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Der Pfarrer und sein Turm

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VON SILVIA DOMUS NACH Waldhausen: Lateinisch wie deutsch. Eine solche Reise in die Vergangenheit unternimmt man, wenn man bei Sarmingstein im herrlichen Strudengau die Bahn verläßt und entweder auf Schusters Rappen oder unter Bemühung nicht allzu häufiger Postautodienste das Sarmingbachtal aufwärts reist bis Waldhausen. So wie vor fast genau achthundert Jahren die letzten im Kloster Säbnich zurückgebliebenen Augustiner-Chorherren, denen die ausgesetzte, Wind und Wetter offene Lage auf dem steilen Felsabsturz oberhalb Sarmingstein längst leid geworden war. Nach eineinhalb Stunden fand man im Tal des Sar- mingbaches einen vorspringenden Hügelrücken und baute hier „Silvia Domus“, ein Haus (Gottes) im Walde. „Waldhausen — das zerfließt einem ja auf der Zunge“, sagte ein Kollege, als ich ihm den Namen meines oberösterreichischen Urlaubsortes nannte. Und schon den Mönchen von Anno 1161 mag es so gegangen sein, als sie inmitten noch gar nicht sehr wirtlicher, bärenreicher Wälder einen sicheren und geschützten Punkt gefunderf hatten. Dazu kamen die traurigen Gastgeschenke einer unfriedlichen Zeit, kamen Seuchen, Plünderungen, Hungersnöte und immer wieder Großbrände. Ungarn, Hussiten, Raubritter, böhmische Freischärler, plündernde Bauernscharen und Franzosen reichten sich hier die Hand zum Zerstörungswerk.

Nicht so bald vergessen sollten die Mönche von Waldhausen eine Nacht des Jahres 1432. Das befestigte Stift erstürmt und in Flammen, die Mönche gefesselt im Stiftshof, um sie mit dem verhaßten Gotteshaus untergehen zu lassen. Doch die räuberischen Hussiten hatten die Rechnung weder mit den Kaiserlichen, noch mit dem Wetter gemacht. Noch in derselben Nacht lcani das kaiserliche Reer und verjagte die Hussiten, und himmlischer Regen half den irdischen Feuerwehren beim Rettungswerk. Die nun folgenden Jahrzehnte waren friedlicher, sahen viel Wiederaufbauarbeit, bis zum Jahre 1661 — also vor fast genau dreihundert Jahren —, als die Stiftskirche in ihrer heutigen Form als frühester barok- ker Kirchenbau Oberösterreichs und einer der frühesten von ganz Österreich fertiggestellt wurde. Ihn beschreiben zu wollen, fällt schwer. Man muß ihn einfach erlebt haben. Von außen ahnt man kaum die Herrlichkeit des Inneren und steht nicht viel weniger überwältigt dann an der Schwelle des römischen St. Peter, wenn man sich auf einmal dieser barocken Pracht in den vorherrschenden Farben Weiß, Schwarz und Gold gegenübersieht...

„SOLCH EINEN STUCK WIRD MAN KAUM anderswo wiederfinden“, meint Pfarrer Josef Moosbauer — von ihm wird noch zu reden sein — im abendlichen Farbdiavortrag. Und er hat nicht unrecht damit. Dieser Formelnreichtum, diese in den Raum hineinreichende und hineingreifende Figurenvielfalt, die muß man tatsächlich suchen, wenn man sie anderswo finden will. Man könnte einen ganzen Kunstführer (und Pfarrer Moosbauer hat einen ganz prächtigen verfaßt) mit Details und Aberdetails füllen und käme immer noch an kein Ende. Ein sehr radikales Ende fand allerdings sehr viel von der ausgedehnten Stiftsherrlichkeit, als Kaiser Josef II. die große Schuldenlast des Stiftes zum willkommenen Anlaß nahm und die Aufhebung desselben verfügte. Und während fast alle aufgehobenen Stifte erhalten geblieben sind, wurde ausgerechnet dieses Juwel des Frühbarocks abgerissen. Nur ein kleiner Rest blieb übrig, die herrliche Stiftskirche. Auch sie sollte abgetragen werden, doch hier lehnte sich das gläubige Volk auf.

Keine Spur davon bewiesen hingegen die Verantwortlichen, bewies das österreichische Militär. In einem beispiellosen Akt des kulturellen Vandalismus wurde außer Stiftskirche und Wirtschaftsgebäude alles abgerissen. Nicht weniger als neun zig Zimmer mit barockem Prachtstuck fielen der Spitzhacke zum Opfer.

Freilich nur ein Torso ist davon zurückgeblieben. Wahrlich kein Ruhmesblatt für jene, die damals verantwortlich für eine Tat waren, wie sie in ihrer makabren Gründlichkeit zwischen Ungarn und Franzosen niemand fertigbrachte. Dazu mußten schon die eigenen Leute kommen.

DRAUSSEN PLÄTSCHERTE EINTÖNIG DER REGEN einer gar nicht urlaubsmäßigen Schlechtwetterzone „über dem Alpenraum und nördlich der Donau“. Weshalb ich die Gelegenheit ausnütze und mich über die mustergültig geführte Pfarrchronik hocke. Die sich in der Folge als eine wahre Fundgrube erweist. Und so verlockend es wäre, „ganz hinten“ anzufangen und die uralten, dieser Tage chemisch „entschmarotzten“ und renovierten Bände herzunehmen, so wenig würde der Raum einer Reportage über das (mehr oder weniger) heutige Waldhausen dafür reichen. „Allein mit der Pestzeit könnten Sie Seiten füllen“, meint der Pfarrherr. Weshalb ich beschließe, einfach mit ihm anzufangen. Nicht ganz ohne Grund, denn mit ihm beginnt auf einer ganzen Reihe von Gebieten die „neueste Zeit“ von Waldhausen, seit jenem 16. Jänner 1938, als er als neuer Pfarrer — aus Wels — „heimgeholt“ wird. Nun, er durfte sich seines Postens nicht lange freuen. Der aufrechte Hirte seiner Herde wird schon Anfang Mai des darauffolgenden Jahres verhaftet und nach Dachau gebracht. Auch die Schriftenstände müssen 1941 daran glauben. Der immer totaler werdende Krieg duldet keine anderen Götter neben sich •.. Dann führen die Machthaber weitere Schläge: Kooperator Hörantner wird „wegen Verbreitung falscher Nachrichten“ mit Schül- verbot belegt. Nach mannhaften Interventionen des Ordinariats schwächt man’® nicht ab, sondern ändert es schlicht und deutlich in „staatgefährdendes Verhalten“. Seit 1942 ist Kooperator Hörantner vor Stalingrad vermißt...

„Weg mit den Glocken“, heißt es im selben Jahr, wodurch die Gemeinde ihre unter schwersten Opfern angeschafften Glocken nur elf Jahre besitzen durfte. Dafür darf sie einen noch ganz anderen Kriegszoll bezahlen: bis August 1944

hat Waldhausen schon 85 seiner Söhne auf den Schlachtfeldern des wahnsinnigen Krieges verloren. Bis Kriegsende werden es 95 sein. Doch noch ist es nicht so weit, noch drücken den Vikar neben den Problemen der Seelsorge auch die der Pfarrbaulichkeiten. Verzweifelte Stoßseufzer in der Chronik: „Wenn nur der Krieg bald aus wäre, dann wäre ja wieder zu erwarten, daß für die private Bautätigkeit Material und Arbeitskräfte freigemacht werden!“ Und dann geht es Schlag auf Schlag. 6. Mai 1945: der Markt Waldhausen soll „gehalten und kriegsmäßig verteidigt werden“. Der Wahnsinn kennt keine Grenzen mehr, und schweren Herzens rüsten die „Marktier“ zur Auswanderung in die umliegenden Berge. 9. Mai 1945: „Die Radiomeldung von der gesamten Kapitulation der deutschen Wehrmacht vor den Alliierten löst größte Bestürzung, Wut und Fluchausforüche bei dem größten Teil der letzten Unentwegten aus. Sie sehen ihr endgültiges Ende kommen..,“ Nicht ist dies aber das Ende für die Pfarre, sondern ein neuer Anfang. Die „kriegsmäßige“ Zerstörung des Marktes findet nicht mehr statt, die sowjetischen Truppen sind schneller. Und eines Tages kehrt — wie ein Wunder — auch Pfarrer Moosbauer aus dem KZ Dachau zurück. Niemand, nicht einmal er selbst, hatte noch daran geglaubt, darauf gehofft, zu hoffen gewagt.

„DAS IST QUASI DIE ,LETZTE ÖLUNG’ für Ihre Orgel“, meint grimmig die Wiener Orgelbaufirma Kauffmann, als die schon sehr bau fällige Orgel der Stiftskirche ein letztes, allerletzes Mal „auf gleich gebracht“ werden soll. Das sind die Tage, wo in dem kunstsinnigen Waldhausener Pfarrherren ganz verwegene Pläne reifen, die an Optimismus alles Denkbare übersteigen. Im Geiste sieht er sein Waldhausen, sieht er die Marktkirche drunten und die Klosterkirche oben in neuem Glanz, mit einer neuen Orgel und einem neuen Turm ... Doch vorerst wird einmal in der Klosterkirche die Bankmisere behoben und die dringend nötige Außenrenovierung durchgeführt. Das ist 1949. Schon 1952 findet die Weihe von sechs neuen Kirchenglocken statt. Eine versierte Gießerei aus Innsbruck hat ganze,’klingende Arbeit geleistet. Zwei Jahre später heißt es das Dach der Klosterkirche renovieren, soll der unersetzliche Stuck des Mittelschiffs nicht auf immer dahin sein. „Ein eigenes Schicksal war der Orgel beschieden“, erzählt Pfarrer Moosbauer. „Sie wurde nach der am Gehäuse sichtbaren Zahl im Jahre 1677 erbaut, ein zweimanualiges Werk mit 20 Registern.“ „Und heute?“ frage ich. „Zur Zeit der Klosteraufhebung“, meint der Pfarrherr, „wurde zunächst einmal — im Zuge der Schuldentilgung — das gesamte Pfeifenwerk verkauft. Übrig blieb die leere, schöne Hülle des Orgelgehäuses, in das der bekannte Orgelbauer Nikolaus Rummel der Jüngere 1803 wieder ein bescheidenes Spielwerk einbaute.“ Immerhin überdauerte dieses Werk an die 150 Jahre, bis — siehe obenerwähnte „letzte Ölung!“ — eine Radikallösung nötig war. Und die fiel phantastisch aus; Orgelbauer Hans Pirchner aus Steinach in Tirol hat nach den alten Unterlagen weitgehend den ursprünglichen Zustand wiederhergestellt, baute zusätzlich ein Prinzipalplenowerk in das Oberwerksgehäuse ein, erhöhte die Zahl der Baßstimmen von drei auf fünf und gab der Orgel eine Klangfülle des Plenowerkes, wie man sie kaum sonst finden wird.

OPTISCH WIE AKUSTISCH EIN MEISTERWERK, das darf man wohl sagen. Und ein wahrer Meister des Orgelspiels war an der Pla nung und Durchführung mitbeteiligt: Prof. Anton Heiller, zu dessen liebstem Sommeraufenthalt seitdem Waldhausen geworden ist. Dieser „Wahl-Waldhausener“ weiß auch diese Königin der Instrumente zu spielen, daß dem Zuhörer nur noch das demütige Staunen und Bewundern bleibt. Er beherrscht nicht nur .seinen Bach“, sondern ebenso souverän auch „seinen Hindemith“ und spielt ihn im feiertäglichen Orgelkonzert auch für ‘„supertonale“ Ohren. Was die Gemeinde betrifft, hat Pfarrer Moosbauer ein wenig seine liebe Not, als er zwischendurch die Marktkirche von kitschigneugotischen Altären „entrümpelt“ und statt dessen den Kirchenraum in seine ursprüngliche Gestalt rückführt, einen herrlichen Altar au der Schwanthaler-Schule erwirbt, der sich wie „maßgebaut“ einfügt. Manche allzu Konservative verzeihen es dem rührigen Pfarrer bis heute nicht, daß er ihrer Kirche wieder lichtvolle Weite zurückgegeben hat. Und es kränkt ihn ein wenig, auch wenn er darüber nicht spricht.

Doch die „Königsidee“ Pfarrer Moosbauers harrt noch der Verwirklichung. Seit 1960 geht er in unverminderter Rüstigkeit daran, nach alten Stichen und Gemälden den frühbarocken Turm von einst zu rekonstruieren. Des Wolfgang Schnepfs Darstellung von Anno 1753 hilft ihm da viel weiter. Und „etwas muß geschehen“, dehn seit dem Turmbrand von 1863, vor hundert Jahren also, hat man dem herrlichen Barockbauwerk einfach einen billigen Pyramidenturm aufgesetzt. Und Pfarrer Moosbauer schafft es in kaum zwei weiteren Jahren, seinen Plan zu verwirklichen. Schon am 3. Juni 1962 ist der frühbarocke Turm nach alten Unterlagen exakt rekonstruiert und wiederhergestellt, das Fest der Turmkreuzsteckung wird zu einem verdienten Triumph von Pfarrer Moosibauere größtem Plan. Man müßte richtig sagen: bisher größtem Plan, denn wer ihn kennt, der weiß, daß seine Pläne noch lange nicht am Ende sind. Er hat inzwischen auch Mitstreiter bekommen. Stadtdechant Dr. Hubert Schachinger von der Währinger Pfarre St. Gertrud hat in den ehemaligen Wirtschaftsgebäuden des Stiftes, die vorübergehend eine „Schloßpension“ war, ein Familienheim eingerichtet, das sich sehen lassen kann; sein getreuer Helfer, Ing. Keller, kann darauf ebenso stolz sein, wie Pfarrer Moosbauer über das neue Leben in „seinen Gemarken“ glücklich , ist. Und als wir wenige Tage vor dem Ende meines allzu kurzen Urlaubs beisammensitzen, da sind wir zwei schon lange nicht mehr Pfarrer und einzelheitenhungriger Journalist, sondern wieder zwei weitere Bundesgenossen für das „Waldhausea von morgen“.,.

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