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Der Papst des Gespräches

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Es mag kindisch erscheinen, dem neuen Papst, kaum daß er gewählt ist, Prognosen zu stellen. Er selbst wagt es nicht und stellt sich vor als jener, der Pius' XI. Unbeugsamkeit, Pius' XII. Weisheit und Johannes' XXIII. „einzigartige Güte“ in sich vereinigen möchte. Das sagt nicht mehr und nicht weniger als dieses: In allen dreien, denen er gedient hat, sieht er und hat er erlebt eines Papstes würdige Eigenschaften, die er verehrt und die seine eigene Persönlichkeit geformt haben. Anscheinend in je steigendem Ausmaß . . . ganz im Unterschied zu seinem Vorgänger, der von seinen ersten Begegnungen mit dem geliebten Bischof Radjpi Tedescho die endgültige Prägung des Lebens erhielt. Sicher ist jedoch auch, daß Montini als Papst keiner seiner drei Vorgänger ganz sein wird, soviel er ihnen auch zu danken hat. Er wird Paul VI. sein.

Aber was heißt das? Eifrige Presse-leute durchwühlen nun die Aussagen und Taten seines bisherigen Lebens. Sie stellen fest, daß er aus einem Dorf bei Brescia „nicht allzu weit vom Geburtsort Johannes' XXIII.“ stammt, aber aus einer Bürgerfamilie „wie Pius XII.“. Daß im Gegensatz zu Roncalli, der nie lange in Rom gewesen war, eine ausgesprochen „römische“ Diplomatenlaufbahn am Staatssekretariat ihn gebildet hat, ähnlich Pacelli; daß ihn aber, ähnlich Roncalli, stets nach einer seelsorglichen Tätigkeit verlangte und er sie auch erstaunlich lange neben der diplomatischen Amtsverrichtung als Generalstudentenseelsorger Italiens ausübte. Daß er ebenso wie Roncalli und Achille Ratti, der spätere Pius XL, von einem Bischofsstuhl aus zum Papst erkoren wurde. Obwohl Italiener, wollten alle drei Vorgänger Pauls VI. moderne und der heutigen Zeit gegenüber aufgeschlossene Männer sein, und es besteht kein Zweifel, daß auch der neue Papst dies nicht minder sein wird. Die kühnen und spontan aus seiner unverfälschten christlichen Persönlichkeit erfließenden Initiativen Johannes' XXIII. hat Paul VI. alle, ohne Ausnahme, sofort nach seiner Wahl zu d;n „seinigen“ gemacht: das Konzil, die Neugestaltung des kirchlichen Rechtsbuches, die ökumenische Öffnung der Kirche, die Bemühungen um den Frieden, die sozialen Bestrebungen insbesondere im Hinblick auf die Entwicklungsländer, die Hebung der Arbeiter, den Ausgleich zwischen den Völkern. Jetzt erst wird man sich bewußt, wieviele der Programmpunkte Papst Johannes' schon Jahre zuvor von Montini aufgestellt worden waren. Mancher Passus in der Einleitungsrede Johannes' XXIII. zu Konzil (zum Beispiel über den Segen der deutlichen Unterscheidung von Kirche und Staat) stimmt fast wörtlich mit vorher von Montini gehaltenen Reden überein, so daß es jetzt gar nicht mehr verwundert, wenn Montini als einziger der nicht in Rom ansässigen Kardinäle während des Konzils im Vatikan Wohnung nehmen konnte. Ja, es erscheint als durchaus glaubwürdig, was manche berichten: daß es der Papst selber war, der Montini den Rat gab, sich während des Konzils zurückzuhalten. Noch einmal scheint der liebenswürdige „furbo“ (der Bauernschlaue) - jetzt über den

Tod hinaus — einen Sieg errungen zu haben, indem er „seinen“ Kandidaten für die Papstwahl richtig postierte.

Zwei Perspektiven

Soweit, so gut. Trotzdem ist Montini keineswegs identisch mit Roncalli, wie er auch nicht identisch genannt werden kann mit Pacelli. Die Zeitung „Le Monde“ hat den glücklichen Einfall gehabt, zwei Kurzartikel von zwei großen Journalisten, Jean d' Hospital und Henri F e s q u e t, nebeneinander zu setzen: „Paul VI. und Pius XI1.“, „Paul VI. und Johannes XXIII.“.

• Darnach ähnelt Paul VI. dem Pacelli-Papst, insofern beide stets die „ersten ihrer Klasse“ in der Schule waren; beide kletterten die Stufenleiter der Hierarchie in der Römischen Kurie erstaunlich rasch und mit einer gewissen Verve hinauf. Beide besaßen unbestreitbare Autorität, waren aber auch unter der Decke der Kritik ausgesetzt. Beide lenkten (wenn auch nicht im gleichen Ausmaß) die vatikanische Politik. Bei beiden war ein beträchtlicher Teil ihrer Wähler bereits zuvor ihnen untergeordnet gewesen. Beide glichen einander in der äußeren Erscheinung und verfügen nur über eine zarte Gesundheit.

Über diesen Parallelen dürfe man aber tiefgreifende Unterschiede nicht übersehen. So streng Montini in Lehrfragen sein könne, habe er dennoch stets seine innere Anteilnahme an den Nöten, den Hoffnungen und Problemen der modernen Menschen gezeigt; er forschte immer nach den geheimen Quellen der Unruhe unserer Zeit; die Frage der vom Glauben Abständigen, die Probleme der Unterentwickelten, das Ärgernis der getrennten Christen beunruhigten ihn selbst zutiefst — und darum suchte er auch den anderen zu verstehen, wozu es nur ein Mittel gibt, den Dialog. Damit schlug er einen von Pius XII. abweichenden Weg ein. Im Gegensatz zu ihm liebe er, meint d'Hospital, nicht den Prunk, suche er — soweit als möglich — demonstrativen Ehrbezeugungen auszuweichen, schätze er die Geselligkeit, pflege er Freundschaften, gehe er bei Gesprächen auf den Partner ein. Kleine Akzentverschiebungen? Sie können in der Auswirkung ein völlig verschiedenes Pontifikat ergeben. • Gegenüber Johannes XXIII. sind umgekehrt die Unterschiede das erste, was auffällt. Roncalli hatte nichts Gequältes an sich. Heiterkeit und Spontaneität waren seine Merkmale. Schwierigste Probleme vereinfachte er. Widerständen begegnete er mit geduldigem Warten und lächelndem Vertrauen. In Paul VI. ist stets etwas Gespanntes. Er scheint autoritär, und das schafft Distanz. Seine hohe Spiritualität stellt große Anforderungen. „Seine von einer gewissen scheuen Ängstlichkeit beherrschte Erregbarkeit erleichtert ihm menschliche Kontakte nicht. Er hat das Bedürfnis, geliebt zu werden und ist darauf bedacht, sich zu bewähren. Er wäre zerbrechlich, verfügte er nicht über einen ausnehmend gradlinigen Willen.“ Er sieht sich selbst zu, wenn er handelt, und erstrebt das je Bessere. Er kritisiert dauernd sich selbst und sucht unablässig nach immer höheren Synthesen. Er ist eher ein kühler Denker als ein Gemütsmensch, und doch pflegt er die Freundschaft. Fesquet meint, Paul VI. werde als Papst ein Reformator und Kämpfer sein, durchaus in Fortführung der Werke Johannes XXIII., aber in sehr anderem Stil.

Während des Konzils

Vielleicht ist es fruchtbarer, einmal von der Sache her das Problem anzugehen. Die erste Sitzungsperiode des Konzils ist vorbei. Sie hat eine Atmosphäre geschaffen und eine Marschrichtung eingeleitet. Das soll beibehalten werden. Gewiß. Aber man kann nicht dauernd in Atmosphäre machen, man muß zu konkreten Verwirklichungen kommen.

Richtig ist, daß das Konzil dringend einer „Klärung, i kritischen Sichtung und Durchgestaltung“ bedarf. Sie waren auch in der Zwischenzeit durch die Arbeiten der Koordinierungskommission bereits im Gang, und zwar im Sinn der beiden Kardinäle Suenens und Montini, die beide der Kommission angehörten. Auch in seinen „Briefen vom Konzil“ hatte Montini die Vorbereitung der ersten Sitzungsperiode und diese selbst kritisiert. Er schrieb:

„Ein riesiges und wertvolles Material liegt vor uns. Es ist aber heterogen und ungleichwertig. Eine mutige Straffung und Wertung wäre erforderlich gewesen. Es fehlte bei der Vorbereitung eine Autorität, die nicht bloß von außen und rein disziplinar sich hätte betätigen müssen, sondern die aus dem gewaltigen Stoff in logischer und organischer Arbeit eine architektonische Grundidee herausgehoben und das ganze polarisiert hätte. Die Achtung vor der Freiheit und Spontaneität, denen das Konzil seinen Ursprung verdankt, hat den zentralen Punkt im Programm des zweiten V1 atikanums verdunkelt, obwoM die Worte des Papstes in der Vorbereitungszeit und in seinen Reden vom 11. September und 11. Oktober ihn deutlich hervorgehoben hatten.“

Allein aus diesem Satz kann man ersehen, daß Paul VI. dem Konzil eine deutlichere und straffere Führung geben wird, als dies Johannes XXIII. in der ersten Periode tat. Wie sie im einzelnen aussehen wird, kann jetzt noch nicht gesagt werden.

Trotzdem wäre es eine wenig erfreuliche Umstellung, wenn das bedeuten sollte, daß nunmehr an die Stelle des so verheißungsvoll angebrochenen weltweiten Gespräches zwischen den verschiedenen kirchlichen Organen und zwischen allen Getauften, ja zwischen der Kirche und der Welt wieder ein Papst der einsamen Entschlüsse treten würde. Die besten Reformen, die,kühnsten Anpassungen an den Stil und die Ausdruckswefse der Zeit, die tapfersten Preisgaben alter Königsmäntel zugunsten eines schlichteren und weniger prunkvollen Auftretens in der Kirche wären ärmliche Neuheiten, wenn diese von Johannes XXIII. hervorgelockte Gesprächsatmosphäre verlören ginge oder nicht fortgeführt würde. Das Erlebnis der ersten Konzilsphase bestand im Gewahrwerden, daß christliche Wahrheit wesentlich eine Wahrheit des Gespräches ist, nicht kühle Lehre, sondern Personanrede, die personale Antwort will; ja, Bereitschaft zu hören, sich sagen zu lassen ... Hier scheint uns der wesentliche, entscheidende Punkt für einen wirklich glücklichen Fortgang des Konzils zu liegen!

Ist zu hoffen, daß Paul VI. diesem Bedürfnis entsprechen wird?

Die Gabe des Zuhörens

Er besitzt nicht die Spontaneität seines Vorgängers. Johannes XXIII. sprach nie von „Problemen“, Paul VI. liebt dieses Wort, es fehlt in keiner seiner ersten Verlautbarungen. Johannes XXIII. strahlte Güte aus; aber manche seiner Besucher sagten mir: „Er nahm das Gespräch sogleich in seine Hand, er sprach und er sprach, wohltuend und gütig, gewiß, aber mein Problem kam ich nicht dazu, vorzutragen.“ Von Montini erzählen übereinstimmend alle, die ihn als Subsekretär im Staatssekretariat kennenlernten, daß es seine große Gabe war, zuzuhören. Er bezog zwar nie Stellung (seiner damaligen Stellung entsprechend), aber mit unglaublicher Geduld hörte er wohlwollend zu. Man spürte an seinen Fragen, er suchte ehrlich sein Gegenüber zu verstehen. Die Gabe des Zuhören-könnens ist für jedes echte Gespräch ein grundlegendes Moment. Pius XII. besaß diese Gabe nicht.

Eine der ersten Handlungen des neuen Papstes war die Audienz der Pfarrer Roms. Bei diesem Anlaß sagte er:

„Wir danken Gott, daß Wir in Mailand mit den prominentesten Vertretern der modernen Welt, den Wissenschaftlern, den Künstlern, den Industriellen, den Wirtschaftlern und den sich großartig, aber manchmal zugleich unsicher und kurzsichtig gebenden Arbeitern, ein Gespräch anreißen konnten. Es war freilich in der Art, wie es geführt wurde, noch ohne große Erfahrung.“

Das zeigt eine Grundhaltung des neuen Papstes. Die sofortige Kontaktaufnahme mit dem erkrankten Primas von Spanien (!), Pia y Deniel, am ersten Tag nach seiner Wahl deutet ebenso wie seine Reisen der letzten Jahre in verschiedene Länder Afrikas auf diesen Gesprächswillen. Vergessen wir nicht, daß die Krönungsmesse am 30. Juni nicht nur erstmals vor der Peterskirche auf freiem Platz stattfand, sie war auch eine sogenannte Missa dialogata, eine Gesprächsmesse.

Gewiß, das sind alles nur Andeutungen und kleine Zeichen. Doch sind sie nicht ohne Bedeutung in der heutigen Gesamtsituation. Und wenn sie auch nicht mehr als eine Hoffnung darstellen, so ist diese Hoffnung doch nicht ohne Begründung. Paul VI. wird nicht nur die Werke seines Vorgängers weiterführen, er wird auch ihren Geist auf die ihm eigene Weise vertiefen können durch einen weltweiten echten, vergeistigten Dialog mit dem Weltepiskopat, mit den Laien in der Kirche, mit den Getauften in aller Welt und mit allen Menschen guten Willens.

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