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Der Hügel der sieben Kirchen

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Wie in den beiden vergangenen Sommern, zog auch heuer wieder eine kleine Schar Lienzer Studenten den Kirchbichl von Lavant, Osttirol, hinan, um die Grabungsarbeiten auf diesem Hügel fortzusetzen und abzuschließen, deren materielle Voraussetzungen die Tiroler Landesregierung im Verein mit dem Bundes-denkmalamt geschaffen hatte und deren Leitung wieder beim österreichischen archäologischen Institut lag. Die gestellte Aufgabe war zunächst begrenzt. Nachdem in den beiden zurückliegenden Kampagnen auf dem Hügel eine spätantike Fliehburg aus der Wende des 4. zum 5. Jahrhundert n. Chr. in ihren wesentlichen Grundzügen hatte festgestellt und auch schon unter der jetzt den Hügel krönenden Wallfahrtskirche der zur Fliehburg gehörige frühchristliche Kirchenbau aus freilich bescheidenen Resten hatte erschlossen werden können, der über den Grundmauern eines keltischen Heiligtums errichtet worden war, galt es heuer, durch weitere Untersuchungen im Chor der Wallfahrtskirche, die dem Apostelfürsten Petrus geweiht ist, diese Ergebnisse zu sichern und abzurunden.

Ließ diese Aufgabenstellung eine rasche und in den zu gewinnenden Ergebnissen nicht irgendwie aufregende Erledigung erwarten, so bot der Hügel, wie schon bisher, den Ausgräbern sehr bald neue Überraschungen dar.

Schon die Entfernung des modernen hölzernen Altars war insoferne bedeutsam, als dahinter der formschöne Altar des ersten gotischen Kirchenbaues zutage trat. In einfachen, wuchtigen Umrissen hatte der gotische Baumeister die Mensa in den Chor gestellt, der erst jetzt den Raum mit den himmelwärts strebenden feinen Rippen des deckenden Gewölbes voll zu erhebender Wirkung gelangen läßt. Und der alte Baumeister hat solche Wirkung erreicht, obwohl er nicht besonders zugerichtete Steine dazu verwendete, sondern in glücklich plastischem Gefühl Werkstücke römerzeitlicher Bauten zu neuer Einheit fügte. Da sich darunter auch Architrave mit Inschriftresten befinden, die sich nach Maß und Arbeit dem Fundament des Tempels vorteilhaft zuordnen, sind wichtige Erkenntnisse über die einstige Gestaltung dieses alten bodenständigen Kultbaues zugewonnen.

Doch wichtiger als dies ist der Umstand, daß die Tiefgrabung im Chor der Peterskirche die Priesterbank des frühchristlichen Kirchenbaues freiliegen ließ, so daß nun die unmittelbare Abfolge der Kultbauten an dieser Stätte, von dem Keltentempel über die frühchristliche Basilika und diese dann ablösende romanische Apsis zu der ersten gotischen Kirche, von deren Freskenschmuck manches aus dem Schutt geborgen werden konnte, und der jetzigen Peterskirche aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert an den freigelegten Resten der Mauern selbst erlebt werden kann. Darüber hinaus lehrte ein weiterer Fund die innige Verbindung verstehen, die hier zwischen den Gliedern der einander folgenden Generationen bis nahe in unsere Tage in ihrem Gebet vor der allwaltenden göttlichen Macht lebendig ist. Bis vor zwei Jahrzehnten noch zog alljährlich von Virgen der verlobte Widder, in feierlicher Prozession geleitet, zu dem den Lavanter Hügel krönenden Peterskirchlein, Unterpfand für Dank und Bitte der gläubigen Gemeinde. Im Brandschutt zwischen Keltentempel und früchristlicher Basilika fand sich nun das Stück eines Widder-hornes. Angesichts solcher Verbindung, während und wirkend durch die Jahrhunderte, überrascht es nicht mehr, daß in der Nähe des Keltentempels ein Begräbnisplatz gefunden wurde, der wohl in die keltische, wenn nicht gar illyrische Zeitepoche zurückreicht. Damals trugen sie ihre Toten den Hügel hinan, um die Reste der verbrannten Körper auf dem felsigen Boden in sorgsam gesetzten

Steinringen zu bergen. Und noch heute tragen die Lavanter, aller Mühe des Anstieges und den gesetzlichen Vorschriften über die erforderliche Tiefe des Grabes zum Trotz, ihre Toten hinauf zu der Pfarrkirche, um die Leichname in den seichten Humus über dem harten Felsen zur Ruhe zu legen. Ein seltener Hauch unabänderlicher Bindung an hergebrachten Brauch liegt über dieser Stätte, die wir nun nach diesen Arbeitsergebnissen in ihrer geschichtlichen Entwicklung erfaßt zu haben vermeinten.

Doch eine der Vorsicht halber auf halber Höhe des Hügels eingeleitete Untersuchung, die um der Bestätigung willen vorgenommen wurde, daß der Boden des Lavanter Kirchbichls uns keine weiteren Aufklärungen zu bieten habe, ließ einen neuen Fund von geschichtlich seltener Tragweite tun. Ungläubig und doch voll Spannung ein neu zutage tretendes Fundament verfolgend, war nach zweiwöchiger harter Arbeit die Erkenntnis unumstößlich, daß hier auf dem mittleren Boden des Hügels noch im Laufe des 5. Jahrhunderts n. Chr. eine Bischofskirche stand. Es kann sich nur um die Wirkungsstätte des Bischofs von Agun-tum handeln. An die dreißig Meter lang und rund 14 Meter breit liegt die Ruine vor uns, stolzen Umblick auf das ganze Lienzer Becken bietend. Die Ruine kündet aber, wiewohl die Untersuchung noch nicht restlos abgeschlossen ist, auch von den späteren Schicksalen des Baues. Ein Felssturz, von dem Hang des Hügels niederbrechend, durchschlug den Bau und ließ ihn in Trümmer sinken. Doch die Gemeinde baute nochmals auf; freilich nicht mehr in der alten Größe; die schwindenden Kräfte zwangen zur Bescheidung. Im Laienraum und Vorhof der ersten Bischofskirche wurde ein kleinerer Bau, wieder vom alten Material nutzend, errichtet. Ein ihm entstammendes Kapitell rät ihn dem ausgehenden 6. oder beginnenden 7. Jahrhundert zuzuweisen. Die Art der Steinsetzung aber läßt erkennen, daß dieser zweite Kirchenbau gleichzeitig mit der die Fliehburg ablösenden frühmittelalterlichen Burg ist, von der zu dem schon bekannten Berg-frit heuer auch Teile der Umfassungsmauer aufgedeckt werden konnten. Damit aber rücken Burg und zweite Kirche in die Zeit, aus der wir fast keinerlei schriftliche Kunde besitzen, und sind uns um so wertvollere und eindrucksvollere Zeugen für das Geschehen, da im Lienzer Becken Herzog Tassilos Sohn Garibald gegen die das Drautal aufwärts dringenden Slawen ankämpfte und schließlich, den Heimatboden vor östlichem Ansturm bewahrend, obsiegte.

Der Lavanter Hügel mit den vier über dem Keltentempel einander ablösenden Kirchen und den zwei Bischofskirdien, denen dann die jetzige Pfarrkirche folgt, wird so zu einem seltenen Lehrstück der ungebrochenen Fortdauer des bodenständigen Lebens über alle Sturm- und Notzeiten hinweg. Freilich verlangen die bisher gewonnenen Ergebnisse weitere Arbeit: Sicherung einerseits des Erzielten als eines mahnenden und erhebenden Denkmales und Erweiterung des heuer so überraschend erreichten Neueinblicks. Denn neben der Kirche des Bischofs muß noch das Taufhaus gefunden werden und die Wohnstätte des kirchlichen Würdenträgers selbst. Darüber hinaus erhebt sich aber die Frage, ob die Not, die den Bischof zwang, aus Aguntum, der Stadt im Talboden, auf den Hügel zu ziehen, nicht auch andere Menschen zum ständigen Wohnen auf dem Hügel nötigte.

Was schon dem Abschluß nahe schien, wird so zu neuem drängenden Arbeitsauftrag, der erfüllt werden muß, wenn Heimat und Kultur in Österreich nicht leere Worte, sondern zur Leistung verpflichtende Begriffe sein sollen.

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