6539820-1946_34_13.jpg
Digital In Arbeit

Der Friede von Prag

Werbung
Werbung
Werbung

„II mondo casca!“ — „Die Welt stürzt zusammen!“ — rief Kardinal-Staatssekretär Antonelli erschreckt aus, als er am 4. Juli 1866 die Nachricht erhielt, daß tags vorher die kaiserliche Armee auf dem nebelverhangenen Schlachtfeld von Königgrätz tapfer fechtend den preußischen Waffen unterlegen war. Sieben Wochen später, nun vor 80 Jahren — am 23. August 1866 — wurde zu Prag Friede geschlossen: Österreich schied aus dem Deutschen Bund aus.

Das Wort von Pius IX. klugem Minister sollte nur zu wahr, sollte eine verhängnisschwere Prophezeihung sein. Der Prager Friede entschied nicht nur den Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland oder die großdeutsche Frage im kleindeutschen Sinn — weit über die zeitgebundene Bedeutung politischer Eintagsfragen hinaus wurde damals die alte, in der Tat bessere Zeit zu Grabe getragen. Ist den heute Lebenden der Name „Königgrätz“ auch kein festumrisse-ner Begriff mehr wie ihren Großvätern, so bluten jetzt noch, achtzig Jahre nach dem Ereignis, Österreich und Europa aus den unverheilten Wunden des ersten Blitzkrieges in Böhmen.

Damit ist die Problemstellung skizziert.Ein unerbittlich folgerichtiges Geschehen führt uns von Königgrätz über die Leichenfelder des ersten zu den Massengräbern unter Trümmerhaufen des zweiten Weltkriegs.

Auf dem Wiener Kongreß hatte die Staatskunst Fürst Metternichs und Lord Castlereaghs das aus den Fugen geratene Europa sinnvoll wieder zusammengefügt. Die von ihnen geschaffene Pentarchie der Heiligen Allianz verbürgte für ein halbes Jahrhundert den Frieden der Welt nach dem Niederbruch des napoleonischen Tota-litarismus. Der auf den Trümmern des Heiligen Römischen Reichs erwachsene Deutsche Bund war ein Element der Ruhe. Es kann uns Österreichern höchstens eine melancholische Befriedigung bedeuten, daß heute — nach dem kurzen Traum des Bismarckschen „Zweiten“ und dem zwölfjährigen Alpdruck des tausendjährigen „Dritten“ Reiches — die aufbauend-fried-liche Metternichsche Lösung der deutschen Frage, frei von imperialistischen Tendenzen und innerer Reformen durchaus fähig, wieder auf der Tagesordnung steht.

Lord Castlereaghs unzeitiger Tod machte der glückhaften Zusammenarbeit Großbritanniens und Österreichs ein Ende. Seine Nachfolger Canning und insbesondere Lord Palmerston wandten sich von der Kontinentalpolitik ab, die England seit dem Frieden von Ryswijk so erfolgreich verfolgt hatte. Palmerstons antiösterreichische und italienfreundliche Einstellung, das zweite französische Kaiserreich, das die Fahne des Nationalkmus vorantrug, unterstützten eine Ideenentwicklung, die nach einem Jahrhundert in der höchsten Überspitzung des Nationalismus, der Gedankenwelt Hitler-Deutschlands, gipfelte.

Bei seinem ersten mächtigen Vorbrechen in Europa mußte der Nationalismus sich fast zwangsläufig auf jene übernationale Macht stürzen, die ihn zu widerlegen schien, auf das völkerverbindende, gegen Preußen gewichtsausgleichende, die Gegensätze zwischen West und Ost überbrückende Österreich. Man entsinnt sich eines Witzwortes aus dem Jahre 1920: „Fünf Jahrhunderte österreichischer Verwaltung haben die Triestiner nicht zu Österreichern gemacht — drei Monate italienischer Herrschaft genügten dazu.“

Von den drei Kulminationsphasen, die der preußisch-österreichische Gegensatz in zweieinhalb Jahrhunderten, von 1701 bis 1945, durchlaufen hat, beschäftigt uns hier die mittlere, ausgehend von der Revolution des Jahres 1848. Auf der Frankfurter Nationalversammlung siegte der kleindeutsche, auf Ausschluß Österreichs aus dem Deutschen Bund zielende Gedanke, so daß die „erbkaiserliche“ Partei im Frühjahr 1849 dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. die deutsche Kaiserkrone antragen konnte. Er schlug sie aus, zielbewußt, daß Preußen für ein Erbkaisertum und ein Großdeutschland mit Einschluß Österreichs zu schwach sei. Er suchte vielmehr eine gegen Wien gerichtete kleindeutsche Politik zu realisieren, indem er auf den Bahnen des deutschen Zollvereins von 1833 fortschreitend eine „Union“ der norddeutschen Staaten unter preußischer Führung zustande zu bringen strebte. Preußens leitender Staatsminister von Radowitz rechnete bei diesem Unternehmen, Österreich schrittweise aus Mitteleuropa zu verdrängen, auf die Schwierigkeiten, mit denen die Monarchie in ihrem Innern zu kämpfen hatte; zunächst, begünstigt durch die Revolution Ludwig Kossuths, schien das Kalkül des Herrn von Radowitz richtig zu sein, aber es war ein gefährlicher und verantwortungsbeladener Weg, den Preußen beschritten hatte: Nach der Pazi-fizierung Ungarns, 1850, schien die Gefahr einer bewaffneten Auseinandersetzung mit Preußen nahegerückt. Schon war in Böhmen unter dem Kommando Radetzkys eine starke Armee zusammengezogen worden. Die überlegene Staatskunst des österreichischen Ministerpräsidenten Fürsten Felix Schwarzenberg bewahrte den Frieden: Radowitz schied von seinem Posten und der neue Mann Otto von Manteuffel unterzeichnete am 29. November 1850 zu Olmütz jene „Punktationen“, denen zufolge Preußen die Unionsbestrebungen aufgab und der Wiederherstellung der Bundesakte vom 9. Juni 1815 zustimmte. Mit der Bestellung des Prinzen Wilhelm zum preußisdien Regenten, 1858, der Schaffung des „Nationalvereins“, 1859, und insbesondere der Ernennung Ottos von Bismarck zum preußischen Ministerpräsidenten, 1862, trat das Ringen in einen neuen Abschnitt. Der Frankfurter Fürstentag, auf dem Kaiser Franz Joseph aus persönlicher Initiative eine friedliche Lösung der deutschen Frage versuchte, kam 1863 durch Preußen zum Scheitern. Es war kein glücklicher Entschluß der österreichischen Politik nach diesen Vorgängen 1864 mit Preußen zu gemeinsamem Vorgehen gegen Dänemark in der schleswig-holsteinischen Frage — einem „Asservat“ von 1848 — anzutreten. Die Eroberung der beiden Herzogtümer wurde zum Ausgangspunkt des entscheidenden Konflikts. Zunächst suchte der Vorschlag des österreichischen Außenministers Grafen Bernhard Rechberg, die Kompensationsansprüche des Kaiserstaats durch Abtretung der bastionartig von Schlesien nach Böhmen vorspringenden Grafschaft Glatz abzufinden, die Auseinandersetzung aus der kritischen Gefahrenzone zu entrücken. Doch der Vorschlag wurde von Preußen abgelehnt und in der Gasteiner Konvention vom 14. August 1865 übertrug man die Verwaltung Holsteins Österreich, jene Schleswigs aber Preußen, bis zur Entscheidung, ob der legitime Anwärter auf die beiden Provinzen, der Herzog von Augustenburg, sie auch erhalten solle. Wie vorauszusehen war, mußte eine solche Zusammenarbeit mit Preußen zu neuen Konflikten führen. Als FML. Baron Gablenz, der österreichische Gouverneur, die holsteinischen Stände nach Itzehoe einberief, erklärte Preußen dies für einen Bruch der Gasteiner Konvention und ließ seine Truppen in Holstein einrücken. Nun brachte Österreich den Streit vor den Frankfurter Bundestag, der am 14. Juni 1866 mit überwältigender Mehrheit gegen Preußen stimmte. Sämtliche Mittelstaaten: Bayern, Württemberg, Sachsen, Hannover, Kurhessen, Baden, standen auf Seiten Österreichs.

Der Casus belli war gegeben. Bismarck leitete das Zeitalter der „Hemdärmeligkeit“ in der Diplomatie ein: die Kriegserklärung wurde von preußischen Truppen erst am 21. Juni bei Überschreiten der österreichischen Grenze bei Nachod und Oswiecim überreicht.

Eine einzige Tatsache beleuchtet blitzartig Preußens Entschlossenheit zum Kriege wie Bismarcks genaue Berechnung. Am 8. April 1866, zweieinhalb Monate vor Kriegsausbruch, unterzeichnete der preußische Gesandte von Usedom zu Florenz ein auf drei Monate berechnetes preußisch-italienisches „Offensiv- und Defensivbündnis“ gegen Österreich.

Der Friede von Pra entlastete Österreich aus seiner uralten, ehrenreichen, aber fast zu allen Zeiten undankbaren Stellung im deutschen Räume. Aber er nahm Europa das stetige Gleichgewicht, das der konservative Völkerstaat Österreich der Mitte Europas und damit dem ganzen Kontinent gegeben hatte. Zugleich war es nur eine halbe Lösung gewesen: Österreich war zwar aus dem Deutsdien Bunde ausgeschieden. Aber es war zufolge dieser Lage und des Ubergewichtes, das von 1870/71 an PreußenDeutschland hatte, nicht imstande, allein seine eigenen Wege zu gehen, ohne neue Kriege hervorzurufen. Daraus erwuchs zwangsläufig jenes Bündnis, das eine Katastrophe im ersten Weltkrieg erlitt und die Atmosphäre für die folgenden Pariser Friedensverträge schuf, deren Fehler für die ganze Welt verhängnisvoll werden sollten.

Wäre es nicht an der Zeit, daß nach Schopenhauers Ausspruch endlich der denkende Kopf kommt, der nach hundert Jahren die Akten revidiert?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung