur“, Uneinigkeit zerstört die mächtigsten Gemeinschaften. Die k. u. k. Armee hat im ersten Weltkrieg glänzende Siege erfochten, die der vorbildlichen Planung des Generalstabs, keineswegs — welche Behauptung Conrad bis an sein Lebensende so oft verletzte — stets dem deutschen Rat oder Oberbefehl zu danken waren und die Zeugnis vom Mut und vom Opfergeist der Offiziere und der Mannschaften ablegten. Haperte es aber mit der Ernährung, war die Kampfmoral zersetzt, dann vermochte auch das herrlichste Genie nichts mit einer zermürbten Truppe anzufangen oder, wie bei der Offensive gegen Italien, die Anfangssiege blieben ohne Fortsetzung, ein Leerlauf trat ein. Wie sehr die Propaganda der nationalen Irredenten in den beiden letzten Jahren des ersten Weltkrieges sich auf das k. u. k. Heer ausgewirkt hat, das kann kaum überschätzt werden. Indem man diese beiden Krebsübel der österreichisch-ungarischen Armeee aus der Zeit von 1914 bis 1918 gebührend beachtet, wird die gewaltige Leistung Conrads zwiefach sichtbar. Sie erscheint bei Regele auf dem Hintergrund eines sehr umfänglichen Quellenmaterials, unter dem neben den Generalstabsakten und den Feldakten des Kriegsarchivs dessen gesondertes Conrad-Archiv, dann die Ministerratsakten des Haus-, Hof- und Staatsarchivs, die Aufzeichnungen des Feldmarschalls und die Erinnerungen Theodor von Zeyneks hervorzuheben sind. Auch die Literatur ist in weitem Umfang benutzt. Dabei fällt neues Licht auf so wichtige Fragen, wie die Beziehungen zwischen den Heeresleitungen der beiden Mittelmächte, das Ringen Conrads mit Aehrenthal, die gesamte Kriegführung auf dem östlichen Kampfschauplatz, die österreichische Politik gegenüber Polen und Ukrainer während des ersten Weltkrieges, die Wiener Absichten gegenüber Serbien. Von kapitalem Wert sind die sachkundigen Darlegungen über Geist, System, Ausrüstung, Vorzüge und Schwächen des k. u. k. Heeres. Das Charakterbild Franz Josephs und Franz Ferdinands gewinnt durch Regeies Buch wesentliche Ergänzungen. Am meisten erfahren wir begreiflicherweise über Conrad selbst, den der Autor zutiefst in seiner antiken Größe erfaßt hat. Es ist ein Beweis für derlei einfühlsames Verstehen, daß Regele “zum Motto seines Werkes diesen Satz gewählt hat, der uns den Feldmarschall mit dessen eigenen Worten schildert: „Der klare, entschlossene Mensch wirft seine Persönlichkeit hinein in das wogende Meer des Lebens, unbekümmert, ob er durch eine hochgehende Welle emporgetragen oder durch einen tötenden Wirbel in den Grund gezogen wird.“ Das ist die Weltanschauung eines Stoikers, der sich selbst gegenüber der von ihm verteidigten Sache wenig achtet und der die Menschen verachtet. „Mir sind am kongenialsten die ernsten, düsteren, in sich gekehrten, die Welt geringschätzenden Menschen“, äußert Conrad über seine Art. Daß beim Zusammenstoß dieser herben Natur, einer rezessiven Variation des dominant heiteren, extravertierten Oesterreichers, Funken sprühen mußten, ist begreiflich. Daß er dennoch von seinen Untergebenen sehr verehrt wurde, bezeugt aber die suggestive Kraft seiner Persönlichkeit. Den Halben, den Hinsichtl und Rück-sichtl, den Anpassern, den Beschwichtigungshofräten und den Fortwurschtlern war er ein Greuel. Er fand aber auch erbitterte Gegner an sittlich hochstehenden Bekennen anderer nationaler, staatlicher, gesellschaftlicher Ideale, wie etwa an ungarischen Staatsmännern, an Polen, Tschechen und Südslawen. Ueber diesen letzten Punkt hätten wir gerne mehr bei Regele gelesen: das und ein sichtbares Streben, das Unchristliche vieler Gedankengänge Conrads zu verdecken, wären die einzigen bescheidenen Einwände,

die wir gegenüber der meisterhaften, stoffprallen Darstellung des Autors anzumelden hätten. Denn einem Werke dieses Formats die falsche Schreibweise mancher slawischer Namen anzukreiden, die Listen der aus Oesterreich-Ungarn stammenden sukzessionsstaatlichen Prominenzen — durch Maniu, KoroSec, Macek, Sikorski —, die der Dichter der untergehenden Habsburgermonarchie — durch Musil und Joseph Roth — zu ergänzen, das dünkte uns kleinlich im Rahmen einer allgemeinen Besprechung. So bleibt dem Rezensenten nur übrig, die Freude zu gestehen, die er bei der erhebenden, fesselnden Lektüre dieses schönen Buches empfunden hat; eines Denkmals des ewigen Oesterreichs, das gleichermaßen dem Ehre macht, dem es gilt, und dem, der es geschaffen hat.

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