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Der große Traum

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Die weltliche Schatzkammer in Wien zeigt seit kurzem wieder die österreichische Kaiserkrone. In einem Rahmen, der alle ihre Beziehungen, ja ihren Symbolgehalt zutage treten läßt: an der Rückwand des Raumes befinden sich die Vitrinen mit den barocken Nachahmungen der römischen Kaisergewänder. Ihnen zu Seiten die Gewänder der Herolde des römischen Kaisers und deutschen Königs, aus schwarzer Seide mit Goldstickerei den Doppeladler zeigend. Ihnen angefügt die Wappenröcke der Herolde von Oesterreich, Böhmen und Ungarn. Auf der einen Seite des Raumes die Büste Rudolphs II., der die Krone anfertigen ließ. Auf der andern Seite in einer Vitrine die Krone des Siebenbürgers Stephan Bocskay, die er vom türkischen Sultan erhielt, als Anerkennung seiner Herrschaft, die er im Aufstand gegen Rudolph II. errang.

In der Mitte des Raumes die Vitrine mit dem Reichsapfel, dem Zepter und der Krone, die als eine Art Hauskrone der Habsburger im Römischen Reich galt, eine Art subsidiäre Kaiserkrone, die der römische Kaiser, außer bei der Krönung, trug, wenn er „unter der Krone auftreten" mußte. Und die seit dem 11. August 1804 die österreichische Kaiserkrone ist. Bestehend aus dem königlichen Diadem, überwölbt von dem Bügel, der seit Konstantin als kaiserliches Zeichen gilt, eingeschlossen die Mitra, die Kopfbedeckung der. Bischöfe, der Nachfolger der Apostel. Kaiserlich und königlich und apostolisch zugleich. Als stellvertretende römische Kaiserkrone geheimes Symbol der universalen römischen Reichsidee.

Hinter den dürren Wetten, mit denen Franz II. am 11. August 1804 das österreichische Kaisertum proklamierte und für sich und seine Nachkommen den erblichen Titel eines Kaisers von Oesterreich annahm, der nach dem römischen Kaßertitel, aber vor den übrigen Königs- und Fürstentiteln stehen sollte wie die „Hauskrone" nach der römischen Kaiserkrone, aber vor den übrigen Kronen, verbirgt sich eine Tragödie, über der geschrieben steht: Agonie und Sterben des Römischen Reiches.

Seit 1792 stand die Habsburgermonarchie im Kampf gegen das revolutionäre Frankreich. Zuerst gemeinsam mit Preußen. 1795 erfolgte dessen Sonderfriede zu Basel, der Frankreich das linke Rheinufer versprach, den ganzen Norden Deutschlands neutralisierte und der Habsburgermonarchie die Hauptlast des Krieges zuschob. Nur in Klammer erwähnt: alle jene deutschnationalen Historiker, die immer wieder von den „perfiden" Sonderfriedensunterhandlungen Kaiser Karls reden, möchten sich zuerst einmal mit dem Sonderfrieden Preußens zu Basel auseinandersetzen. begann der große Siegeszug Bonapartes, der durch den Frieden von Campo Formio gestoppt wurde. Zwei Jahre später begann Oesterreich wieder den Kampf. Die Folge ist ein neuer Siegeszug Napoleons, dessen Ende der Frieden von LuneviMe. Und mit diesem wird das Sterben des Römischen Reiches eingeleitet. Das linke Rheinufer kommt an Frankreich, die geschädigten Fürsten werden durch Konfiskation geistlicher Fürstentümer besänftigt. Was einen glatten Raub darstellt und eine völlige Zerstörung des bisherigen Reichsgefüges. Im Mai 1804 wird Napoleon zum Kaiser ausgerufen. Drei Monate später erfolgt die österreichische Kaiserproklamation.

Was darnach folgt, ist das endgültige Sterben des alten Reiches. Noch einmal versucht Oesterreich sein Waffenglück. Wieder läßt Preußen es im Stich. Das Resultat ist Austerlitz. Und dann setzt Napoleon selbst den Hebel an: eine Reihe von deutschen Fürsten läßt er sich zu einem französischen Protektorat, dem Rheinbund, zusammenschließen, der ehe, weiterdruckt. „Gar nicht ignorieren”, nennt dies ein Wiener Scherzwort.

außerdem noch seinen Austritt aus dem Reich bekanntgibt. Dann fordert Napoleon Franz II. auf, die alte römische Krone niederzulegen. Am 6. August 1806 kommt Franz II., der 55. römische’ christliche Kaiser, dieser Aufforderung nach: da er durch die Gründung des Rheinbundes die reichsoberhauptliche Würde und Amt erloschen ansehe, es außerdem unmöglich geworden sei, die Verpflichtungen, die er bei seiner Wahl übernommen habe, zu erfüllen, lege er die Krone nieder, entbinde alle vom Treueid und löse das Römische Reich auf. Es klingt wie ein Treppenwitz der Weltgeschichte, daß Kaiser Franz diese Proklamation mit den Worten erläßt: „Wir. Franz II., allzeit Mehrer des Reiches." Und ein weiterer Treppenwitz der Weltgeschichte, daß die amtliche „Wiener Zeitung", die die Proklamation abdruckt, das ganze Jahr hindurch noch auf ihrem Kopf das alte Wappen mit der römischen Kaiserkrone, darunter die österreichi-Romantiker aller Schattierungen geraten in Entzücken, wenn sie das Wort „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation" vernehmen. Sie übersehen, daß dieses Wort, welches im 15. Jahrhundert entstand, bereits einen Niedergang des Reiches bezeichnet. Eine Einengung auf ein schmales Gebiet. Denn in der Theorie umfaßte das mittelalterliche „römische" Reich, das sich auf das antike zurückführte, den ganzen westeuropäischen Kulturkreis. De facto: Italien, Germanien, Burgund, weite slawische Gebiete, wie Böhmen, die Niederlande, die Schweiz, französisch sprechende Gebiete, wie die Provence, zeitweilig — unter Karl dem Großen — ganz Frankreich, auch England, Dänemark.

Die Romantiker, die, über das Wort vom „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation" in Entzücken geraten, übersehen auch, daß dieses Wort die Kaiseridee zu verfälschen und einzuengen beginnt. Denn dieser Ausdruck steuert auf ein nationales Kaisertum zu. Ein nationales Kaisertum aber ist ein Unding, eine Häresie, ein Widerspruch. Die Kaiseridee ist übernational, universal. Sie schließt die Königreiche, die Nationen zu einer höheren Gemeinschaft zusammen, in der Frieden und Gerechtigkeit herrschen soll.

Die Kaiser Proklamation vom 11. August 1804 mig vielleicht äußerlich von der Sorge diktiert gewesen sein, daß der kommende Zusammenbruch des römisch-deutschen Reiches das habsburgische Haus des Kaisertitels berauben und es gegenüber Rußland und Napoleon „degradieren" könnte. Innerlich aber ist sie viel mehr: der Versuch, aus dem ungeheuren Chaos, in das die Welt durch die französische Revolution, durch Napoleon gestürzt worden war, inmitten aller Zusammenbrüche eine europäische „O r d n u n g s z e 11 e" zu schaffen, in der die universale römische Kaiseridee, die West- und Ostrom, also das Abend- und Morgenland umspannende Kaiseridee, weiterlebte. In der die Nationen, die Königreiche, die Fürstentümer zu einer höheren Gemeinschaft zusammengefaßt ‘wurden, in der den historisch gewachsenen Ländern nichts genommen, sondern sie nur durch die Gemeinsamkeit gestärkt werden sollten. In der vor allem Frieden und Gerechtigkeit herrschen sollte. Eine Ordnungszelle, von der aus Europa gesunden konnte. Kaiser Franz handelte nur logisch, als er zur Krone dieses Reiches- die bisherige sekundäre römische Krone bestimmte, die alten römischen Farben schwarz und gelb als Farben des neuen Reiches erklärte und den Doppeladler — das Wappen, welches den weströmischen und den oströmischen Adler einschließt —. zum neuen Schild des Kaiserreiches erkor.

Diese „Ordnungszelle”, die sich über weite Teile des lateinischen und des östlichen Europas erstreckte, kam nie zur vollen Entfaltung. Sie blieb eine Idee, ein Traum. Zu viele Kräfte standen gegen sie auf: da war ein Teil der Deutschen, der ständig von der „deutschen Aufgabe" des Habsburgerreiches sprach und daneben die anderen Aufgaben übersah oder die übrigen Nationen als zweitklassig behandelte. Da war die herrschende Schicht Ungarns, die die Kaiseridee gar nicht verstand und sie so lange ignorierte, bis sie starb und Ungarn mit ihr. Da waren die Zentralisten, die die Königreiche und Länder nur als „Kronländer" ansahen, als reine Verwaltungsbezirke und nicht als historisch gewachsene Gebilde. Da waren die nationalen Heißsporne, die ihrer Nation alles und den übrigen nichts geben wollten. Da w’aren alle jene, die nichts von der ungeheuren Bedeutung Wiens begriffen, die nicht sahen, was diese Stadt für ein Umschlagplatz für alle Güter des Westens nach Osten, aber auch für alle Güter des Ostens nach Westen war und ist.

‘Er war kein Europäer, dieser Jan Smuts. Einstmals Burengeneral und dann im ersten Weltkrieg britischer Marschall. Aber er w’ar einer der wenigen Alliierten, die den „römischen" Sinn der Habsburgermonarchie begriffen. In der berühmten Unterredung, die er mit dem österreichischen Abgesandten Grafen Revertera in Genf Ende Dezember 1917 führte, zeichnete er eine verlockende Zukunft der Habsburgermonarchie dem Oesterreicher vor: Umgewandelt in einen Bund von freien Nationen und Königreichen, vergrößert durch das vergrößerte Polen, Serbien und Rumänien, ein Ost- und Westreich zugleich, ein Hort des Friedens, der Gerechtigkeit, ein Transformator der Güter Westeuropas, ein Schutz gegen die Balkanisierung Europas. Aber auch der Traum des Burengenerals wurde nie Wirklichkeit.

Im grauen November 1918 zerbarst die „Ordnungszelle" Europas unter den Angriffen der inneren und äußeren Feinde. Was blieb, war eine einsame Krone, Symbol eines großen Traumes. Was kam, war die bittere Erkenntnis, daß diesen Traum, der schon teilweise Wirklichkeit geworden war, zerstört zu haben, eines der großen Verhängnisse der Geschichte w’är.

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