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Der Tempelbezirk des Genius Cucullatus

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Im Jahre 1930 wurde in dem kleinen Örtchen Wabelsdorf, halbwegs zwischen Klagenfurt und Völkermarkt, ein neues Schulgebäude errrichtet. Wie häufig in Kärnten, das in der Antike eine der am dichtesten besiedelten Landschaften unserer Heimat gewesen ist, fanden sich beim Grandausheben Überreste aus der Antike. Der Fundmeldedienst arbeitete prompt und zeitgerecht war der archäologische Sachbearbeiter des Kärntner Geschichtsvereins Dr. F. Jantsch zur Stelle. Neben seicht fundamentiertem Mauerwerk, das mit wenig Mörtel gebunden war, konnte er, in großen Gruben versenkt, zwei römische Altäre sicherstellen, die durch ihre Inschriften von besonderer Bedeutung für die Religionsgeschichte nicht nur unserer Heimat waren. Auf ihnen tauchte nämlich eine neue keltische Gottheit auf, der Genius Cucullatus. Daß es sich um ein einheimische Gottheit handelte, die sich in römischer Übersetzung (interpretatio Romana) vorstellte, wurde aus dem Worte Genius klar. Cucullatus aber ist die nähere Bezeichnung, die sich von dem Kleidungsstück des Gottes, dem cucullus oder der cuculla, ableitete. Mit dem Wort cucullus bezeichnete man im römischen Kulturbereich den in den Alpen, im Gebirge üblichen Lodenmantel, den Wetterfleck mit der Kapuze. Mit Kapuzengott oder Kapuzenmännlein kann man also am besten Genius Cucullatus übersetzen — denn genius bezeidinete einen kleinen jugendlichen Gott.

Durch Untersuchungen Univ.-Prof. R. Eggers konnte uns das religionsgesdiicht- liche Verständnis für diese Gottheit nähergebracht werden. Er verband mit diesem Namen bisher namenlose kleine Götterfiguren aus dem keltischen Frankreich, die einen jugendlichen Gott in einer Kapuze darstellen. Weiter gelang es Egger auch nachzuweisen, daß diese Gottheit nicht nur in den Alpen und in Frankreich 'verehrt wurde, sondern daß sie auch das Vorbild für den griechischen Gott Telephorus war, der erst nach dem Galliereinfall (280/279 v. Chr.) in Griedienland und Kleinasien als Begleiter des Asklepios und der Hygieia auftaucht.

Audi in Oberitalien, im Grenzgebiet zwischen Etruskern und Galliern, finden wir diesen freundlichen Begleiter auf Aschenurnen der Etrusker, wie H. Bulle gezeigt hat. Überall, wo dieser Gott auftauchte, haben Kelten ihn mitgebracht.

Der Fund von 1930 brachte uns also bedeutende Aufschlüsse über die Religion und den Glauben der Kelten, die hier im Kolonialland viel zäher an ihrer alten Tradition festhielten, als im Rheinland und in Gallien. Die genaue Fundbeobachtung durch Dr. Jantsch lehrte aber nodi mehr. Die Feststellung, daß auf dem Baugrund der Schule zwei große Gruben_ noch in spätantiker Zeit angelegt wurden und in der einen die zwei Altäre mit der Schriftseite nach unten lagen, zeigte uns, daß die Tempelanlage, die hier nach den Funden gestanden sein mußte, seinerzeit nicht durch Feindeinwirkung oder durch langsamen Verfall zugrunde gegangen ist, sondern daß hier andere Kräfte am Werke waren. Wir haben hier Spuren de - „inneren Mission", wenn man so sagen darf, vor uns. Nachdem das Christentum unter Theodosius Staatsreligion geworden war (392 n. Chr.), wurde der heidnische Glaube, bezeichnenderweise sagte man damals paganer Glaube, das heißt Glaube der Landbevölkerung, verboten. Die Tempelanlagen der Bauern wurden zum Teil unter Assistenz der Staatsgewalt zerstört. Dabei wurde nach einem festen Schema, etwa nach einem Reglement, vorgegangen. Die Mauern der meist bescheidenen Anlagen wurden abgetragen, das Kultinventar aber wurde in großen Gruben regelrecht bestattet, nachdem es vorher unbrauchbar gemacht worden war. Der Exorzismus mag wohl sicher iiber diese Gräber der Teufelsgötter gesprochen worden sein. Nicht weit von Wabelsdorf, in St. Margarethen bei Wolfsberg, ist das erste Beispiel eines solchen zerstörten Tempels durch R. Egger freigelegt worden.

Im Jahre 1930 fehlten Zeit und Geld für eine eingehendere Untersuchung. Der

Krieg verhinderte dann auf Jahre diese Arbeit, so daß erst im Jahre 1947 durch das österreichische Archäologische Institut eine Grabung in Wabelsdorf in Angriff genommen werden konnte.

Diese brachte insoweit eine Überraschung, als wir nicht, wie erwartet, einen keltischen Vierecktempel mit Umgang fanden, sondern ein ganzer Tempelbezirk, ähnlich wie der von Lendorf bei Teournis (Spittal a. d. D.), festgestellt werden konnte. Dabei war die Ausdehnung des Wabelsdorfer heiligen Bezirkes viel größer, so daß wir in ihm wohl den größten bisher bekannten bäuerlichen Tempelbezirk vor uns haben.

Der keltischen Religion ist es nämlich eigentümlich, nicht immer jedem Gott einen eigenen Bezirk oder Tempel zu weihen; wir finden vielmehr oft in großen, mitunter prachtvoll ausgestatteten Anlagen eine Vielzahl von Gottheiten des keltischen Pantheons verehrt. Die genauen Untersuchungen im Rheinland und in Frankreich haben uns eine große Anzahl solcher Tempelbezirke beschert, hier sei nur an den größten, an den heiligen Bezirk von Trier im Altbachtal, erinnert. Diese großen Anlagen, die meist von der frühen Kaiserzeit bis in die Spätantike gedauert haben zeigen uns die Reichskunst, oft in provinzieller Prägung, auf der Höhe ihrer Macht. Aber nicht alle Heiligtümer waren so prachtvoll ausgestattet. Im bäuerlichen Bereich hat sich viel Urtümliches, viel Prähistori- sdies erhalten und so finden wir neben den großen Anlagen auch bescheidene aus Stein und Holz errichtete. In diese Gruppe, die in unserer Heimat am besten erforscht ist, fällt auch unser Bezirk.

In einem unregelmäßigen polygonalen Hof von etwa 75 X 60 Meter lagen ohne festes Bauschema sechs einfache viereckige Kapeliai, in Kärnten würde man Bildstöcke sagen. Auf einem aus Draugeschieben errichteten nicht gemörtelten Mauersockel erhoben sich Pfosten, die ein Pyramidenoder Satteldach trugen. Sie repräsentieren in ihrem Aussehen und in ihren Maßen (von zirka 4 X 4,5 bis 10 X 7 Meter sind alle Zwischenmaße vertreten) die ursprüngliche Form des keltischen Tempels' der Urgeschichte. Der Boden aus Katzenkopfoder Steinplattenpflaster, je einmal kommen auch Kies und Estrich vor, erinnert in seinem Aussehen an die noch heute im Bauernhof übliche Hofpflasterung. In der Mitte fanden wir in einem Tempel den Platz, auf dem der Altar oder das Götterbild gestanden ist. Da keine Reste von Statuen gefunden wurden, werden diese wohl aus Holz gewesen sein; sie sind bei der Schleifung der Anlage verbrannt worden. Auch eine weitere Grube, in der das Tempelinventar bestattet worden war,

konnten wir feststellen; unter einem großen Steinmantel sollten die Heidengötter und ihr Eigentum den ewigen Schlaf finden. Diese Sicherung hat sich aber schon in der Antike als unzuverlässig erwiesen, an zwei Stellen war die Abdeckung angebohrt und der Inhalt geraubt worden.

Wie in fast allen Religionen, spielte auch das heilige Wasser im Glauben der Kelten eine nicht unbeträchtliche Rolle, und es gibt fast kein Hei!igtum bei dem sich nicht auch ein heiliger Brunnen findet. Hier fanden wir ihrer zwei. Eine tiefe 'Rundzisterne im Bereich des Hofes war bis an den Rand mit Steinen gefüllt und dann ebenfalls mit einem Steinmantel abgedeckt worden. Ein weiteres Zeichen für die künstliche Zerstörung der Anlage. Die Zisterne war wohl erhalten und wird durch den Landeskonservator von Kärnten konserviert und so der öffentlidikeit zugänglich gemacht werden. Außerhalb des Bezirkes, im Norden der Anlage, fanden wir einen großen Bassinbrunnen, der durch ein Dach auf sechs Pfosten, deren Pfostenlödier wohl erhalten waren, gegen ' Verunreinigung geschützt war. Er lag inmitten eines großen gepflasterten Raumes. Es ist schwierig, bei der geringen Kenntnis, die w:r von der keltischen Religion haben, die Funktionen der beiden Brunnen zu deuten Vielleicht fanden in dem einen rituelle Waschungen, allenfalls der Götterbilder, statt, während die Zisterne das heilige Wasser lieferte. Nach den Keramikfunden können wir auch grob die Erbauungszeit des Bezirkes schätzen, Kammstrichgefäßscherben wurden reichlich gefunden, itnd zwar in den untersten Lagen. Diese sind für die La-Tene- Stijfe D charakteristisch und gehören ins

1. Jahrhundert v. Chr Die letzten Scherben, die am höchsten lagen, gehören der Spätaütike an, sie sind kaum als Datierungsmittel zu verwenden, doch hilft uns hier die Art der Zerstörung, die uns ins 4./5. Jahrhundert weist.

So gering und unbedeutend an sich die Funde erscheinen mögen, für das Wissen um die Vergangenheit unserer Heimat sind die Ergebnisse in mehreren Punkten wichtig. Zeigen sie doch, daß das bäuerliche Element die lange Zeit der römischen Epoche eigentlich in seinem Kern unverändert überdauert hat. Daß die Christianisierung der Alpentäler - im 4. Jahrhundert fortgeschritten ist, daß sich ber auch viel Heidnisches im Sagen- und Märchengut erhalten hat. Wichtig ist auch, daß sich die keltische Art bis zum frühen Mittelalter bewahrt hat und wahrscheinlich sogar in dieses hinein reicht. Aus ihr und den früh- deutschen Zuwanderern, gemeinsam mit so manchem Illyrischen, ist der Menschenschlag unserer Älpler entstanden.

Der Erhaltungszustand der Anlage war schlecht und es bedurfte vieler Geduld und mühevoller Arbeit, ein gesichertes Bild von der Anlage zu bekommen; denn jahrhundertelang hat bäuerlicher Fleiß Jahr für Jahr die Steine unserer Tempel aus der Erde geräumt, ja zu Zeiten sogar fuhrenweise weggeführt. Nun, konnte gerade noch vor dem endgültigen Untergang diese Untersuchung durchgeführt werden.

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