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Der Herzog kam im Bauernkittel

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Den bedeutendsten Beweis für ein organisiertes Leben in demokratischer Gemeinschaft haben die Ka- rantaner in der Einsetzung ihrer Fürsten auf dem Zollfeld. Das Ritual in der Nähe von Karnburg reicht in das frühe Mittelalter zurück.

Der Herzogsbauer setzte sich am Tage der Einsetzung des neuen Fürsten als Vertreter der sogenannten freien Bauern auf den Fürstenstein und erwartete würdevoll den künftigen Herzog. Der Bauer war sich der hohen Gewalt bewußt, war er doch Vertreter des Volkes; in dessen Namen übertrug er dem Herzog die Gewalt. Der Herzog kam mit großem Geleit, aber in bäuerlichem Gbwaftd žum’ Fürstenstbirw Der-.ein- setzende ‘Bauer fragte” dib’-RJimie- henden in slowenischer Sprache (das berichten uns übereinstimmend mehrere Geschichtsschreiber, so der Abt Johannes von Viktring, der Schwabenspiegel und andere): „Wer ist es, der da kommt?” Das Volk antwortete ihm: „Es ist der Fürst des Landes.” Der Bauer fragte noch weiter: „Ist er ein gerechter Richter, besorgt um das Wohl des Landes, des freien Standes, ein Verteidiger des christlichen Glaubens?” Alle antworteten: „Er ist es und wird es immer bleiben!” Der Bauer stellte eine dritte Frage: „Mit welchem Recht will er mich von diesem Sitze vertreiben?” ‘Alle antworteten: „Er will ihn dir mit 60 Pfennigen, mit diesem Fleckvieh (einem Stier und einer Stute) abkaufen und dein Haus sei aller Steuern frei.” Nach dieser Antwort verließ der Herzogsbauer den Fürstenstein, nahm Stier und Stute und ging mit ihnen fort. Der neue Landesfürst aber setzte sich auf den Fürstenstein. Das Volk begrüßte ihn freudig, dankte Gott und sang slowenische Lieder. Den neuen Fürsten geleitete es dreimal um den Stein, er aber schwang sein Schwert in alle vier Himmelsrichtungen, womit er symbolisch bekräftigte, daß er das Land zur Verwaltung übernommen habe, und daß er es vor Feinden schützen werde.

Erst nach der kirchlichen Zeremonie im Dom zu Maria-Saal, in unmittelbarer Nähe von Karnburg — sie wurde vom jeweiligen Landesbischof vorgenommen —, legte der Fürst das bäuerliche Gewand ab. Am Nachmittag erfolgte die Ehrung des Fürsten auf dem Zollfeld vor dem Herzogstuhl.

Die Errichtung des Herzogstuhles dürfen wir wohl darin begründet sehen, daß der jeweilige Landesfürst nach der Erhöhung Karantaniens in ein selbständiges Herzogtum im Jahre 976 das Verlangen hatte, bereite am Tage der Feier der Einsetzung seines Amtes zu walten und Huldigungen entgegenzunehmen. Historisch aber ist der Herzogstuhl erst nach dem Jahre 1286 bezeugt. Fremde Leute, die im Hochmittelalter ins Land kamen und Zeugen der Feier beim Fürstenstein wurden, verstanden deren Sinn nicht und verlachten den bäuerlich angetaner Fürsten. Darüber berichtet uns etwa Abt Johannes von Viktring anläßlich der Herzogseinsetzung Ottos im Jahre 1335. Es wurden derer immer weniger, die darum wußten, daß es sich hier um eine alte Besonderheit des Landes Kärnten handelt, daß es hierin um Rechte des Volkes geht, in denen die Erinnerung an alte heimische Fürsten wachgehalten wird. Auf dem steinernen Herzogstuhl vergab der neue Fürst die Lehen und sprach Recht. Es geht dabei also um die Ausübung einer Gewalt, die er beim vormittägigen Ritual am Fürstenstein erhalten hat.

Die ersten auf diese Weise eingeführten Fürsten waren nun tatsächlich slowenischer Herkunft. Neben dem..uęn das Jahj; 738 genannten Borut finden-, sich „noch mehrere an- id ?e i&iatHisąhsbFūrstennameniįS Erst allmählich wurden diese heimischen slowenischen Fürsten durch fremde Adelige ersetzt.

Das Rad der Geschichte aber drehte sich weiter. Der deutsche Kaiser Otto II. trennte Karantanien von Bayern und erhob es im Jahre 976 zu einem selbständigen Fürstentum. Im Jahre 1077 wurde das Recht auf Herzogsnachfolge erblich. In diesem Jahre erhielt nämlich durch Heinrich IV. das Geschlecht der Eppensteiner diese hohe Auszeichnung. Im Jahre 1122 ging sie auf die Sponheimer über, bis sie schließlich im Jahre 1335 auf die Habsburger übertragen wurde. Alle diese Fürsten wurden nach altem Ritus in ihr Amt eingeführt. Der letzte in dieser langen Reihe ist Ernst der Eiserne: er wurde am 18. März des Jahres 1414, also vor genau 550 Jahren, in aller Form eingesetzt.

Dieses Abschlusses eines Kapitels ruhmvoller gemeinsamer Kärntner Geschichte zu gedenken, bereitete der Studentenverband eine Feierstunde vor. Aber es kam anders.

Die Ablehnung des „Heimatdienstes”

Die Veranstaltung wurde vom Kärntner Studentenverband ordnungsgemäß bei der Polizeibehörde angemeldet. Durch die rnarkt-

schreierische Berichterstattung der „Kärntner Nachrichten”, die die Veranstaltung als von Laibach und anderen Drahtziehern gelenkt und als „Unerhörte Herausforderung der Kärntner Bevölkerung”, schließlich als staats- und grenzgefährdend deklarierte und durch viele Protestversammlungen in ganz Kärnten sowie, durch dig nmeldtjp gffifJ Stö rungsgegendemonstration an gleichen!…Ort, und._ zu gleicher. _ Zeit, wurde die österreichische publizistische Öffentlichkeit auf die Frage aufmerksam. Der Studentenverband, dem es keineswegs um Streit und Grenzgefährdung ging, ergriff nun seinerseits die Initiative und war für eine mit den Deutschnationalen gemeinsame Feier bereit.

Am Dienstag, den 7. Juli war folgende Erklärung des christlichen Studentenverbandes in der Kärntner Presse zu lesen: „Im Zusammenhang mit der 550jährigen Wiederkehr der letzten Herzogseinsetzung in Kärnten wurde seitens des Kärntner Studentenverbandes der Christlichen Slowenen für den Vormittag des 12. Juli unter anderem auch eine schlichte Gedenkfeier beim Herzogstuhl vorgesehen. Wie einem Teil der Presse zu entnehmen war, beabsichtigen zu gleicher Zeit verschiedene Heimatverbände des Mehrheitsvolkes ebenfalls aus dem gegebenen Anlaß eine Feier am Zollfeld abzuhalten. In dem Bewußtsein, daß es angesichts der mehr als tausendjährigen gemeinsamen geschichtlichen Entwicklung beider Volksteile in Kärnten keinen schöneren Beweis des gutnachbarlichen Verhältnisses zwischen dem slowenischen und deutschsprachigen Bevölkerungsteil geben könnte, als die 550-Jahr-Feier in einer gemeinsamen Gedenkstunde zu begehen, hat sich der Zentralausschuß des Kärntner Studentenverbandes entschlossen, alle Schritte bei der Leitung der genannten Heimatverbände zu unternehmen, um eine gemeinsame Feier zu ermöglichen. Der Kärntner Studentenverband will damit das Seine zur Festigung des inneren Friedens in Kärnten beitragen.”

Die nationalen Kreise hatten es mit der Ablehnung dieses Anerbietens, das dem Kärntner Studentenverband nicht leicht war (sitzen doch in der genannten und in anderen deutschnationalen Organisationen jene Leute, die nach 1938 die Macht hatten, die Aussiedlung von Eltern vieler Mitglieder des Studentenverbandes mitzuverursachen), sehr eilig. Die Slowenen beanspruchten Kärnten als ausschließlich slowenisches Territorium, deshalb käme eine gemeinsame Feier nicht in Frage, so argumentierten sie. „Tschusch raus!” stand auf den, den am Sonntag nach Maria-Saal wallfahrenden Studenten buchstäblich vor die Füße geworfenen Flugzetteln zu lesen und zeigte die wahren Hintergründe dieser Ablehnung auf: man kann nicht mit Menschen gemeinsam eine Feierstunde begehen, die man längst aus dem Lande wünscht. Man kann es nicht mitan- sehen, daß dank der großzügigen Lösung ‘der Mittelschulfrage’ der Kärntner Slowenen in einem demokratischen Österreich eine Generation von jungen Menschen heranwächst, die treu zu ihrem angestammten Volkstum steht, anderseits aber aus ihrer loyalen Staatsgesinnung kein Hehl macht.

In diesen Tagen hat nun ein Gott sei Dank immer kleiner werdender Kreis von Menschen bewiesen, daß er trotz seiner spaltenlangen wöchentlichen EWG-Nachrichten für Europa nicht reif ist.

„Es ist ein langer Weg nach Europa”

Diese Worte des Radiokommentators C. F. Peturnig in seiner Wochenrückschau mußte die Kärntner und darüber hinaus die ganze österreichische Öffentlichkeit als bittere Wahrheit erfahren. In diesen Tagen bot sich die Chance, das sonst unbedeutende Europabewußtsein unter Beweis zu stellen. Eines ist klar geworden in diesen Stunden neu aufgebrochenen Hasses mit Parolen rus dem Dritten Reich und supernationaler Kampfstimmung: Das Europa von morgen muß in unseren Herzen erstehen, es muß sich als zunächst enger und schwankender Steg von Herz zu Herz schwingen, es muß im Di_log lebendig werden, im Dialog zwischen Feinden von gestern und hoffentlich Freunden von heute. Und noch eines ist entscheidend: Menschen, denen das Wort Vaterland nur notwendiger Ersatz für andere verbotene Ausdrücke ist, finden keinen Weg in ein einiges und friedliches Europa. Europa, das ist mehr als Zusammenschluß. Es ist die Schicksalsgemeinschaft gleichberechtigter Völker, in der auch der Schwächere seinen Platz an der Sonne hat und nicht Gefahr läuft, ihn zu verlieren.

Es wurde in diesen Tagen darauf hingewiesen, daß sich im italienischösterreichischen Grenzgebiet regelmäßig ehemalige Gegner aus beiden Staaten treffen, um zueinander zu finden. Ist Kärnten so weit zurück, daß es gemeinsamer geschichtlicher Ereignisse nicht gemeinsam gedenken kann? Die klar und nüchtern denkende Kärntner Bevölkerung gab den Organisatoren der Wallfahrt nach Karnberg (die Veranstaltungen beim Herzogstuhl wurden aus Gründen der öffentlichen Sicherheit ver- botenV. die ‘eindeutig politischer Lük- kenbüßer wär, durch geringe Beteiligung (es kamen etwa” 1000 Menschen) die einzig richtige Antwort.

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