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Der Purpur

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Papst Pius XI. kreierte fast in jedem zweiten Jahr seiner Regierung neue Purpurträger. Der jetzt regierende Papst Pius XII. ließ die ersten sieben Jahre seiner Regierung verstreichen, ehe er eine ganze Reihe von neuen Kardinalen ernannte. Dies war verständlich, war doch einige Monate nach seiner Thronbesteigung der zweite Weltkrieg ausgebrochen und innerhalb seiner Dauer eine jede Kreierung vielfältiger Deutung oder Mißdeutung ausgesetzt. Wieder aber ließ der Papst den Zeitraum von sieben Jahren verstreichen, ehe er jetzt die Ernennung neuer Purpurträger bekanntgab. Begreiflicherweise hatte die lange Frist, die zwischen der letten .jind der jetzigen Kreierung liegt, eine Reihe von Kombinationen ausgelöst. Jedes Jahr, wenn sich der Dezember näherte, jener Monat, den Papst Sixtus V. zur Ernennung von Kardinalen bestimmt hatte, tauchten Namen von kirchlichen Würdenträgern in Rom auf, die dieses Jahr „bestimmt ernannt würden“. Jedesmal, wenn dieser Dezembertermin verstrichen war, ohne daß eine Ernennung erfolgt war, verlagerten sich die Mutmaßungen in andere Richtungen. Eines dieser Gerüchte besagte, daß der Papst die Anzahl der Kardinale, die im Mittel- alter kaum dreißig betrug und seit Sixtus V. auf siebzig festgelegt wurde, erweitern wolle. Ein anderes Gerücht besagte, daß eine umfassende Umgestaltung der Kurie in Aussicht genommen sei, wobei die Reduzierung der Kurien- kardinäle eine gewisse Rolle spielen sollte.

Die Liste der neuen Kardinale, die soeben veröffentlicht wurde, entzieht allen diesen Gerüchten den Boden. Weder wurde die Zahl siebzig überschritten, noch kann auch nur der geringste Hinweis auf einte Reduzierung der Kurienkardinäle daraus entnommen werden. Die neue Liste ist, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist, eine Liste ohne Sensationen. Ja, sie bewegt sich eigentlich auf jenem traditionellen Gebiet, aus dem seit langem die Kardinale entnommen wurden. Von den 24 neuen Purpurträgern sind 17 Inhaber bedeutender Bischofssitze, 4 hatten sogenannte Nuntien erster Klasse inne und 3 sind Angehörige der wichtigsten römischen Zentralbehörden, nämlich des Offiziums, der Propaganda und der Kongregation für orientalische Angelegenheiten.

Die größte Gruppe der neuen Purpurträger sind regierende Erzbischöfe. Seit langem besteht ja der Brauch in der Kirche, die Inhaber bedeutender Bischofssitze mit dem Purpur zu bekleiden. So wurden fast immer die Erzbischöfe von Paris, München, Posen-Gnesen, Florenz, Wien, Venedig, Toledo usw. Kardinale. Von den vielen italienischen Bistümern, deren Vorsteher über kurz oder lang den Purpur zu erhalten pflegten, waren in letzter Zeit nur mehr Florenz, Turin und Palermo mit Kardinalen besetzt. Die neue Liste erhebt die Erzbischöfe von Neapel, Bologna, Genua, Venedig in den Rang von Kardinalen. Ebenso wurde der Erzbischof von Paris, der auch fast immer den Purpur zu erhalten pflegt, jetzt Kardinal. Ebenso verhält es sich mit dem Erzbischof von Posen-Gnesen.

Seit langem auch ist es Brauch in der Kirche, die Inhaber bedeutender Nuntiaturen in den Rang von Kardinalen zu erheben. Madrid, Paris und Lissabon galten seit alters her als solche Nuntiaturen „erster Klasse", zu denen seit dem Lateranvertrag auch die neue Nuntiatur beim Quirinal zu rechnen ist. Die jetzige Erhebung der Nuntien von Madrid, Paris und Rom ist aber darüber hinaus wohl auch ein Zeichen der Anerkennung für die schwere Bürde, die diesen hohen Würdenträgern in den letzten Jahren auferlegt war. Denn Msgr. Cigognani — nicht zu verwechseln mit dem päpstlichen Delegaten gleichen Namens in Washington — kam 1938, mitten im Bürgerkrieg, als Nuntius nach Spanien, Msgr. Roncalli wurde Ende 1944, knapp nach der Be freiung Paris, zum Nuntius bei der französischen Regierung ernannt, Msgr. Bor- gongini-Duca wird in die Geschichte eingehen als der erste Gesandte des Papstes beim Quirinal, ein Amt, das er knapp nach dem Abschluß der Lateranverträge im Jahre 1929 antrat und seither, durch die Klippen des faschistischen Regimes, des Krieges und der Nachkriegszeit, innehatte. Und Msgr. Ciriaci, Nuntius in Portugal seit 1934, wird manchen noch in Erinnerung sein als jener Gesandte des Papstes, der vor fast zwanzig Jahren nach einem heftigen Konflikt mit der tschechoslowakischen Regierung auf Betreiben Beneschs abberufen wurde.

Obwohl also die neue Liste der Purpurträger eine Liste ohne Sensationen ist, bietet sie dennoch einige bemerkenswerte Einzelheiten. Vor allem macht mit den neuen Purpurträgern die Internationalisierung des Kollegiums weitere Fortschritte. Die Italiener bilden nur mehr eine Minderheit von 27 Kardinalen. Auffallend ist weiter die relativ große Anzahl von südamerika- nischen Kardinalen, die innerhalb der insgesamt 14 amerikanischen Kardinale nunmehr acht Plätze einnehmen. Interessant ist ferner, daß sich auf der neuen Liste kein „Unierter", kein Asiate, kein Afrikaner, kein Ordensmann befindet und die weit überwiegende Anzahl bereits den Rang eines Erzbischofs besitzt.

Drei Namen werden das besondere Interesse der Welt finden: Msgr. Wendel, Msgr. Wyszinski und Msgr. Stepinac. Der erstere wurde erst vor einigen Wochen Erzbischof von München, so daß seine Kardinalserhebung eine bemerkenswerte schnelle Laufbahn darstellt. Der zweite ist der einzige neue Kardinal hinter dem Eisernen Vorhang, eine besondere Auszeichnung des polnischen Katholizismus, dem es als einzigem gelang, sich noch eine gewisse Bewegungsfreiheit zu sichern und erfolgreichen Widerstand gegen die. Verfolgungen zu leisten.

Der dritte Name, der aufhorchen macht, ist der des Erzbischofs von Agram. Der neue Purpurträger wurde bekanntlich 1946 zu 15 Jahren schweren Kerkers verurteilt, 1951 wurde seine Kerkerhaft in Konfinierung umgewandelt. Dies bedeutet, daß er sich noch immer in einer Art von Gefängnis befindet. Stepinaö ist der erste Agramer Erzbischof, der die hohe Würde eines Kardinals erreicht. Denn die Kreierung Bischof Stroßmäyers, die Leo XIII. vornehmen wollte, scheiterte seinerzeit an dem Einspruch der magyarischen Regierung. Msgr. Stepinaö ist der dritte katholische Würdenträger, der in der Neuzeit im Gefängnis den Purpur erhält. Der erste war John Fisher, Bischof von Rochester, den der berüchtigte Heinrich VIII, in den Kerker warf und, trotz seiner Erhebung zum Kardinal, hinrichten ließ. Der zweite war Graf Ledochowski, Erzbischof von Posen- Gnesen, den Bismarck im Kulturkampf einkerkern ließ und den Pius IX. zum Kardinal erhob. Die jetzige Erhebung Erzbischof Stepanic' zum Kardinal ist sicher ein Zeichen der Anerkennung für die Leiden und die Standhaftigkeit in der Verfolgung. Alle Kombinationen, die sonst an seine Erhebung geknüpft sind, dürften überflüssig sein. Er wird auch in der Liste ausdrücklich als Erzbischof von Agram genannt. Die Frage, ob sich Kardinal Stepinaö nach Rom zum Empfang des Kardinalshutes begeben wird, ist noch ungeklärt. Nach einem viel beachteten Interview soll er versichert haben, daß er dies nicht tun wolle. „Denn", so erklärte der Kirchenfürst, „wenn ich nach Rom reisen will, so muß ich um die Genehmigung bei der Regierung nachsuchen. Das will ich nicht.

Wenn ich nach Rom reisen würde, könnte ich nie zurückkehren. Daher werde ich nicht nach Rom reisen. Mein Platz ist hier. Ich werde hier bleiben, solange es erforderlich ist, wenn nötig, bis zu meinem Tode.

Mit der neuen Kardinalsliste wurde gleichzeitig die Erhebung des Zweigestirns Tardini-Montini zu Prostaatssekretären bekanntgegeben, ein Zeichen, daß auch weiterhin mit der Ernennung eines Kardinalstaatsekretärs nicht zu rechnen ist, dieses Amt vielmehr vom Papst wie bisher selbst verwaltet wird.

Das vornehmste Recht der Kardinale ist das Recht der Papstwahl, das ihnen seit 1179 ausschließlich zusteht. Praktisch wird der neue Papst immer aus den Reihen der Kardinale genommen, weshalb sie auch die „Kronprinzen der Kirche" genannt werden, doch sind die Kardinale nicht gebunden, einen der ihren zu wählen. Papst kann theoretisch jeder getaufte, männliche, erwachsene und unverheiratete Katholik werden. Der letzte Nicht-Kardinal, der Papst wurde, war 1378 der Erzbischof von Bari, der als Urban VI. den Thron bestieg. Ist der neugewählte Papst noch nicht Bischof — wie im Falle Pius’ VI. — oder überhaupt nicht Priester, hat der Kardinaldekan, der Vorsteher des Kollegiums, das Privileg, dem neuen Papst alle Weihen zu erteilen. Vorrecht des ersten Kardinaldiakons ist es dagegen, den Neugewählten der Welt zu verkünden. Erst seit dem neuen Codex der Kirche besteht die Vorschrift,, daß die Kardinale die Priesterweihe besitzen müssen. Die berühmten Kardinalstaatssekretäre Consalvi und - Antonelli waren dagegen nicht Priester. Der Purpur selbst soll ein Zeichen sein, daß die Kardinale jederzeit bereit sein sollen die Schmach der Verfolgung auf sich zu nehmen und ihr Blut für die Kirche zu vergießen, ein Fall, der in der Kirche öfter vorgekommen ist...

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