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Der Schwanengesang des Mystikers

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In diesem Jahre klingt das Echo einer vor achthundert Jahren, am 20. August 1153, im Tode gebrochenen Stimme wieder besonders stark nach. Es weckt nicht nur historische Erinnerungen, sondern , löst auch geheime Schwingungen innersten Erlebens aus. Wir sprechen von einem der größten Prediger aller Zeiten: „Bernhard, genannt der Abt von Clairvaux“, wie er sich selbst zu nennen pflegte. Seine Berufung trägt das Zeichen seiner Epoche an sich, in der das strenge Einsiedlerleben der ersten christlichen Jahrhunderte auflebte und Wanderprediger Europa durchzogen. Der heilige Bruno von Köln, der Gründer der Kartäuser, und der heilige Norbert, der Stifter des Prämonstra-tenserordens, sind seine Zeitgenossen. Er aber wurde der eigentliche Mann des 12. Jahrhunderts, in dem der Zisterzienserorden, von ihm wohl nicht gegründet, aber zu staunenswertem Wachstum gebracht, die Adlerjugend der Kirche erneuerte. Deswegen überragt er die anderen, weil er sich auf den beiden Flügeln der Gottes- und Nächstenliebe allen voran zur Sonne des göttlichen Lichtes emporschwang. So wurde er der begnadete Mystiker; als den man ihn vor allem sehen muß, wenn man sein Wirken und seinen Einfluß verstehen will.

Bei einem solchen Weltbeweger, wie es der Abt von Clairvaux ist, fühlt man sich gedrängt, sein Bild einmal inmitten unausbleiblicher Widersprüche zu setzen. Es muß schon etwas um seine Größe sein, wenn Schiller 1802 in einem Briefe an Goethe erklärt, daß es schwer sei, „in der Geschichte einen zweiten so weltklugen geistlichen Schuft aufzutreiben“, der Papste und Könige beherrschte, alles Vorwärtsstreben aber haßte und unterdrückte, der „nichts besaß als Klugheit und Heuchelei“. Trotz dieser völligen Mißver-kennung der wahren, inneren Triebfeder des Handelns und der fortschrittlichen Bedeutung Bernhards, sind wir überzeugt, daß er für Schiller bei eingehenderer „Bekanntschaft“ sogar eine dichterische Idealgestalt hätte werden können. Sie wären schließlich noch gute Freunde geworden, der Dichter, der in „Wal-lensteins Tod“ den Gefreiten aus Brügge in

Flandern als Vertreter von Treue und Ueber-zeugung auftreten läßt, und der hl. Abt, der auf dem Sterbebette aus der großen Heerschar seiner geistlichen Söhne den Abt Robert von Brügge zu seinem verantwortlichen Nachfolger in Clairvaux vorschlägt.

Ein anderer hartnäckiger Vorwurf, der bis in unsere Tage nachklingt, läßt sich gerade hier in Wien, der Stätte des Stephansdomes, an Ort und Stelle entkräften. Der zweite Kreuzzug nur in einer Teilaktion zu Portugal (Eroberung von Lissabon) erfolgreich, stellt leider in seiner Hauptaktion im Heiligen Lande selbst ein trauriges Versagen dar. Doch schließt dieses Ausbleiben des militärischen Erfolges noch lange nicht die Erfolglosigkeit der flammenden Werbetätigkeit des hl. Bernhard ein. Die durch ihn in Bewegung gesetzten Heeresmassen hatten zu Pfingsten 1147 ihren letzten großen Sammelplatz in der Ebene von Wien der Fischa zu. Wien erwies sich damals schon als Herz Europas, als Herzog Fleinrich Jasomirgott, der Sohn des hl. Markgrafen Leopold und der Kaisertochter Agnes, auf der Kreuzfahrt begriffen war, von der er aus Konstantinopel die oströmische Kaisertochter Theodora als Gemahlin in unser Land brachte. Als in späteren Jahrhunderten die opferfreudige Abwehr in der europäischen Christenheit erlahmt war, sollte sich gerade bei uns die Kraft zum Gegenschlag sammeln. In den Jahren 1529 und 1683 ist der Halbmond, gegen den der Abt von Clairvaux das Kreuz gepredigt hatte, vor Wien: Oesterreich hatte die glorreiche Rolle des St.-Bernhards-Kreuzfahrer von 1147 zu übernehmen. Als diese nach Wien gekommen waren, fand von Passau, der vom Heiligen Lande nicht durch einen von ihnen, den Bischof Reimbert mehr zurückkehren sollte, die Weihe des allerersten romanischen Baues von St. Stephan statt. Zu einem gewaltigen Dome herangewachsen, sollte sich in seinem Schutz und Schirm die Macht der Kreuzesgegner brechen. Das trostvolle Geheimnis des Mißerfolges hatte sich nicht nur an Bernhards Lebensende, sondern auch im .Schicksale unseres Vaterlandes enthüllt. Wunderbare Fügung: Nach dem Brande von 1945 sind an dem

Stephänsdom Bausteine aus der Zeit des hl. Bernhard wieder sichtbar geworden, zugleich zeigte sich an dem gemeinsamem Aufbauwillen für St. Stephan, daß die Frömmigkeit noch so lebendig ist wie zur Zeit des hl. Bernhard. Der Flügelaltar aus dem ehemaligen Siegeskloster zu Viktring, jetzt das Hauptstück des nördlichen Seitenschiffes, hat als Kennzeichen seines historischen Ursprungs die Statuetten zweier Männer gleichen Namens: des Kreuzpredigers Bernhard von Clairvaux und des Gründers der Cisterce Viktring, des Grafen Bernhard von Kärnten, der am 16. Juni 1147 gemeinsam mit seinem treuen Freunde, dem Zisterzienserbischof Otto, des hl. Leopolds Sohn, von Wien weg in das Heilige Land zog, wo ihn ein Türkensäbel von dessen Seite hinwegraffte.

Der hl. Abt liebte es, im Geiste nach Bethanien bei Jerusalem zu gehen. Das Beispiel der dort lebenden Vertrauten des Heilandes spiegelt sein eigenes Leben wider. Er verkörpert Maria in der betenden Betrachtung, Martha in der Tätigkeit und Lazarus in der Buße. Nicht die Sucht, sich in die Angelegenheiten anderer einzumengen oder andere zu beherrschen, war die Triebfeder seines Handelns, sondern seine himmelstürmende, erobernde Liebe.

Unter dem großen Erbe, das uns der Abt von Clairvaux hinterlassen, charakterisiert ihn sein berühmter Kommentar zum Hohenliede am besten. Er begann ihn in Form von Predigten im Advent 1135 und führte ihn bis an sein Totenbett im Jahre 1153 fort. So ist dieses Lebenswerk, obwohl vollendet in seiner Art, unvollendet geblieben. Selbst die letzte Predigt davon, die sechsundachtzigste, bricht mitten in der erklärenden Anwendung des Hohenlied-Verses ab: „Ich suchte zur Nachtzeit in meinem Bettlein, den meine Seele liebt.“ Nie in seinem Leben wollte siah seine starke Seele dem schwächlichen Körper beugen. So weiß er denn auch das Schmerzenslager in ein Hochzeitsbett für die Vereinigung mit dem Heiland, dem Bräutigam der Seelen, umzuwandeln. Als nun der Herold der göttlichen Liebe den Mund zu seinem Schwanengesang öffnet, da sieht er sich selbst als überaus anziehenden Jüngling, dessen Schüchternheit die hohe Sendung nicht verleugnet. Es überkommt ihn ein Vorgefühl der Auferstehung im Jenseits.

Er berührt in seiner letzten homiletischen Ausführung den Eintritt in das Kloster im schönsten Jünglingsalter. Er meint das Ziel, das er sich dabei gesteckt hat: das göttliche Wort zu suchen. Durch intensives Gebet sollte es ihm schließlich glücken, so in Gottes fühlbare Nähe zu kommen, daß er seine Seele oftmals von körperlichen Empfindungen gänzlich entrückt sah. Jetzt besonders in den schlaflosen Nächten, als zu dem zersetzenden Magenkrebs die geschwollenen Füße gekommen waren, da dachte er mit Genugtuung der häufig der Nacht abgerungenen und so herrlich belohnten Gebetstunden. Er sucht seinen Zuhörern den moralischen Sinn seiner Bettschwäche und des drückenden nächtlichen Dunkels zu geben: „Was ist fürwahr angebrachter, als daß wir der Schwäche die Tugend und der (Finsternis der) Unwissenheit entgegenstellen?“ Bei diesem Gleichnis angekommen, vermag er uns nur noch mit dem Weltapostel Paulus, dessen Mystik und apostolischer Eifer an ihm so lebendig waren, die Mahnung zu geben: „Wandelt als Kinder des Lichtes!“ Mit diesem ihm so entsprechenden Abschied, bricht die letzte Rede seines mystischen Kommentares ab.

Die Zisterzienserklöster Oesterreichs setzten im 17. und im 18. Jahrhundert ihren Stolz darein, an einem Ehrenplatze des Konvents ein lebensgroßes Abbild der Grabesstatue des hl. Bernhard anzubringen. Sowie man ihn zur Ruhe bettete mit weiter weißer Kukulle, die Kapuze über dem Haupte, läßt ihn auf seiner Gravüre ein Heiligenkreuzer Bruder symbolisch auf einem Schwan dahinschweben. Aber zum Unterschiede von dem Gralsritter mit dem Schwane sollst du Bernhard von Clairvaux über das Woher und Wohin des Menschen befragen, Die Lichtgestalt dieses größten Zisterziensers steht an der Spitze einer Heerschar, die gleich Parzival sich die Frage nach dem wahren und tiefsten Sinne ihres Daseins stellen, ja durch die Gnade gedrängt, diese entscheidende Frage stellen müssen.

Es mögen sich daher die wißbegierigen, unruhigen und gobtsuchenden Menschen freuen, an ihm einen wegkundigen Führer zu finden. In seiner Divina Commedia hat ihn Dante schon als solchen erwählt, um mit ihm durch Maria in die Heiligste Dreifaltigkeit selbst schauen zu dürfen. Mit ihm die Ewigkeit zu berühren, heißt niemals enden oder vielmehr ein Glück ohne Ende am Orte der Vollendung erreichen, wovon man aber bisweilen noch vor dem Ziele durch die Gnade etwas vorherverkosten darf. Das sagt der Schwanengesang des Mystikers.

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