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Der Schatz des Childeridi

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Es ist zu viel verlangt, daß man die Millionen toter Soldaten und die Tausende unglücklicher Familien vergessen oder gar großmütig opfern soll, nur um einen Helden zu haben, auf den man seine unklaren Vorstellungen von Größe, noch schlimmer, sein zweifelhaftes Bedürfnis nach Unterordnung, übertragen kann.

FI a k e, Logbuch aus „Napoleon“

Im folgenden soll erzählt werden, wie ein

französischer Königsschatz seinen Weg aus der Wiener Schatzkammer nach Paris genommen hat. Sein äußerst interessantes .Schicksal ist wohl wert, der Vergessenheit entrissen zu werden, da es uns einen Einblick in h a b s-burgisches Mäzenatentum und österreichische Denkmalpflege bietet.

Zur Zeit, da die Niederlande noch unter österreichischer Herrschaft standen, stieß .ein taubstummer Arbeiter am 27. Mai 1653 beim Umgraben ,der Fundamente des Armenhauses Saint-Brice in Tournay auf eine Anzahl von Goldmünzen. Durch Schreien und Gesten rief er die Umstehenden herbei und es begann nun ein eifriges Graben, bei dem eine ganze Unmenge von Goldgegenständen ans Tageslicht kamen. Da fanden sich zwei Schwerter (Spatha und Sax) mit Goldgriffen und reichen Goldbeschlägen in Cloisonnearbeit, ein Schlachtbeil (Franziska), eine Königslanze, zwei goldene Fingerringe, wovon einer ein Siegelring, ein schwerer, goldener Armring, eine große Gewandfiebel aus reinem Golde mit herrlicher Zellenschmelzverzierung, goldene Gürtelschnallen von gleicher Arbeit, eine Kugel aus Bergkristall, ungefähr hundert Goldmünzen und etwa zweihundert aus Silber mit römischem und byzantinischem Gepräge, eine Vase aus Achat, goldene Knöpfe und Sargbeschläge und ungefähr dreihundert goldene Agraffen, davon eine größer und in Gestalt eines Kuhhauptes, die übrigen kleiner, je etwa drei Gramm schwer und in der Form von Bienen. Einen Teil dieses Goldschatzes nahm die Verwaltung des Armenhauses an sich und beschloß, ihn dem Erzherzog Leopold Wilhelm zum Geschenke zu machen. Dieser Erzherzog und Großmeister des Deutschen Ritterordens war ein Bruder Kaiser Ferdinands III. und damals Statthalter der Niederlande, einer der größten und feinsinnigsten Kunstsammler aller Zeiten, von dem auch der Hauptteil der Sammlungen unseres kunsthistorischen Museums stammt.

Dieser Mäzen zeigte sich hocherfreut über das wertvolle und interessante Geschenk. Er ließ dem Finder eine große Geldsumme auszahlen, verfügte, daß der große Glücksfall, der dem Armenhause einen so herrlichen Schatz beschert hatte, auch den Armen zugute kommen sollte und wies der frommen Stiftung einen wahrhaft fürstlichen Geldbetrag als Gegengabe an. Seine nächste Sorge bestand darin, daß er zunächst alle Gegenstände, die bei der Ausgrabung vertragen oder als scheinbar wertlos nicht beachtet worden waren, wieder sammeln und aufkaufen ließ, und zwar nicht bloß die glänzenden Gold- und Emailstücke. Weit dem Geiste seiner Zeit vorauseilend, stellte er schon damals den Kulturwert möglichster Vollständigkeit des Schatzfundes über den Schau- und Materialwert. Mit dieser Sammlung des Fundes betraute er seinen Leibarzt C h i f f 1 e t, dem er auch die wissenschaftliche Bearbeitung und Beschreibung der Gegenstände auftrug.

Dieser Jean Jacques Chifflet, ein hochgelehrter und weitgereister Mann, verfaßte dann auf Grund dieses Auftrages ein umfangreiches, lateinisches Werk mit 27 Tafeln in Kupferstich, dem er nach der damaligen Sitte den langatmigen und umständlichen Titel gab: Anastasis Childerici I., Francorum regis, sive thesaurus sepulchralis, Tornaci Nerviorum effossus et commentario illustra-tus, auctore Joanne-Jacobo Chifletio, equite, regio archiatrorum comite, et archiducali medico primario: Antverpiae, ex officina Plantiniana Balthasaris Moreti. M . DC . LV. Mag sich in diesem Werke gemäß dem damaligen Stande der archäologischen Wissenschaft auch noch mancher Irrtum befinden, so ist doch das Unternehmen selbst nicht hoch genug anzuschlagen. Es zeigt nicht nur, wir hoch der Erzherzog als Sammler seine Zeitgenossen überragte, es sicherte auch die spätere Auswertung dieses Fundes für die Kulturgeschichte, für die er sonst infolge seiner weiteren Schicksale wohl verloren gewesen wäre.

Chifflet stellt in dem Buche auf Grund des mitgefundenen Siegelringes fest, daß es

ich bei dieser Ausgrabung um das Grab de

Merovinger Childerich I., Königs der Franken (436 bis 481 n. Christi Geburt) handelte, und gab damit einen festen Datierungspunkt für die Gräber der Völkerwanderungszeit. Er war es auch, der die Menge der kleinen, goldenen Agraffen als Bienen bestimmte, welcher Feststellung man mit einigem guten Willen und ein wenig Phantasie auch folgen mag. Diese bildeten wohl die Appliken auf einem Königsmantel oder, wie ich glaube, auf einem Lederpanzer (lorica squamata) Childerichs. Für beides lassen sich Beleggründe aus dem Funde selbst anführen; denn bei den Ausgrabungen wurden einerseits Reste eines schweren, roten Seidenstoffes gefunden, während wieder das Bildnis des Königs auf dem Siegelring deutlich seine Bekleidung mit einer Art von Schuppenpanzer zeigt. Jedenfalls sind diese „Bienen“ erwähnenswert; denn als es sich

darum handelte, die Krönungsinsignien für

die Kaiserkrönung Napoleons herzustellen, für welche ja aus begreiflichen Gründen die traditionellen Bourbonenlilien nidit in Betracht kamen, griff man zu diesen goldenen Bienen, die man für das Emblem der Merovinger oder wenigstens Childerichs ansah, und so ließ Bonaparte seinen Krönungsmantel aus hellgrünem Samt über und über mit goldenen Bienen besticken. Das gleiche Emblem zeigt auch die kostbare Wiege des Herzogs von Reichstadt, die Hitler aus der Wiener Schatzkammer nach Paris hat bringen lassen. Der Maler Pierre Prudhon hatte sie entworfen, der Gold-sdimied Odiot und der Bronzebildner Tho-mire aus vergoldeten Silber verfertigt, und die Stadt Paris dem Kaiserpaare aus Anlaß der Geburt des „Königs von Rom“ zum Geschenke gemacht.

Doch zurück zu den Schicksalen unseres Merovingerschatzes: er wurde zunächst mit den übrigen Sammlungen des Erzherzogs in ' dessen Brüsseler Palast aufbewahrt. Als der Statthalter dann 1656 die Niederlande verließ, um seinen Lebensabend in Wien zu verbringen, zeigte er auf der Durchreise in Mainz die Kostbarkeiten seinem Gastgeber, dem damaligen Kurfüsten Johann Philipp aus dem Hause Schönborn. Dieser gehörte zu jenen „deutschen“ Fürsten, die im Solde Ludwigs XIV. standen. Er machte dem Erzherzog gegenüber die nicht gerade taktvolle Bemerkung, daß der richtige Platz für diesen Schatz wohl das Schloß des französischen Königs als Nachfolger der Merovinger sei. Leopold Wilhelm blieb ihm jedoch die Antwort nicht schuldig, indem er ihm ziemlich kurz angebunden erwiderte, daß die Schlösser des österreichischen Erzhauses genug Kasten enthielten, in denen der Schatz ebenso würdig aufbewahrt werden könne.

Nach dem Tode des Erzherzogs ging mit seinen übrigen Kunstschätzen auch der Inhalt des Childerichgrabes an seinen Neffen, Kaiser Leopold L, über, der ihm all die Sorgfalt zuwendete, mit der er die ganzen nadigelassenen Sammlungen des Erzherzogs verwalten ließ.

Der Kurfürst von Mainz, der das Schicksal des Schatzes nicht aus dem Auge verloren hatte, glaubte nun die günstige Zeit für sein Vorhaben gekommen. Als Ludwig XIV. sich das Kaiserhaus durch Stellung eines Hilfskorps in der Schlacht bei St. Gotthard verpflichtete, trat Johann Philipp an den Kaiser mit dem Vorschlage heran, dem Franzosenkönige nunmehr den Merovinger-schatz als Ehrengeschenk zu überreichen. Diesmal fand er nach einigem Zögern Gehör. Man übergab dem Kurfürsten den Schatz, damit dieser ihn Ludwig XIV. überreiche. Vorher ließ jedoch der Kaiser die Gegenstände abformen und diese Moulagen in seinen Sammlungen aufbewahren. Außer-

dem befahl er, einige von den goldene

Bienen, von denen ja so viele Hunderte vorhanden waren, für die österreichischen Sammlungen zurückzubehalten. Selbst die Franzosen Cochet und Lecointe, deren Werken diese Einzelheiten entnommen sind, drücken ihre Bewunderung über die habs-burgische Art der Denkmalpflege aus und bedauern, daß es in Frankreich niemandem eingefallen sei, diesen kulturhistorisch so hochbedeutsamen Stücken die gleiche Sorgfalt zuzuwenden. Denn in der Tat war ihr weiteres Schicksal in Frankreich ein höchst bedauernswertes.

Am 2. Juli 1665 wurde das Erbe Childerichs dem Sonnenkönig als Geschenk Österreichs im Schlosse von Saint-Germain-en-Laye überreicht, an derselben Stelle, an der im Jahre die Zerstörung der österreichischen Monarchie dekretiert wurde. Ludwig XIV. ließ die Schätze von seinen

Höflingen bewundern; — dann wurden sie in einen grünen Lederkoffer eingeschlossen und dem königlichen Münzkabinett im Louvre zur Verwahrung übergeben. Dort scheinen sie aber nicht lange geblieben zu sein; schon Ende des XVII. Jahrhunderts sollen sie sich in Versailles befunden haben. Gewisses darüber ist schwer zu sagen, da alle französischen Schriftsteller, die über Childerichs Grabschatz berichten, nicht Gelegenheit hatten, ihn selbst zu sehen, sondern alle nur nach dem Werke Chifflets be-i richten, dessen Illustrationen ebenfalls als Vorlagen für die ihrer Werke gedient haben* Einzig der Pater Lecointe hatte vielleicht, wie aus seinem Werke hervorzugehen scheint, einmal Gelegenheit, die Gegenständ flüchtig zu sehen. Schließlich landete der Schatz — wohl im Jahre 1720 — in der königlichen Bibliothek zu Paris, wo er mit anderen Kostbarkeiten in einem eigenen Saale ausgestellt wurde. Durch welches Wunder sie dort die Stürme der französischen Revolution überdauerten, ist nicht bekannt.

In der Bibliothek zu Paris traf den Gräberfund dann sein endgültiges Schicksal. Im Jahre 1830 stieg eine Diebsbande unter Anführung eines entlassenen Sträflings namens Frossard mit Leitern bei den Fenstern dieses Saales ein und raubte mit unerhörter Frechheit unter anderem auch die goldenen Stücke des Childerichschatzes. Als dieses Verbrechen entdeckt wurde, ließ die Verwaltung der Bibliothek vor den Fenstern der entleerten Räume am nächsten Tage Gitter anbringen. Heinrich Heine, der damals schon Aufenthalt in Paris genommen hatte, stellte in seinen „französischen Zuständen“ bei Erwähnung dieser Tatsache die Scherzfrage, ob man denn befürchte, daß ohne diese Gitter dia Diebe ihre Beute wieder zurückbringen könnten. „Besagte eiserne Stangen“, so fährt er fort, „wurden rot angestrichen, welches sehr gut aussieht. Jeder Vorübergehende schaut hinauf und lacht.“

Dje Pariser Polizei war mächtig hinter den Dieben her, so daß diese es vorzogen, die geraubten Kostbarkeiten in die Seine zu versenken. Es wurden sofort Bergungsversuche mit einer Taucherglocke unternommen und beim Pont de la Tournelle einige wenige Stücke, des Schatzes herausgefischt. Der Hauptteil ist und bleibt wahrscheinlich verloren, darunter auch der goldene Siegelring des Königs mit seinem Abbilde und seinem Namen, „le plus vieux monument de la monardiie francaise“, wie ihn Cpchet mit Recht nennt. Die spärlichen Reste dieses reichsten und kulturhistorisch so interessanten Gräberfundes erliegen heute im Cabinet des medaüles der Bibliotheque national in Paris.

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