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Der Wurm

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Ein Wurm kriecht durch die Welt.

Er droht eine Idee auszuhöhlen, die bei aller Romantik eine der realsten Begegnungen der verfein- detsten Völker und Nationen unserer Tage ist: die vor 72 Jahren durch den französischen Baron Pierre de Coubertin wiedererweckten Olympischen Spiele. Es ist nicht so sehr der von dem derzeitigen IOC-Präsi- denten Brundage so sehr bekämpfte Scheinprofessionalismus, sondern der schon im vorigen Jahrhundert wütende, heute mehr denn je grassierende Nationalismus.

Doch wollen wir nicht selber in den angeprangerten Fehler verfallen und vorerst die Arbeit der tausende Hirne tmd Hände dankbar anerkennen, die die großartige Schau der letzten Winterspiele inszenierten und die Tücken des Wetters von „Grenebel” parierten.

Auch dürfen wir Österreicher, die wir dabei nicht eben vom Glück gepeitscht waren, mit elf Medaillen, dem fünften Platz der Medaillenwertung und gar dem dritten Platz der (inoffiziellen) Nationenwertung zufrieden sein — das Medaillendutzend von Innsbruck wurde fast erreicht.

Und doch fällt ein bitterer Tropfen in den Freudenbecher.

Der Name unseres „Winterkönigs” Toni Sailer scheint eine Art Trauma für die Franzosen geworden zu sein. Nach seinem denkwürdigen Abtreten nach Cortina gingen zwei neue Sterne auf: der des fast tragisch auf- und absteigenden Österreichers Schranz und der des gleichmäßig strahlenden Franzosen Jean-Claude Killy. Der letztere wurde zum Idol der Nation erhoben und, obwohl diesmal nur Dritter im letzten alpinen Lauf, durch einen Hokuspokus, den freilich erst der „Oberste Gerichtshof” der FIS billigen muß, auf Biegen und Brechen, um den Sailer- Rekord einzustellen, zum Goldhamster gemacht (worüber der feine Kerl selber nicht sehr glücklich ist), während der eigentliche Sieger Schranz nach 12}ähriger Laufbahn auch diesmal leer ausging.

Nicht genug damit, hatte man tags zuvor unseren Eiskunstlaufweltmeister Emmerich Danzer trotz Traumkür, besserer Platzziffer und Punktewertung zugunsten des Franzosen Pera auf den medaillenlosen vierten Platz „verschoben” — ein Computer hätte korrekter amtiert, denn er gehört (noch) nicht einer Nation an…

Verbittert kehren unsere beiden moralischen Sieger heim, aber auch die zwei „Triumphatoren am grünen Tisch” haben keine rechte Freude mit dem Ergebnis des nationalen Rechenschiebers.

Ein Wurm kriecht durch die Welt…

Nahezu 1200 Jahre haben die Spiele der Griechen überlebt. Olympia ist heute ausgegraben, freigelegt. Um die Geisterstunde aber kannst du’s darin mit feinem, verwundetem Ohr bröckeln und rieseln hören:

Der Wurm. Der Wurm.

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