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Der letzte Kanzler von Tirol

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Wird der Name des Freiherrn Joseph von Hormayr genannt, so denkt der geschichts-kundige Laie an den hier und dort umstrittenen, am 20. Jänner 1782 zu Innsbruck geborenen Historiographen des kaiserlichen Hauses, der der Verfasser des Oesterreichischen Plutarchs war, den Tiroler Aufstand des Jahres 1809 vorbereitete, wegen Teilnahme an der Entfachung einer neuen Tiroler Volkserhebung verhaftet, 13 Monate gefangengehalten worden und als Vorstand des bayrischen Reichsarchivs am 5. Oktober 1848, als letzter seines Namens, fern der Heimat verstorben ist. Aber nicht dem Gedächtnis dieses glühenden Patrioten, dessen

Erscheinung ungebärdig und selbstherrlich an der Wasserscheide einer versinkenden und einer aufsteigenden Welt stand, gelten die nachfolgenden Zeilen, sondern der Persönlichkeit seines am 16. Mai 1705 zu Innsbruck geborenen Großvaters, des tirolischen Regierungskanzlers gleichen Namens, der im Gegensatz zu dem seines Enkels unzwiespältigem Wesen und Wirken, vielleicht in höherem Maße ein Gedenkwort verdient, als es Joseph von Hormayr, dem Geschichtsschreiber, bis auf unsere Tage zuteil geworden ist.

Einem alten — zur Zeit als unter Ludwig dem Bayer durch die Vermählung seines Sohnes Ludwigs des Brandenburgers mit Margaretha Maultasch Tirol zum ersten Male an Bayern kam —, zu Wasserburg urkundlich bezeugten bayrischen Geschlecht entstammend, hatte Joseph von Hormayr der Aeltere von seinen Vorfahren die strenge Würde und das bescheidene Selbstbewußtsein geerbt.

Nachdem die drei unterinntalischen Herrschaften Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg nach Beendigung des blutigen Erbfolgekrieges 1504 von Bayern losgetrennt und von Maximilian I. Tirol inkorporiert worden waren, findet sich, in den Memoirenbüchern dieses großen Fürsten genannt und 1508 als nunmehr dem tirolischen Adel zugehörig, der sogenannten „Maximilianischen Lehensgnade“ teilhaft, unter der Zahl der Mitarbeiter an seinen weitausgreifenden Entwürfen auch Lorenz Sebastian Hormayr. Er organisierte im Verbände der Einrichtungen des Hauses Taxis das Post- und Botenwesen durch ganz Tirol, verband so die beiden Enden der großen mitteleuropäischen Verkehrsanstalt, die Niederlande und Italien, machte den Innstrom, von Hall abwärts, vollkommen schiffbar und wurde dafür mit dem erblichen Obersten Schiffmeisteramt in Tirol und in sämtlichen Erblanden ausgestattet.

So einer fast zweihundertjährigen Reihe von Generationen treuer Diener ihrer kaiserlichen Herren und Landesfürsten entsprossen, kam Joseph von Hormayr früh verwaist nach Wien, Wetzlar und Regensburg in die Komitial-, Reichshofrats- und Kammergerichtspraxis und diente als Oberamtsrat und Landvogt in Schwäbisch-Oesterreich, dieser — um ein Wort seines Enkels zu gebrauchen — „fruchtbaren Schule historisch-publizistischer Kontroversen“. Nach Kaiser Karls VI. Tode trat er, wiewohl stets anonym, gegen die Ansprüche auf, die Karl VII. wider die Pragmatische Sanktion erhob, und erwies sich in zahlreichen strittigen Fragen als wertvoller Sachwalter seines Fürsten, so in der Frage der Belehnungspflicht der Reichsstände und als staatsrechtlicher Polemiker von Format. Kaiserin Maria Theresia, die ihm in vielen wichtigen Angelegenheiten ihr uneingeschränktes Vertrauen geschenkt und ihn zu wiederholten Malen, so auch 1754, zu den zur Ausarbeitung des neuen Zivilgesetzbuches eingeleiteten Kommissionsverhandlungen nach Mähren berufen hatte, zählte ihn den ersten Rittern des neugegründeten königlich-ungarischen Sankt-Stephan-Ordens und ihren Geheimen Räten bei.

In 22 Foliobänden verfaßte Hormayr ein ungeheures Materienregister über alle Gegenstände seiner Berufswissenschaft — Bürgerliches, Peinliches, Kanonisches und Staatsrecht —, mit genauer Bemerkung aller von ihm gelesenen und zu diesem Endzweck exzerpierten Schriftsteller. Auf seinen Reisen durch ganz Deutschland, die Niederlande und Italien hatte er einen Schatz mehrerer tausend damals noch ungedruckter in-und ausländischer Urkunden zur Geschichte Tirols und der Monarchie gesammelt, die sich bei Erfüllung seiner öffentlichen Missionen, besonders in der Auseinandersetzung über das äußerst zerri'-ttete Lehenswesen und bei der ihm durch Maria Theresia gemeinsam mit dem Freiherrn, nachmals Grafen von Enzenberg über-

tragenen Neuorganisation Tirols, von großem Nutzen erwiesen.

Was indessen der Erinnerung an Hormayr gerade in unserer Zeit, da zuweilen die Schrecken der körperlichen und seelischen Folter zur Erzwingung von Geständnissen sich erneuert haben, besondere Bedeutung gibt, ist die nur wenig bekannte Tatsache, daß Hormayr lange vor Joseph von Sonnenfels für die Aufhebung der Folter im peinlichen Verfahren eintrat, die dann mit kaiserlicher Entschließung vom 23. Dezember 1775 in Oesterreich verfügt worden ist. Solange das Recht als Voraussetzung der Verurteilung des Delinquenten dessen vorbehaltloses und nicht widerrufenes Geständnis forderte, war die Tortur, wenngleich schon seit Beginn des 16. Jahrhunderts als grausam empfunden, dennoch ein als unentbehrlich geltendes Requisit des strafrechtlichen Verfahrens. Erst mit der Zulassung der Verurteilung auf Grund eines ausreichenden Indizienbeweises erschien die Abschaffung der Folter in den Bereich möglicher Verwirklichung gerückt. Die Schaffung der noch nicht zur Reife gelangten gedanklichen und rechtlichen Voraussetzungen, die zur Aufhebung der Tortur im peinlichen Gerichtsverfahren notwendig waren — eine Justizreform großen Stiles —, von langer Hand gefördert und vorbereitet zu haben, ist ihres Dieners Joseph von Hormayrs Verdienst, das noch vor seinem am 8. August 1779 erfolgten Tode seine Krönung fand.

In der reichen Natur dieses Mannes, dessen einzige Erholung von den Mühen seines Berufes die Befassung mit den Meisterwerken des griechischen und römischen Altertums war — Stellen aus Horaz und Sallust rezitierte er noch auf seinem Sterbelager mit dem Feuer und imponierenden Ernst eines alten römischen Senators —, lebte ein musischer Geist, eine mäzena-tische Freude, Talente zu entdecken, anzueifern und zu fördern. So weckte Hormayr den Freiherrn von Sperges für die vaterländische Geschichte, für die Naturkunde Scopoli und die beiden Fontana. Neben Laura Saibante, dem älteren Vanetti, dem Dichter Scipio Maffei, mit Graser und den Brüdern Tartarotti unter den ersten Mitgliedern der gelehrten Gesellschaft „Degli Agiati“ zu Rovereto, gebührt ihm das Verdienst, das Genie des Hirten Peter Anich unter den ersten bemerkt, geschützt und seine denkwürdigen Werke, unter ihnen die große Landkarte von Tirol, gefördert zu haben. Um den Kanzler scharten sich die Künstler Troger, Faistenberger, Platzer, Grasmayer, der ältere Unterberger, Joseph Schöpf. Vor allem dieser dankte ihm nicht nur ein weites Feld künstlerischer Entfaltung, sondern auch die Tröstungen vertrauten Umgangs, deren sein melancholisches Gemüt bedürftig war. Eine auserlesene Bibliothek und eine nicht unbeträchtliche Sammlung von Gemälden und Kupferstichen gab Zeugnis von der Vielseitigkeit des lebhaften, um die Erhaltung kultureller Güter unermüdlich bemühten Mannes, der mit Recht zu den besten Verwaltungsbeamten gezählt werden kann, die den großen Bau des werdenden österreichischen Kaiserstaates geschaffen haben.

Seine Nachkommenschaft bewahrt unter anderen Erinnerungen an Hormayr ein Bildnis, das den Kanzler inmitten seiner Familie zeigt. Eine mächtige Gestalt in braunem, zobelpelz-verbrämtem Mantel, ein ernstes, gütiges Antlitz, erwecken trotz nahezu kindlicher Rundung des Gesichtsschnittes den Eindruck einer starken Persönlichkeit, eines wahren Pater Familias, der durch geistige Bedeutung und Willenskraft Liebe und Ehrfurcht seines Hauses zu begehren und zu gewinnen verdient. Aus den dunklen Falten des togaartigen Mantels, sich von diesen in hellem Kontrast abzeichnend, ragt eine wohlgeformte, starkgliedrige Hand wie ein Symbol großer Körperstärke, die mit der Fülle seines Verstandes und dem Reichtum seines Gemütes gepaart war. Eine von seinen Nachkommen bewahrte Erzählung, wonach der Kanzler auf einem einsamen Weg im Waldgebiet der Seriesspitze von einem Bären angegriffen, diesen mit den bloßen Fäusten erwürgt haben soll, mag legendenhaft scheinen, läßt aber erkennen, daß der Heros dieser Fabel über herkulische Körperkräfte und ungewöhnlichen Mannesmut verfügt hat, so daß ihm die Bewältigung eines solchen Abenteuers zugetraut werden mochte.

Weit mehr als eineinhalb Jahrhunderte sind vergangen, seit der letzte tirolische Kanzler zu seinen Vätern eingegangen ist. Vielleicht werden diese schlichten Zeilen aus der Feder des Lirenkels seiner Enkelin die letzten sein, die des Dahingegangenen als einer aus traditioneller Vorstellungswelt überlieferten und so noch immer ins lebendige Dasein wirkenden Gestalt gedenken. Und doch — er soll nicht vergessen sein — der letzte Kanzler von Tirol.

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