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Der Pilger

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Der erste große Reisende des Christentums, der Apostel Paulus, ist durch seine Reisebegegnung mit dem ihm persönlich unbekannten Jesus erweckt, zum Schöpfer der Christus-Theologie, dann zum Schöpfer einer Missionsbewegung geworden, in der erstmalig aus der jüdischen „Sekte” christliche Kirche wird: Weltkirche in nuce, im Keim und Kern. Große Reisende: irische, „schottische” Mönche, und ihre Erben im Hochmittelalter, dann Franziskaner, Dominikaner, zuletzt Jesuiten: Kirche und Christentum erscheinen hier in Bewegung, als Prozesse eines in globaler Bewegung wachsenden Christentums. Die Gegenreformation ringt um Selbstbehauptung: der römische Katholizismus scheint, besonders nach dem Sieg der protestantischen Seemächte England und Holland über Spanien, zur Kontinentalmacht geworden zu sein: zäh und schwer und schwerflüssig wird um jedes Stück Boden gerungen: zumeist in Europa.

Der freiwillige Verzicht der Päpste nach der Besetzung Roms und des Kirchenstaats durch die Truppen Piemonts, sich außerhalb des Vatikans zu bewegen, entsprach zutiefst dem Bemühen, die Kirche als „Stadt Gottes” abzumauern gegen die Feinde, die man von allen Seiten her, als ein Meer, anbranden sah.

Durch Johannes XXIII. ist das Papsttum in Bewegung geraten. Kein Vorwurf wurde denn auch häufiger gegen diesen Papst vorgebracht, als dieser: er schleife die Bastionen, die Mauern der Heiligen Festung Gottes. Johannes XXIII. konnte gegen stärkste Widerstände gerade noch die Wallfahrt nach Assisi durchsetzen. Papst Paul VI., dessen besonderes Augenmerk einer Reform der Kurie gilt — dieses schwierige Nahziel hat sich dieser genaue Kenner der kurialen Positionen, Festungen und Feststellungen gewählt —, fliegt nach Neujahr in das Heilige Land. Als fernere Reiseziele werden Indien — der Besuch des Eucharistischen Kongresses in Bombay — und ein Besuch in Lourdes genannt. Nachdem zunächst einmal geistig und geistlich in der Theologie des späten 19. und 20. Jahrhunderts der Katholizismus in Bewegung geraten ist, tritt — mitten in einer Welt in Bewegung, in Bewegungen — der Papst in die Bewegung ein.

„Bewegung” — das war vor kurzem noch ein Mythus einer nihilistischen politischen Bewegung. Der Papst sucht nicht Bewegung um ihrer oder um unser selbst willen. Der Papst sucht die Menschen, und weiß, daß sehr viele Menschen ihn nur ersehen, wenn er ihnen entgegenkommt.

„Entgegenkommen”: Der Papst beginnt sich als der Entgegenkommende zu verstehen. Das ist die außerordentliche Neuerung nach Jahrhunderten des Fixismus urld Immobilismus — in diesem Advent 1963 offiziell proklamiert. Adventus Domini: Christentum ist das Entgegenkommen Gottes. Von Rom, das im Zweiten vatikanischen Konzil sich erstmals als offene Stadt realisiert hat, kommt der Papst entgegen: den Ostchristen, den Nichteuropäern, den „Weltstämmen”, wie Martin Buber die „gentes”, die „Heiden” in seiner Psalmübertragung nennt. Der Weg nach Jerusalem, dann nach Indien führt weiter: rund um diese Erde. „An alle”, an alle Menschen hat erstmalig Johannes XXIII. sich gewandt. Paul VI. eben realisiert diese Botschaft: Paulus ging vom Osten nach dem Westen. Paul VI. zieht vom Westen dem Osten entgegen: zunächst zur Wiege und Kreuzstadt des Gottmenschen.

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