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Der Mann, der Andreas Hofer erschoß

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Als am 19. September 1799 dem Arbeiter und Güterschaffner des im Luxemburgischen gelegenen Schlosses Befort Michel Eiffes und dessen Ehefrau Margaretha Weckering ein Knäblein namens Michael geboren wurde, konnte niemand ahnen, daß das Schicksal diesen neuen Erdenbürger dazu ausersehen hatte, in späteren Jahren dem großen Freiheitshelden und Blutzeugen Tirols, Andreas Hofer, die Todeskugel zu geben. Auch dann noch, als nach mehr denn einem halben Jahrhundert später der Ruhm und die Popularität des „Sandwirtes von Passeier“ weit über die Grenzen Tiroler Lande gedrungen war, als auch in den abendlichen Spinnstuben die Luxemburger mit einem Gefühl leiser Wehmut die volkstümliche Melodie „Zu Mantua in Banden..." anstimmten, da waren sich dabei immer noch die allerwenigsten bewußt, daß es gerade ein Luxemburger gewesen, den das Geschick dazu ausersehen hatte, im Schlußakt von Hofers Leben eine tragische Rolle zu spielen.

Wie sp viele Söhne Luxemburgs mußte auch Michel Eiffes' ’aus Befort in die Kriegdienste des großen Korsen und Welteroberers Napoleon treten und an zahlreichen Feldzügen und Schlachten des Franzosenherrschers teilnehmen. Im Alter von 20 Jahren, am 30. Mai 1800, wurde er auf Grund dės Gesetzes von 1798, das alle 20- bis 25jährigen Luxemburger zu den Waffen rief, dem 13. Füsilierregiment zugewiesen und machte die Feldzüge von 1803 und 1804 mit. Nachdem er an dem großen Vorbereitungsunternehmen des Camp de Boulogne teilgenommen hatte, kam er zu Ende desselben Jahres mit seinem Regiment nach Metz, wo er dann bis zum Monat August des folgenden Jahres in Garnison blieb. Am 4. August 1805 brach sein Regiment auf, setzte über den Mont- Cenis und stieß durch die Lombardei bis nach Verona vor. Eiffes war nun vier Jahre lang an den Feldzügen in Oberitalien beteiligt. Nach etlichen Vorpostengefechten in der Umgegend von Pistiera kam es Ende Oktober 1805 zu der Schlacht von Verona. Nachdem sein Kampfverband dem österreichischen Feind bis nach Fiume nachgesetzt hatte, kehrte Eiffes zu Neujahr 1806 nach Triest zurück und bezog hier mit seiner Truppeneinheit Winterquartier. Aber schon am 21. Jänner mußte das in Ruhe liegende Regiment in aller Eile zur Bekämpfung der unerwartet weit vorgestoßenen Engländer aufgeboten werden, und Eiffes rückte nun mit seinen Kampfgenossen in Richtung Florenz und Livorno aus. Dabei mußte der Beforter bei Verona ein zweites Mal harte Gefechte bestehen. Nach dem siegreichen Ausgang des Kampfes setzte das Regiment die Verfolgung des fliehenden Feindes fort, aber bei der Schlacht am Piave gab es erneut schwere Kämpfe um die Einnahme der Festung Laibach; es gelang erst nach einem zweimaligen hartnäckigen Ansturm, die Festung zu nehmen.. Eiffes war als einer der ersten Kämpfer in die Festungsanlagen eingedrungen. Sein tapferes Draufgängertum brachte ihm eine ehrenhafte Erwähnung ein. 1809 nahm der inzwischen zum Korporal beförderte Napoleon-Soldat an der Belagerung von Graz teil. Mitte Juni stritt er in der Schlacht von Raab. Bei Wagram zeichnete er sich durch die Gefangennahme einer Batterie aus. Beinahe hätte ihn die Schlacht von Wagram das Leben gekostet: er wurde durch einen Bajonettstich in die rechte Seite schwer verwundet und. blieb in der allgemeinen Verwirrung auf dem

1 Schlachtfeld zurück. So fiel er dem Gegner in die Hände, der ihn gefangen nach Königgrätz l brachte. Doch schon am 15. September hat Eiffes den Weg zu seinem Regiment wiedergefunden, das er heimlich in Graz hatte erreichen können und mit dem er dann, nach seiner Beförderung zum Sergeanten, Ende 1809 nach Mantua in Garnison zieht.

Und nun brach das Jahr 1810 herein, jenes Jahr, das Eiffes in die Seelennöte brachte, an denen er, wie aus seinen hinterlassenen Aufzeichnungen ersichtlich ist, bis zu seinem Lebensende nicht mehr restlos gesunden konnte. In Mantua war ės, wo der inzwischen zum Feldwebel ernannte Luxemburger den Auftrag erhielt, mit einem Peloton von 12 Grenadieren des 2. Bataillons das Todesurteil an dem aufständischen Tiroler Freiheitskämpfer Andreas Hofer zu vollstrecken.

Verbissen hatte das Tiroler Volk die Flamme der Freiheit gehütet und sich im Kampf begeistert um seinen „Ander!“ vom Sandhof geschart: das Ende ist bekannt. Da saß nun Andreas Hofer zwischen den düsteren Kerkermauern der Festung Mantua und wartete auf die Stunde, da ihn das Exekutionspeloton zur Vollstreckung des Todesurteils zum Hinrichtungsplatz bringen sollte.

Die Stunde kam. Tief ergriffen führte Michel Eiffes das ihm auferlegte Amt aus: am liebsten hätte er den Auftrag abgelehnt, wenn es bloß in seiner Macht gestanden wäre. Hofer nahm ihm denn auch das aufgezwungene Amt nicht übel: er schenkte ihm sogar noch den letzten Silberzwanziger, den man ihm in der Kerkerhaft belassen hatte.

Wie Eiffes, auf dem Richtplatz angekommen, Hofer ein Tuch um die Augen legen will, wehrt sich dieser entschieden gegen das Anlegen der Binde: „Das brauch ich nit“, sagte er, „’s ist nit das erstemal, daß ich dem Tod ins Auge schau.“ Auch der Aufforderung, niederzuknien, kommt er nicht nach. „Ich will dem, der mich erschaffen hat, meinen Geist stehend zurückgeben!“ sagt er ruhig und fest. Aufrecht bleibt er stehen, dann tritt er einige Schritte vor und erwartet das Kommando zum Feuern. Aber dem zutiefst bewegten Feldwebel Eiffes will das Wort nicht über die Lippen. Da gibt Hofer selber das Kommando: „Feuer!“ Die Grenadiere schießen. Aber so sehr sind auch sie von der Standhaftigkeit des Helden ergriffen, daß die meisten Schüsse fehlgehen oder nur schlecht treffen. Hofer bricht verwundet in die Knie, winkt mit der Hand und ruft: „Schießt besser!“ Da überwindet Eiffes seine eigene Seelenqual, springt hinzu und gibt dem am Boden Liegenden und sich in Schmerzen Windenden den Gnadenschuß. Erst diese Kugel macht Hofers Leben ein Ende.

Bis in seine letzten Lebenstage hinein trug Michel Eiffes innerlich schwer an dem tragischen Geschehnis von Mantua. Auch die nächsten Jähre, die ihn zu neuen Waffentaten führten, verhalfen ihm nur wenig dazu, dieses traurige Erlebnis zu überwinden. Im Jahre 1811 kam Eiffes nach Gradisca in Garnison. Ende 1812 nach Montpellier. Hier erhielt er seine Ernennung zum Offizier; er hatte damals 33 Jahre, und war nun bereits 13 Jahre ununterbrochen in Kriegsdiensten.

Nach dem Zusammenbruch des russischen Feldzuges, auch dann noch, als Napoleons Stern bereits stark am Verblassen war, hielt Eiffes unentwegt zu seinem Feldherrn. Im Feldzug in Sachsen schlug er sich unverdrossen,

und in der Schlacht von Dennewitz (6. September 1813) winkte ihm sogar das Ehrenkreuz; es konnte ihm aber in der allgemeinen Verwirrung der Verhältnisse nicht mehr zugeteilt werden. Auch während der unheilvollen Leipziger Tage (16. bis 19. Oktober 1813), die sich für Napoleon zur Katastrophe auswuchsen, focht er mit. Als eine Kanonenkugel dem in der großen Völkerschlacht an seiner Seite kämpfenden Colonel Murchand den Kopf abriß, übernahm Eiffes an seiner Stelle das Kommando; das Wörterbüchlein des Colonels, das er aus den bösen Kriegstagen mit nach Hause brachte, wahrte er zeitlebens als teures Andenken.

Das Schlachtenglück hatte sich endgültig vom Franzosenkaiser abgewendet. Als der allgemeine Rückzug der Armee einsetzte, zog sich das 13. Regiment in Eilmärschen nach Mainz zurück, um daselbst in Garnison zu gehen. Wie aus einem am 6. Oktober 1814 ausgefertigten Dokument ersichtlich ist, erhielt Michel Eiffes an diesem Datum seinen Abschied aus der Armee und damit die Möglichkeit, in seine Luxemburger Heimat zurückzukehren.

Auf seinem Heimweg erfuhr der Verabschiedete in Trier das Heranrücken der Alliierten; auf einem Schimmel reitend, gelang es ihm doch noch, bis nach Befort durchzukommen. Schon gleich am folgenden Morgen war die Echternacher Gegend von hessischen Truppen besetzt. Eiffes war klug genug, sich die erste Zeit hindurch versteckt zu halten und so die Gefahr einer möglichen Gefangennahme zu umgehen.

Allmählich fand Eiffes in das bürgerliche Leben zurück: er heiratete und unterhielt bis zu seinem Lebensende im Beforter „Firschten“- Haus eine Gastwirtschaft. Die Begeisterung für den großen Franzosenkaiser hat er sich zeitlebens gewahrt, und der Umstand, daß einer seiner Enkel den Vornamen Napoleon trug — die Dörfler nannten ihn schlechthin „de Napp“ — beweist zur Genüge, wie tief der Napoleon- Kult in der Familie verankert war. Lange Jahre hindurch versah Michel Eiffes in der Gemeindeverwaltung Befort die Funktion eines Sekretärs. Seine Popularität brachte ihn im Novem ber des Jahres 1830 auf den Bürgermeisterposten. Von diesem Zeitpunkt ab vereinigte er während vieler Jahre in seiner Hand zugleich den Bürgermeister- und den Sekretärposten. Wer einmal seine in schöner Handschrift und in tadellosem Französisch in die Gemeinderegister eingetragenen Aufzeichnungen zu Gesicht bekam, der kommt unwiderstehlich zu der Ueberzeugung, daß Michel Eiffes ein für jene Zeit außergewöhnlich hoch kultivierter Dorfmensch gewesen sein muß. Seine letzte Unterschrift als Ortsschöffe findet sich in den Gemeindebüchern unter dem Datum vom 2. März 1845. Von’ nun ab scheint ihn die Krankheit dem öffentlichen Leben entzogen zu haben. Als in den Herbsttagen zugleich mit dem matter werdenden Sonnenlicht der Tod in die Baumblätter stieg, legte sich in den Nachmittagsstunden des 21. Oktober 1845 der müde und ausgediente Napoleon-Krieger zum letzten Schlaf. Er hatte ein Alter von 66 Jahren erreicht und wurde auf seinem Heimatfriedhof zur ewigen Ruhe gebettet.

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