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Der Plan des heiligen Bernhard

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Prof, van der Meer stellt die Frage, ob die Architektur der Zisterzienser richtungsweisend war. In Burgund, dem Geburtsland des Ordens, war sie es nicht. Die bauenden Mönche bedienten sich der in ihrem Gebiet gebräuchlichen Techniken. Aber außerhalb Frankreichs — vor allem in Deutschland und Italien — waren sie die großen Erneuerer, weil sie die modernen burgundischen und provenzalisohen Methoden einführten. Ursprünglich folgte die Zisterzienserarchitektur einem eigenen, dem heiligen Bernhard zugeschriebe nen Plan (Plan Bernardin). Bernhard von Clairvaux war ein Feind der gebogenen Linie — in der Krümmung erblickte er das Sinnbild des Bösen, es ist die „anima curva“, die krumme Seele, die sich in Hochmut gegen Gott auflehnt. Sein Ideal war die Gerade. Und diese Idealvorstellung ist ein Merkmal der Bernhar- dinischen Bauweise geworden, wovon die sehr gut erhaltene Abteikirche von Fonteney — die zweite Tochtergründung von Bernhards Kloster Clairvaux — das markanteste Beispiel bietet. „Wenn wir die

Kirche betreten, dann wirkt auf uns der Eindruck von Strenge und edler Größe.“ In dieser Kirche von Fonteney offenbart sich das Ideal bedingungsloser Armut. Der Raum ist weniger groß, weniger hoch und weniger lang als die typische Clu- nyazenserkirche, es gibt keinen Platz mehr für Laien, es ist ein echtes Bethaus für Mönche („Oratorium“, wie die Zisterzienser ihre Kirche mit Vorliebe nennen). Die Apsis fehlt, die Seitenkapellen liegen auf einer Linie, und es gibt keinen Glockenturm. Der Priesterchor ist größer als das Übrige. Prof, van der Meer vermißt in diesem Grundriß die Konzentration auf das „Allerheiligste“. Sehr bald haben sich die Zisterzienser darauf besonnen. Aber dennoch bleiben die weißen Mönche kennzeichnend für ihre Zeit — „die wir nun zu Ende gehen sehen“ — in der das religiöse Gefühl den Sinn für den Kultus weckte.

Andere Orden drängen nach

Ebenso wie Citeaux Cluny überflügelt hatte, so wurden die Zisterzienser in der gewandelten Zeit durch die „moderneren“ Dominikaner und Franziskaner zurückgedrängt. Allmählich hatten auch die feudalen Gepflogenheiten, die man an Cluny so sehr getadelt hatte, wieder Platz gegriffen. In den Abteien von Citeaux wurde die Regel nicht mehr in voller Strenge befolgt. Im Jahr 1231 wendet sich das Generalkapitel gegen „diese überflüssigen Neuerungen wie gemalte Bilder, schöne Farben und dergleichen Dinge, welche der altverwurzelten Würde (antiqua honestas) unseres Ordens nicht zur Zierde gereichen.“

Ein Jahrhundert später denkt niemand mehr an die Honestas vergangener Zeiten. Aber damit ist auch die ursprüngliche Stoßkraft des Ordens in Westeuropa gebrochen. Im 12. Jahrhundert wurden 525 Abteien gegründet, im folgenden Säkulum errrichteten die Zisterzienser wohl 169 weitere Klöster, aber in den nächsten zweihundert Jahren sank die Zahl der Neugründungen auf 38 ab. Der Orden gerät in späteren Epochen in Verfall. Am Vorabend der Französischen Revolution sind viele Abteien zur Gänze oder größtenteils verlassen. Die letzten schweren Schläge erfolgen durch die Revolution und in der Zeit der Restauration. Klöster und Kirchen sind verwüstet oder werden geschleift. Von den fünf Mutterabteien ist nur die Kirche von Pontigny erhalten geblieben. Doch was heute von den hunderten Zisterzienserbauten noch besteht, legt beredtes Zeugnis ab, von der Größe des Ordens und seiner Architektur im 12. Jahrhundert.

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