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Der steirische Prinz

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„Die Erziehung meines Sohnes ist nun die Hauptaufgabe geworden für mich. Aber glauben Sie, meine Herren, mein erstes Bemühen wird sein, ihn zum Menschen zu bilden, das übrige wird ihm dann alles von selbst Zufällen.” Der diese Worte sprach, war Erzherzog Johann Baptist von Oesterreich, der steirische Prinz, wie er im Volksmund heißt. Gegen fünfhundert der bedeutendsten Männer der Zeit waren zugegen, als er auf einen Toast hin diese Worte während der 21. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte 1843 in der steirischen Landeshauptstadt Graz aussprach. Männer, wie die Geologen Peter Merian, Bernhard von Cotta, die Mineralogen Paul Partsch, Franz Zippe, Ernst Friedrich Glöckner, Karl Haidinger, der Botaniker Heinrich Robert Göppert, der Chemiker Justus von Liebig, der Physiker Andreas Freiherr von Ettinghausen und andere, hörten diesen Ausspruch und waren — wie zeitgenössische Berichte bezeugen — voll des Lobes über den Protektor ihrer Versammlung, der „wirklich auch als Naturforscher ein großes Muster ist”. Damals schon war der steirische Prinz weit über die Steiermark hinaus als eine überragende Persönlichkeit seiner Zeit bekannt, der dieses Land aus wirtschaftlicher und geistiger Zerrüttung herausgehoben und wahrhaftig in einen freundlichen Garten verwandelt hatte. Seine von ihm so überlegt und behutsam gestreuten Samen brachten Früchte und bringen sie noch bis in unsere Zeit. Fünf Jahre nach dieser Versammlung der Naturforscher sollte Erzherzog Johann zum Deutschen Reichsverweser berufen werden. Knapp vor seinem Rücktritt als Reichsverweser trug er unterm 17. November 1849 in sein Tagebuch ein: „… Fürsten und Vornehme haben noch wenig an der Zeit ge- lernet. Sie sollten damit beginnen, Menschen zu werden…” Auch hier wieder die Forderung, die wir noch oft in seinen Schriften finden und in seinen Taten bezeugt sehen: zuerst und vor allem Mensch zu sein. „Menschen bilden”, heute ein geläufiges Wort, war damals noch ein fremd klingendes Wort. Hier erweist sich der Mann, der seiner Zeit weit voraus war und seine eigentliche Aufgabe in der Bildung des Volkes, in der Besserung seiner Lebensumstände und in der Veredelung seines Geistes sah.

Als am Morgen des 11. Mai 1859 Erzherzog Johann in seinem Haus in der Leonhardstraße zu Graz seine Augen schloß, hatte er Werke begründet und Beispiele gegeben, die im Lande unvergessen blieben und fortzeugen bis auf den heutigen Tag.

Wir alle haben unsere Wurzeln, ob wir wollen oder nicht, tief in die Vergangenheit gesenkt. Wir leben aus ihr und werden unserer Kräfte erst gewahr, wenn wir zuweilen, wie der Bergwanderer, ein wenig stehenbleiben und zurückschauen auf den Weg, der hinter uns liegt, um dann um so rüstiger und gekräftigt wieder voranzuschreiten. Eine solche Rückschau geziemt sich 1959, da hundert Jahre vergangen sind seit Erzherzog Johanns Tod. Die Steiermark feiert im Gedenken an ihren Prinzen 1959 als das steirische Gedenkjahr. Es wird freilich kein Jahr sentimentaler Heimatseligkeit, kein Jahr routinemäßigen Jubiläumsfeierns, kein Jahr der großen Festspiele und des Fremdenverkehrumsatzes sein; das alles widerspräche dem Wesen des Mannes, den es zu ehren gilt. Das Jahr 1959 steht unter der Devise: Was hat die Steiermark in den hundert Jahren nach dem Tode des steirischen Prinzen aus dem Erbe, das er hinterlassen hat, gemacht? Hat sie es gut verwaltet und gemehrt? Wird auch die Zukunft noch von seinem Geist durchdrungen sein? 1959 wird ein Jahr der Rechenschaft sein. In den meisten Orten des Landes sind nicht nur Feiern angemeldet, die von den musischen und kulturellen Kräften am Ort getragen werden und im lebendigen Brauch- und Volkstum eingebettet sind; in den meisten Orten des Landes sind Taten gesetzt worden: die Plätze und Straßen, die profanen und sakralen Bauten werden „entschandelt”. Wegkapellen, Marterln und Bildstöcke werden vom Unrat der Zeit gesäubert, Wege und Begrünungen werden angelegt, Stipendien zum Studium begabter armer Schüler sind ausgesetzt, Ortschroniken werden angelegt, Kindergärten, Schulen und Altersheime werden geschaffen und die Gaststätten verschönert. Was aber das Bedeutsame all dieser Vorhaben ist: sie werden von breiten Schichten des Volkes getragen und nicht von oben herab diktiert. Sie werden von der Liebe getragen. Denn wo der Name des steirischen Prinzen fällt, da beginnt die Heimatliebe sich zu entflammen!

„Gleih nochn Fronzosnromel is fürs steirischi Lond a Schutzengel koma — da Prinz Johann. Da Johann is a Bruada von Kaisa Fronz gwesn, hotn oba nit gfreut in da Weanastodt und in fürnehman Kaisahaus, is liaba gern afn hochn Bergner umanondgstiegn und hot unsern Her- gottn sei Welt angschaut. Sei Welt und šeini Leut, in Baurn afn Feld, in Holder af der Olm, in Jager in Wold, in Homaschmied und holt oils, wos tüchti is und fleißi orbatn thuat … Das wurd a lonks Capidel, wan ihs oils wult da- zähln, wos da Johann für Steiermork Guats thon hot; gehts na gleih aussi af die Gossn und Stroßn, gehts ins Baumhaus und ins Homawerk, gehts in d’ Schulonstoltn — gehts hin, wos wöllts, überoll wem s’ enks sogn, wos da Johann hot gstift, überall werds ‘n gspürn.”

So berichtet Peter Rosegger in seiner „Steirischen Londsgschicht” vom Prinzen Johann. Wer war er, wie war er und was tat er?

Ein kurzes „Capidel” sei hier eingesetzt und einige Stationen und Taten seien aufgezeigt, die fürs Ganze eines erfüllten Lebens stehen. Der Habsburger Prinz Johann, dessen Bruder Franz seit 1792 in der Hofburg zu Wien als Kaiser residierte, sah die Steiermark zum erstenmal im Jahre 1804 bei einer Erkundungsfahrt als Generaldirektor des österreichischen Fortifikations- und Geniewesens. Neben seinen militärischen Beratern hatte er auch immer landės- und naturkundige Männer um sich, denn schon früh hing er seinen wissenschaftlichen Neigungen nach. 1811 hatte er seine naturwissenschaftlichen Sammlungen in Graz aufstellen lassen und die Lehr- und Lernstätte „Joanneum” gegründet, die erste Volkshochschule würden wir heute diese Stiftung benennen..

Am i V August dieses Jahres trägt er in sein Tagebuch eiti: Ich Verlebte ifl der Natur einige meiner besten Tage, die herrliche Gegend, die Ruhe, die Einfachheit in allem, guthmütige, aufrichtige, offene Menschen, sie haben so etwas Anziehendes … will nichts scheuen, diese guten Obersteyrer so zu bewahren, wie sie sind, und als ihr Patriarch recht wachsam seyn, daß kein Gift sie verderbe.” Aber noch konnte er seinen Plan, sich ganz diesem Lande hinzugeben, nicht ausführen. Noch war er mit militärischen Aufgaben betraut. Anfangs kämpfte er als Befehlshaber der Südarmee erfolgreich in Oberitalien gegen die napoleonischen Heere, aber seinen Bruder, Erzherzog Karl, den Sieger von Aspern, konnte er nicht vor der Niederlage bei Wagram bewahren. 1813 schlugen seine Bemühungen, Tirol vom Feinde zu befreien, fehl. Der Erzherzog zog sich, vom unglücklichen Ausgang des Krieges schwer getroffen, in die ländliche Abgeschiedenheit seines Landsitzes in Thern- berg (Niederösterreich) zurück.

Hier’gedieh sein Plan, „Patriarch” der Steiermark zu werden. Er unternimmt viele Streifzüge in die nahe obersteirische Bergwelt und hinunter in das fruchtbare südsteirische Weinland. Alle diese Wanderungen sind verbunden mit volkskundlichen Aufzeichnungen. Reisen nach Frankreich, England und Belgien folgen, aber erst 1818 ist es so weit: Prinz Johann kauft den Brandhof bei Mariazell in Steiermark ünd er- richtet hier einen Musterhof für Land- und Forstwirtschaft. Beim Bau der Kapelle des Brandhofes mauert er selbst mit, und für sein Denken ist das erhalten gebliebene Wort bezeichnend: „Im Hause meines Herrn will ich selbst Hand anlegen.” Jetzt ist er in seiner geliebten Steiermark ansässig. Im gleichen Jahre setzt er seine schon früher begonnene Aufstellung einer „physikalischen Statistik des Landes” fort durch eine systematisch betriebene Sammlung der noch lebendig gebliebenen steirischen Volkslieder. 1819 gründet er die Steiermärkische Landwirtschaftsgesellschaft, die sich späterhin so erfolgreich und segensreich über das ganze Land hin auswirken sollte.

In dieses Jahr fällt auch die erste Begegnung mit der Ausseer Postmeisterstochter Anna Plochl, mit der er gegen viele Widerstände des Wiener Hofes schließlich 1829 zur Mitternacht in der Kapelle des Brandhofes getraut wird. Die Geschichte dieser Liebe hat er selbst ausführlich aufgezeichnet und ist in dem Buch „Der Brandhofer und seine Hausfrau” zusammengefaßt.

Aber man würde dieser damals aufsehenerregenden Ehe nicht gerecht, wenn man sie als romantische Schwärmerei betrachtete. In dieser Verbindung des Habsburgerprinzen mit dem Ausseer Bürgermädchen bestätigt sich die Liebe des Prinzen zum steirischen Volk durch das höchste menschliche Zeugnis, ein Kind dieses Volkes zum Weibe erwählt zu haben. Daß es Prinz Johann nicht uni ein Idyll der Rokokozeit zu tun war, sondern um das Beispiel des einfachen Lebens, erweist ein Brief an seine Braut vom Jahr 1824. Darin heißt es: „Als ich den grauen Rock in der Steyermark einführte, geschah es, um ein Beispiel der Einfachheit in der Sitte zu geben. So wie mein grauer Rock, so wurde mein Hauswesen, so mein Reden und Handeln. Das Beispiel wirkte, der graue Rock, von manchem verkannt, von den Besseren erkannt, wurde ein Ehrenrock, und ich ziehe ihn nie mehr aus, ebensowenig weiche ich von meiner Einfachheit, lieber gebe ich mein Leben.

Das von Prinz Johann gegründete „Joanneum” besteht auch heute noch, zu neuen Zweigen ausgegliedert. Die Technische Hochschule in Graz, die Berg- und Hüttenschule und die Montanistische Hochschule in Leoben sind aus dem Joanneum unmittelbar hervorgegangen. Auch die Oesterreichisch-Alpine Montan-Gesellschaft mit ihren weitverzweigten Industrien um den steirischen Erzberg entstammt der „Kommunität der Vordernberger Radwerksbesitzer”, die Erzherzog Johann als Hammerherr in Vordernberg 1828 begründet hat. Zur Einweihung des Kreuzes auf dem Erzberg am 3. Juni 1823 schreibt er vorher dem Prediger Aegidius Scherer aus dem Stift Admont sehr ausführlich über seine Absichten, die er mit der Kreuzaufstellung auf dem „steirischen Berg” bekunden will, und gibt ihm geradezu eine Predigtskizze. In dem Brief heißt es unter anderem: „… habe ich auf unserem herrlichen Erzberge, durch welchen der Herr soviel Gutes über die Steyermark ausspendet, sein Bild aufzustellen beschlossen. Es ist unser Hort, und solange Er seinen Blick nicht von uns wendet, so lange muß alles gedeihen … Noch muß ich erinnern, daß, da Sie die Rede unter freyem Himmel am Fuße des Kreutzes, blos von einem Zelte gedeckt, halten, sie nicht lange seyn dürfe. Wozu braucht es vieler Worte? Die Wahrheit ist trocken und einfach … noch eine Bitte, wahrlich meiner in Ihrer Rede höchstens mit einem trokenen Worte zu gedenken … denn da wo ernste Worte über Gott den Herrn gesprochen werden, kann seines Knechtes keine Erwähnung geschehen …” Der Historische Verein, der Geognostisch-montanistische Verein, der Industrie- und Gewerbeverein und andere Gemeinschaften werden gegründet. Mit diesen „Vereinen” hält der Erzherzog die Fäden des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens der grünen Mark in seiner Hand und lenkt es in der fürsorglichsten Weise. In Pickern am Bachern erwirbt er ein Weingartengut und baut auch dieses zu einem Mustergut aus, wie vorher seinen Brandhof. 1844 kann die Strecke Mürzzuschlag—Graz der Semmeringbahn, die durch seine Initiative über den Berg geführt wurde, eröffnet und die Verbindung von Wien zur Adria geschaffen werden.

Einen Einschnitt in das Wirken für die Steiermark brachte die Berufung zum Deutschen Reichsverweser nach Frankfurt am Main im Jahre 1848. Aber eines seiner menschlichsten Zeugnisse ist die Tatsache, daß er, der jubelnd nach ‘sechsmonatiger Tätigkeit in Frankfurt empfangen worden, ohne Hader zurücktrat und die Wahl des ersten gewählten Bürgermeisters von Stainz, dem kleinen weststeirischen Ort, annahm. Er hat damit unter Beweis gestellt, daß es nicht auf hohe Stellungen ankommt, sondern darauf, daß der einem Menschen zugefallene Platz ganz ausgefüllt werde, daß die stille, beispielhafte Arbeit in der kleinen Gemeinschaft zwar keine Welträtsel löst„ aber denn doch so wichtig ist — um mit Luther zu sprechen —, wie ein Bäumchen pflanzen, wenn der Jüngste Tag sich schon ankündigt. Daß das Sichbescheiden durchaus keine Beengung des geistigen Horizontes bedeutet, mag einer seiner prophetischen Aussprüche bekunden, den wir unterm 11. Juni 1857, zwei Jahre vor seinem Tode, in seinem Tagebuch finden: „ … Alles will mehr seyn … Man beachtet viel zuwenig diese Sache. Betrachten wir den Einfluß, welchen dieses auf die Menschen nimmt, der Verfall derselben, es grauet einem vor der Zukunft, dem Geist des Leichtsinnes, der Gleichgültigkeit, der Sinnlichkeit in allen Dingen, der Unzufriedenheit mit dem, was man ist; das Streben nach Gleichheit muß jeden Denkenden tief betrüben, denn es führt zum Comunismus und zu allen jenen Erschütterungen, welche Gott von jedem Lande abwenden möge…”

Anastasius Grün, der steirische Dichter, hat dem toten Prinzen ein Wort gewidmet, das auch heute nichts von seiner Wahrheit und seiner Leuchtkraft verloren hat’:

„Blick in dies Land: auf allen Wegen verkündet’s ihn und seines Wirkens Segen!”

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