6753000-1967_35_12.jpg
Digital In Arbeit

Der letzte Prophet

Werbung
Werbung
Werbung

Von den Tagen des Moses an hatte es im Auserwählten Volk Propheten gegeben. Das hebräische Wort für Prophet heißt „Nebi“, dem Wortsinn nach ein Mann, der unter übernatürlichem Einfluß spricht. Auch die Ethymologie des griechischen Wortes „Prophet“ weist in diese Richtung: „im Auftrag jemandes sprechen“. Der jüdische Kanon reiht Bücher, welche wir als „historisch“ bezeichnen, unter die „Nebiim“ ein, etwa Josue, Richter und die Königsbücher.

Die Propheten ^on Moses bis Samuel waren charismatische Volksführer, religiöse und politische Schlüsselfiguren. In der Königszeit aber — parallel mit dem sittlichen Verfall der Dynastien — wurden die Propheten immer mehr in Außenseiterrollen gedrängt. Die politische Führung lag in der Hand des Königs, die religiöse bei der Priesterschaft. Die charismatischen Gottesboten empfand man als lästige Mahner. Sie wurden nach dem Zeugnis des Neuen Testaments alle ermordet. (Mt. 23, 29 bis 27; Apg. 7, 52).

Und doch — als keine Propheten mehr auftraten, empfand man das als bitteres Schweigen Gottes. Die religiöse Unsicherheit dieser Zeit findet ihren Niederschlag in einer Bemerkung des 1. Makkabäerbuches (4, 42 bis 46): Nach dem Sieg des Judas Makkabäus über Lysias treffen gesetzestreue Priester wegen der Steine des geschändeten Brandopferaltars eine vorläufige Entscheidung, „bis ein Prophet erstünde, der ihnen darüber Bescheid gab“.

Gott schwieg lange. Selbst wenn man im äußersten Fall die Wirksamkeit des Deutero-Zacharias in das dritte Jahrhundert vor Christus verlegt, dauerte es weit über 200 Jahre, bis wieder eine charismatische Stimme erklang.

... erging der Ruf Gottes an Johannes...

Feierlich berichtet Lukas über das Auftreten dieses letzten Propheten des Alten Bundes (Lk. 3, 1 f.). In der sechsfachen Zeitangabe spiegelt sich der Zeithlintergrund wieder: Das römische Joch unter Pontius Pilatus in der von Mißtrauen und Korruptdon zerfressenen Ära des Kaisers Tiberius; die fremdstämmigen Landesfürsten von Roms Gnaden, der Machtkampf der Hohenpriesterfamilien. Andere Stellen des Evangeliums lassen die Gärung innerhalb des Judenvolkes erahnen, die Hoffnung auf den Messias, den man als politischen Befreier erwartete, der ein jüdisches Weltreich aufrichten würde. In dieser Situation also erging der Ruf Gottes an Johannes, den Söhn des Zacharias, in der Steppe.

Seit der Entdeckung des Essenerklosters von Qumran im Jahre 1947 bringt man immer wieder Johannes

den Täufer mit dieser Sekte in Verbindung; nicht zu Unrecht. Die Eltern des Johannes hatten bei dessen Geburt nicht mehr viel Lebenserwartung, Zacharias mußte für die Zukunft seines Sohnes Vorsorgen. Als Konservativem standen ihm die asketischen Essener näher als die in der Mehrheit liberale Tempelprie-

sterschaft. Es ist denkbar, daß er seinen Sohn nach Qumran zur Erziehung brachte.

Der strenge Lebensstil des Johannes entsprach essenischem Geist, seine Kleidung — ein Kamelhaarmantel mit Ledergurt — war in Anlehnung an den Prophetenmantel des Elias gewählt. Der Ort seiner Predigt — nach der wohl ursprünglichen Lesart syrischer und zyprischer Handschriften des Johannesevangeliums die uralte Furt von Bethabara kurz vor der Einmündung des Jordan ins Tote Meer — lag nicht weit von Qumran. Die Zeitangaben des Lukas weisen auf das Jahr 27/28 nach Christus.

Wegbereiter des Messias

Die Essener erwarteten zwei Messias: einen priesterlichen und einen militärisch-politischen. Johannes hingegen kündete das baldige Kommen nur eines Erlösers an. Mit dieser Botschaft wühlte er das ganze Land auf. Da die Furt von vielen Karawanen benützt wurde, verbreitete sich die Kunde von dem neuen Propheten mit Windeseile. Von allen Seiten strömte das Volk herbei, denn an das Kommen des Messias klammerten sich die heißesten Hoffnungen der Juden. Wegen der damit verbundenen revolutionären Vorstellungen dürften in erster Linie jüngere Männer die Nähe des Täufers gesucht haben.

Waschungen zum Zweck leviti-scher Reinheit gab es bei den Juden

viele. Die Taufe des Johannes „zur Vergebung der Sünden“ aber war eine einmalige „Initiationszeremonie“. Wie sehr sie als gemeinschaftsbildender Akt betrachtet wurde, beweist die Tatsache, daß sich die Täuferbewegung noch Jahrzehnte nach dem Tod des Johannes hielt.

Die Botschaft des Johannes war kurz und wuchtig: „Ändert euren Sinn, denn das Reich Gottes ist nahe!“ Bei der Verbindung religiöser und nationaler Vorstellungen im Judenvolk war es fast selbstverständlich, daß nationale Erneuerung auf sittlicher Erneuerung aufbauen mußte. Beispiele dafür liefert das Alte Testament reichlich.

Unter den Männern, die sich um Johannes scharten, war auch Jesus von Nazareth. Er war mütterlicherseits mit dem Täufer verwandt. Als Johannes Jesus taufte, erlebte er die große Offenbarung vom Himmel, die Jesus als Messias bestätigte. Von da an kannte der Täufer nur noch eines: Selbstlos führte er seine Jünger Jesus zu. So weit wir das aus dem Evangelium erschließen können, kamen die markantesten Apostel Christi aus der Täuferbewegung.

Das Wirken des Täufers erregte die Aufmerksamkeit des Hohen Rates. Jede messianische Bewegung war politisch gefährlich, und die Stellung des Synedriums stand und fiel mit dem guten Einvernehmen mit der Besatzungsmacht. So sandte es eine Untersuchungskommissdon aus pharisäisch geschulten Priestern und Leviten (Tempelpohzei?) an den Jordan.

In dem Verhör, wer er denn sei — der Messias, Elias oder sonst ein Prophet —, ga/b der Täufer die unanfechtbare Antwort: „Ich bin die Stimme dessen, der in der Steppe ruft: .Bereitet den Weg des Herm! Ich taufe mit Wasser, aber mitten unter euch steht einer, den ihr nicht kennt. Er wird euch mit Feuer und Heiligem Geist taufen!'“

Antipas, der „Fuchs“

Um diese Zeit ging Herodes Antipas, der Tetrarch von Galiläa und Peräa, eine skandalöse Verbindung mit der Herodias, der Frau seines Halbbruders, ein, die zugleich auch seine Nichte war. Verwandtenehen

waren unter den Herodiem üblich, Ehescheidung bei den Juden erlaubt; doch es war ein Greuel, die Frau des Bruders zu dessen Lebzeiten zu ehelichen. Getreu seinem Prophetenamt hielt Johannes dem Antipas furchtlos vor: „Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zu haben!“

So war einst Nathan zu David gekommen, um ihm wegen des Ehebruchs mit der Bethsabe Gottes Strafe anzukündigen. David tat damals schwere Buße. Der Tetrarch von Galiläa besaß nicht die Größe Davids — er ließ Johannes in der Festung Machärus am Toten Meer einkerkern. Ein Hinweis des Flavius Josephuß verrät, daß der Täufer dem Antipas auch politisch verdächtig war.

Herodes Antipas, der Sohn des Kindermörders von Bethlehem mit der Samariterin Maithace, kommt in den landesüblichen Vorsteltaigen meist sehr schlecht weg als brutaler Lüstling im Stile eines fetten orientalischen Potentaten. Indessen zeigen adle Münzfunde mit Bildern von Herodiem drahtige Beduinen; die Tatsache, daß es Antipas gelang — im Gegensatz zu seinem Bruder Archelaus, der 6 nach Christus abgesetzt wurde —, sein Gebiet etwa vier Jahrzehnte in Frieden zu regieren, spricht eher für als gegen ihn. Sein diplomatisches Geschick findet auch im Lukasevangelium seinen Niederschlag, wo ihn Jesus einen „Fuchs“ nennt (Lk. 13, 32). An dem Dämpfer, den Pilatus wegen seines unklugen Vorgehens gleich zu Beginn seiner Tätigkeit vom Kaiser aufgesetzt bekam, war Antipas wesentlich beteiligt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung