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Der Schatz der Fluchtlinge

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Entdeckungen verdanken wir meistens dem Zufall. So auch jene eines Münzschatzes, der heuer im Frühjahr im Burgenland auf einem Acker gefunden wurde. Hätte der Bauer Josef Lunzer aus Illmitz ein Fahrzeug zur Verfügung gehabt, um den erstmalig im vergangenen Herbst gepflügten Acker zu düngen, wäre er nicht zu Fuß hinausgegangen. Dann wäre es den von ihm gefundenen Münzen ebenso ergangen wie so Vielen archäologischen Bodenfunden, die im Zeitalter der Motorisierung und Mechanisierung unentdeckt bleiben oder zerstört werden. Die gefundenen Münzen brachten den Landwirt auf die. Idee, weiterzusuchen. Als es immer mehr wurden und der rasch herbeigerufene Schuldirektor meinte, es wäre römisches Geld, wurde aus dem Landesmuseum der Archäologe Doktor A. J. Ohrenberger geholt, der dann noch im Schein von Taschenlampen mit .den Bauern weitersuchte.

Des Wissenschaftlers Herz schlug höher, als sie in dem stark humushältigen Boden ein grautoniges Gefäß entdeckten, das — zwar stark zertrümmert — den gesamten, vor ungefähr 1800 Jahren vergrabenen Schatz enthielt. Das Gefäß stand auf schotterigem Grund und hatte mit seinem Inhalt Zeit und Geschichte überdauert. Viel Geschichte, wie sich bei der genauen Untersuchung im Münzkabinett des Kunsthistorischen Museums herausstellte. Hierher brachte Dr. Ohrenberger die Münzen, nachdem sie vom Landesmuseum in Eisenstadt angekauft worden waren, damit sie präpariert und gereinigt würden, ehe sie im Museum dem Publikum gezeigt werden.

Diese insgesamt 157 Geldstücke — 147 Bronze- und 10 Silbermünzen — geben einen schönen Überblick über die römische Münzprägung von den Zeiten Marc Antons bis Marc Aurel. Charakteristisch für das Grenzland ist der Bestand an viele^'%9n?***n4“ -]|W wenigen Silbermünzen, aber gar keinen Gold-stücken1:^fesT waren mellnsM* GW? TO Innern des Landes oder aber außerhalb der Grenzen des römischen Reiches beschränkt. Auch die Zusammensetzung des ganzen Schatzes ist für den Wissenschaftler sehr aufschlußreich. So sind 56 Münzen aus der Zeit Hadrians; der Umstand, daß sich 28 mit dem Bildnis Anto-ninus Pius', aber nur acht mit demjenigen Marc Aurels finden, scheint ein Beweis, daß die Münzen zu einem Zeitpunkt vergraben wurden, da Marc Aurel noch nicht lange regierte. Jedoch bereits nach dem Tode seiner Frau Faustina, da eine Münze mit deren Bildnis die Aufschrift „Faustina Divina“ trägt.

Die weitere Datierung der Münzen und damit auch der Vergrabungszeit erfolgt durch die Angabe der tribunitischen Gewalt, denn eine Jahreszahl ist natürlich noch nirgends vermerkt. Da jedoch der Tribun, im Gegensatz zum Konsul, jedes Jahr gewählt wurde, läßt sich aus diesen Angaben die genaue Regierungszeit des betreffenden Kaisers bestimmen.

Überhaupt ist die hervorragende Ausführung der römischen Münzen — soweit sie gut erhalten und nicht abgegriffen sind, wie so manche dieses Fundes — eine wertvolle Hilfe für die Datierung. Im alten Rom waren die Münzen etwa die „Zeitung des kleinen Mannes“, da die Rückseite für Mitteilungen aller Art verwendet wurde. Es entsteht ein, nicht nur für die Zeitgenossen, sondern auch noch für uns anschauliches Bild von den Taten des Kaisers, seinen Reisen und Eroberungen, seiner Sozialtätigkeit und Außenpolitik. In einigen Münzen dieses Fundes aus Illmitz, die unter Hadrian geprägt wurden, sind z. B. dessen Reisen erwähnt. Eine Münze des Titus — eines Sohnes Kaisers Vespasianus — zeigt die Inschrift „Judäa Capta“, war also zur Zeit der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 v. Chr. hergestellt worden. Die Aktualität, die von einem publizistischen Organ verlangt wird, war also auch hier in dem einzigen mechanisch hergestellten Mitteilungsmittel der Römer gewahrt.

Ein weiteres Auskunftsmittel — wenn man so sagen darf — sowohl für die Geschichte als *uch für die Datierung der Münzen, sind die auf der Vorderseite, dem Anvers, geprägten Bildnisse des Kaisers, manchmal auch der Kaiserin oder des Thronfolgers, wenn diesen das Ehrenpräge-recht eingeräumt wurde. Die römische Porträtkunst gehört bis heute neben jener der Hellenen zu dem Besten auf diesem Gebiet. Diese Porträts sind nicht nur in ihrer Technik und Sachlichkeit hervorragend, sondern gleichzeitig von seltener Realität — daher von unschätzbarem Wert der Dokumentation. An Hand der Münzen läßt sich das veränderte Herrscherbild vom Jüngling bis zum gereiften Mann und Greis verfolgen. Auch in den nun aufgefundenen Münzen sind solche vorhanden, die Marc Aurel als Jüngling mit lockigem Haar zeigen, als er noch Mitregent des Antoninus Pius war, und ein Denar, auf welchem mit hervorragender Genauigkeit das männlich gereifte, von einem Bart umrahmte Gesicht des Kaisers zu erkennen ist.

Ein Kuriosum dieses Münzfundes sind die Legionsdenare, die, schon ganz abgegriffen, in der Zeit, als sie geprägt wurden, aus schlechterem Silber als alle anderen Münzen waren. Erst als unter Kaiser Nero eine allgemeine Verschlechterung des Münzmaterials eintrat, wurden die guten, alten Geldstücke gehortet, wie dies auch noch heutzutage mit den alten Golddukaten geschieht. Die Legionsdenare aber blieben im Umlauf, und die Wissenschaftler vertreten die Meinung, daß man es diesem Umstand zu danken hätte, einige dieser Münzen noch gefunden zu haben.

All diese und natürlich noch weitere für den Numismatiker und Historiker erkennbare Einzelheiten helfen nicht nur bei der Datierung der einzelnen Stücke, sondern auch bei der Festlegung der Vergrabungszeit. Hierzu ist noch weiter der Umstand von Bedeutung, daß bereits im Burgenland, in Kärnten, aber auch in Jugoslawien und Ungarn ähnliche, oft weit mehr Stücke fassende Münzfunde gemacht werden konnten. All diese Funde lassen den Schluß zu, daß sie in der Zeit von 160 bis 170 n. Chr. vergraben wurden, so daß dieser letzte Fund als ^iUd^m Kistt?^ bjotor-isches In.(ij? f,w geo^

' 'Dazu zählt'cfas Aufgehen der österreichischen Länder in das Imperium Romanum. Es war ein Teil jenes großen Eroberungswerkes, das Kaiser Augustus unter dem Zwang geopolitischer Notwendigkeiten in Angriff nahm. Hierzu ist auch die Einrichtung der Provinz Pannonien im Jahre 10 n. Chr. zu zählen, zu welcher das Gebiet des heutigen Burgenlandes, aber auch der Raum im Norden und Osten bis zur Donau, im Süden bis an die Save gehörte.

Die Handelswaren des pannonischen und norischen Raumes in Form von Blei, Salz, Vieh und Leder zählten zu den geschätzten Importen der Südländer, die dafür die Erzeugnisse ihrer Tonwarenkunst nach dem Norden brachten. Reste davon finden wir immer wieder in den Bodenfunden unseres Raumes, bei denen Originale und heimische Nachahmung genau unterschieden werden können.

Überall — in Tirol wie im Burgenland — aber war man umschlossen von römischer Ordnung und Einrichtung. Ebenso hatte Rom durch seine Festungen einen, seiner Ansicht nach starken Rahmen um das Gebiet gezogen und hielt die Verrömerung des Hinterlandes für gesichert.

Inzwischen waren jedoch die Germanen, genauer die Markomannen und Quaden, die nördlichen und nordöstlichen Nachbarn der Römer, bereits seit langem zum heimlich ge-fürchteten Gegner angewachsen. Durch den Handel und wohl auch durch die im Laufe des letzten halben Jahrhunderts vor sich gegangene Unterwanderung in pannonische und norische Bezirke waren sie genau über die Situation Roms unterrichtet. Immer wieder hatte Kaiser Antoninus Pius (138 bis 161 n. Chr.), mit dem Krieg im äußersten Osten beschäftigt, es verstanden, wenigstens äußerlich die Ruhe an den nördlichen Grenzen seines Reiches zu wahren. Doch herrschte im „norisch-pannonischen Raum Gewitterstimmung von zunehmener Spannung“, die sich mit ungeheurer Stärke während der Regierung Marc Aurels (161 bis 180 n. Chr.) entlud. Die Gefahr war in den Augen der Heerführer so groß, daß sich der Kaiser entschloß, persönlich nach Pannonien zu ziehen. Hier starb er denn auch in Vindobona oder Carnun-tum, wo er noch seine Memoiren: „An mich selbst“ schrieb, die er mit „im Quadenland, in Carnuntum“ begann.

Dieser Krieg, allgemein als Markomannenkrieg bekannt, war ein Sicherheben aller Nachbarn Roms an den nördlichen Grenzen vom Rhein bis zum Schwarzen Meer. Er bedeutete eine Zäsur im Ablauf der römischen Geschichte und kann als Vorspiel zur Völkerwanderungszeit gelten. Zum erstenmal überrannten germanische Stämme die Befestigungen an der Donau, denen bald ein Durchbruch bis in den Raum von Aquileia und an die Adria gelingen sollte.

Es kam wie ein Elementarereignis über das durch die aus dem Orient von Soldaten eindern dig, Bevölkerung durch die langen Eriedensjanre >aer Waffen ungewohnt, -Als nun der Wirbelsturm über sie hinwegzog und seinen Weg durch Zerstörung und Verwüstung kennzeichnete, sahen viele ihre einzige Rettung in der Flucht. Sie vergruben Schmuck und Bargeld, verließen mit ihren Familien die Wohnstätten und schlugen sich in die Berge und Wälder. Viele von ihnen konnten später ihre Habe wieder ausgraben, viele aber waren zur. gründe gegangen oder nicht mehr an den früheren Wohnort zurückgekehrt. So blieben die in aller Eile vergrabenen Münzen im Boden und überdauerten Zeit und Geschichte.

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