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Der Friede

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„Ernst Jünger, als Hauptmann im Stöbe des Militärbefehlshabers Frankreichs tätig, überbrachte in den Maitagen 1944 seine fertiggestellte Friedensschrift, deren Grundgedanken er mir bereits im Winter 1941/42 entwickelt hatte. Generalfeldmarschall Rommel wurde von seinen Gedanken, insbesondere den konstruktiven Aufbauplänen mit der Forderung der Vereinigten Staaten von Europa im Geiste christlicher Humanitas, sehr beeindruckt und stimmte diesem historischen und menschlichen Dokument zu. Wir sahen die Veröffentlichung auf breitester Basis zu gegebener Stunde vor. In dieser apokalyptischen Zeit mit ihren furchtbaren Belastungen haben die Jüngerschen Ideen vom Frieden mit einer fast mystischen Gewalt gewirkt und sich ihre Organe geschaffen.“

Generalleutnant Speidel, Chef des Generalstabes

Wenn die Bekämpfung des Nihilismus gelingen soll, so muß sie sich in der Brust des einzelnen vollziehen. Ein jeder war mitschuldig, und es gibt keinen, der nicht der Heilung bedürfte, die durch die Welt des Schmerzes vorbereitet ist.

Hiezu ist nötig, daß auch im Leben des einzelnen die Technik in ihr Gebiet verwiesen wird, genau so, wie es in der Staatsverfassung geschehen muß. Die Mittel und Methoden des technischen Denkens dürfen nicht dorthin übergreifen, wo dem Menschen Glück, Liebe und Heil erwachsen soll. Es müssen die geistig-titanischen Kräfte von den menschlichen und göttlichen getrennt und ihnen unterstellt werden.

Das ist nur möglich, wenn die Menschen sich metaphysisch stärken.

Das Weltbild hat sich seit Kopernikus geöffnet und mit ihm die Pforten zu Dämonenreichen, zu rein mechanischen Insektenwesen und mörderischer Anarchie, wie sie die Visionen von Bosch und seinen Schülern voraussahen. Daß diese Pforten sich schließen werden, kündet sich in den Wissenschaften an, in denen die Horizonte sich runden und festigen. Wer philosophisch, wer als Künstler, wer in den Einzelwissenschaften heute zu den Eliten zählt, ist auch am nächsten am Unerklärlichen — dort, wo Erkenntnis der Offenbarung weichen muß.

Gleichzeitig ist die Gefahr so groß geworden, daß man vom einzelnen Entscheidung, das heißt Bekenntnis verlangen muß. Wir haben den Punkt erreicht, an dem vom Menschen, wenn noch nicht Glauben, doch Frömmigkeit, Bestreben, im höchsten Sinn gerecht zu leben, gefordert werden kann. Die Toleranz muß ihre Grenzen haben, und zwar insofern, als den Nihilisten, den reinen Technikern und den Verächtern jeder verbindenden Moral die Menschenführung nicht zugebilligt werden kann. Wer nur auf Menschen und Menschenweisheit schwört, kann nicht als Richter sprechen, wie er als Lehrer nicht weisen, als Arzt nicht heilen und als Beamter dem Staat nicht dienen kann. Es führen diese Existenzen auf Wege, die damit enden, daß Henker die Herren sind.

Es handelt daher der Staat zu seinem eigenen Wohle, wenn er nicht nur die großen Heilslehren fördert, sondern wenn er zugleich nur jenen seiner Bürger, die sich zum Glauben an eine höhere als an die menschliche Vernunft bekennen, Vertrauen schenkt. Im Maße, in dem sich das verwirklicht, wird auch das Sinken des Nihilismus, das Schwinden der Wüste zu erkennen sein — genau so, wie die Glaubensverfolgungen dort blühten, wo er am stärksten war.

Immer ist ja der Staat auf Glauben angewiesen, wenn er nicht in kurzer Zeit verfallen oder sich in Feuer verwandeln will. So sahen wir ihn Ehrfurcht vor sonderbaren Dingen fordern — vor Theorien, die sich die Landschullehrer vor fünfzig Jahren an den Stiefelsohlen abgelaufen hatten, vor materialistischen Philosophemen und vor dem Geschreibsel verblasener Gehirne, vor seinen Maschinen und Konstruktionen, kurzum vor Fetischen des Geistes jeder Art. Und unermüdlich sah man die Propaganda tätig, diese Narrengewänder auszuflicken, die der gesunde Verstand gleich dem Gewebe der Penelope allnächtlich wieder auflöste. Träume sind wirklicher als dieser Wind.

Der Mensch ist willig, und es wird sich lohnen, wenn man ihn vom Absurden zur Wahrheit kehrt.

Die wahre Besiegung des Nihilismus und damit der Friede wird nur mit Hilfe der Kirchen möglich sein. Genau so wie die Zuverlässigkeit der Menschen im neuen Staate nicht etwa auf seiner Internationalität, sondern auf seiner Nationalität beruht, muß seine Erziehung auf Bekenntnis, nicht aber auf Indifferenz gerichtet sein. Er muß die Heimat kennen, und zwar im Raum wie im Unendlichen und in der Zeit wie in der Ewigkeit. Und diese Bildung zum vollen Leben, zum ganzen Menschen muß wurzeln auf höherer Gewißheit, als sie der Staat mit seinen Schulen und Universitäten begründen kann.

Dazu bedürfen auch die Kirchen der Erneuerung, und zwar in jenem Sinne, der zugleich die Rückkehr zu den Fundamenten in sich schließt, denn jede echte Gesundung, jedes neue Leben muß auf die Quellen zurückgreifen.

Der Mensch von heute will glauben; er hat das durch die Kraft' bewiesen, mit der er seinen Sinn selbst an das Absurde, an flüchtige Hirngespinste heftete. Doch ist er ein rationales Wesen, das es zunächst auf rationale Weise zum Heil zu wenden gilt. Um dem gerecht zu werden, darf freilich nicht mehr das theologische ein Studium zweiten Ranges sein. Es müssen vielmehr der Theologie als oberster der Wissenschaften nicht nur die besten Herzen, sondern auch die besten Köpfe, die feinsten Geister zuströmen — jene, die in den Einzeldisziplinen und selbst in der Philosophie nicht Ihr Genügen finden, sondern die dem Ganzen, dem Universum zugeordnet sind.

Dann handelt es sich auch nicht mehr darum, die Ergebnisse der Einzelwissenschaften zu widerlegen, sondern sie auszuwerten, sie zu überflügeln nach Pascals Art. Erst so auch werden die Wissenschaften nicht geistig, sondern selbst ökonomisch fruchtbar, bewahrt vor jenem seltsamen Verluste, der trotz wachsender technischer Leistung den Menschen immer mehr beraubt. Es ist, als gösse er Wasser in einen Krug, von dem er nicht sieht, daß er in Scherben liegt. Ein solcher Zustand ist nur zu heilen durch Geister, die im Ganzen der Schöpfung leben, nur dort ist Uberfluß.

Das macht begreiflich, warum der Staat vor allen Forschungen und Studien dem theologischen als der Ermittlung der höchsten Gültigkeit Vorrang gewähren muß. Der Staat, wie alle Bauten von Menschenhand, muß sich am hohen Bau der Schöpfung Maß nehmen.

Aus Ernst Jüngers Aufruf „Der Friede“, mit Bewilligung der Amandus-Edition, Wien,

Schriftenreihe „Symposion“.

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