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Deutsch-griechisches Olympia

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1.

Als der Perieget Pausanias, ein Grieche aus Kleinasien, um die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. Griechenland und den Peloponnes bereiste, schrieb er seine Reiseeindrücke und -erlebnisse in zehn Büchern nieder. Diese Schriften, in byzantinischen Bibliotheken erhalten geblieben, wurden im 15. Jahrhundert für das westliche Abendland wiederentdeckt, und die bald darauf erfolgten Übersetzungen ins Lateinische, allen voran eine, die Johann Jakob Fugger finanzierte, sicherten ihnen eine große Verbreitung unter den humanistisch Gebildeten.

Buch V und VI dieser Graeciae Descriptio behandeln die Landschaften Triphylien, Olympia und Elis an der Westküste des Peloponnes. Pausanias hätte es sich wohl kaum träumen lassen, daß seine Aufzeichnungen fast 2000 Jahre später den Leitfaden für die Identifizierung antiker Stätten und Heiligtümer, in diesem Falle jener des panhellenischen Heiligtums des Zeus in Olympia abgeben werden. Freilich war auch seine literarische Hinterlassenschaft während der vergangenen fünf Jahrhunderte dem Auf und Ab gelehrter Spitzfindigkeiten und Wert-schätzungen unterworfen, doch haben vor allem die Ergebnisse der nun in Olympia laufenden dritten großen Grabungskampagne unter der Leitung von Prof. Emil Kunze, dem Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Athen, die Zuverlässigkeit der Angaben des Pausanias hervorragend bewiesen.

2.

Es war ein einzigartiger Erfolg für die deutschen Archäologen E. Curtius, W. Dörpfeld, A. Furtwätigler und anderer, während der von 1875 bis 1881 durchgeführten ersten Grabungskampagne das historisch mehr als tausend Jahre alte griechische Nationalheiligtum wiederentdeckt und erforscht zu haben. An der seit damals feststehenden Topographie des Heiligtums, die die Forscher trotz allem Zögern in Übereinstimmung mit den Angaben des Pausanias aufgestellt haben, mußten auch die jüngeren Forscher keine wesentlichen Korrekturen vornehmen.

Es mußten damals wie heute ungeheure Erdmassen bewältigt werden, die Erdbeben, Überschwemmungen und Erdrutsche im Verlauf von 1500 Jahren über den Ruinen angehäuft haben. Bei der hierbei 1875 bis 1881 erstmalig von den Archäologen entwik- kelten Methode der Stratigraphie wurden slawische, byzantinische, römische, griechische und vorgriechische Bau- und Benützungsperioden innerhalb des Heiligen Bezirkes festgestellt.

- Die Ergebnisse der ersten sensationellen Ausgrabung haben das archäologische und historische Wissen enorm bereichert; sie haben aber auch die bis dahin fehlende Illustration zur schriftlichen Überlieferung der Olympischen Spiele abgegeben.

Den Bewohnern von Elis oblag seit altersher die Oberaufsicht über die alle fünf Jahre abgehaltenen Festspiele zu Ehren des Zeus; an deren Wettkämpfen nur freigeborene Griechen teilnehmen durften. Sie hatten für die Organisation der religiösen Feiern und der Wettspiele zu sorgen, sie wachten über die Einhaltung des einmonatigen Waffenfriedens unter den Festteilnehmern, und sie besorgten auch die Betreuung der Feststätte außerhalb der Festzeit. Die Wettkämpfe, Pankration — Faust- und Ringkampf —, Pentathlon — Fünfkampf mit Laufen, Speerwerfen, Diskuswurf, Springen und Ringen —, Hoplitodromos — Waffenlauf — und Hippodromos — Wagenrennen — waren ein integrierender Teil der religiösen olympischen Feiern. Den Siegern in den Wettkämpfen wurden höchste Ehren zuteil. Die unzähligen Weihungen von Siegerstatuen, Waffen und Sportgeräten unter den.; Funden spiegeln den Stolz und die ‘Freude der siegreichen Wettkämpfer und ihrer Heimatgemeinden wider. Der einzige reale Lohn der Sieger aber war ein Kranz aus den Zweigen des wilden Ölbaumes, der neben dem Tempel des Zeus gehegt wurde.

3.

Wilde Ölbäume zwischen den Ruinen und hohe, breitästige Strandkiefern und Platanen überschatten auch heute noch die Stätte des olympischen Heiligtums. Der Friede der Festspiele war in Harmonie mit der lieblichen Landschaft der Weingärten und der Orangenhaine ringsum, der sanften, gegen den sandigen Strand des Ionischen Meeres zu flacher werdenden waldigen Hügeln.

Und doch verbindet diese in sich ruhende Landschaft der Vergangenheit noch etwas in viel stärkerem Maße mit der Welt von heute Es sind dies die Olympischen Spiele, die in Begeisterung über die Erfolge der ersten deutschen .Ausgrabung von Baron de Cou- bertin wieder ins Leben gerufen wurden. Ein kleiner Altar mit den bekannten fünf Ringet steht vor dem Eingang zum Heiligtum; an ihm wird die olympische Flamme entzündet und von Stafettenläufern bis zum jeweiligen Festspielort gebracht. In seiner Nähe ruht, eingeschlossen in einer Steinstele, seit 193 8 das einbalsamierte Herz des Begründers der neuen Olympiaden.

Die Olympiade von Berlin hat 1936 die zweite große Grabungskampagne ausgelöst. Von den damaligen Machthabern wurde dem archäologischen Bemühen nicht so sehr das Heiligtum des Zeus als die Stätte des Sports ans Herz gelegt. Diese neue Grabungskampagne hielt über den Beginn des zweiten Weltkrieges und der Besetzung Griechenlands durch deutsche Truppen bis zu ihrem Abzug an. Im Mittelpunkt dieses Grabungsprogrammes standen die Erforschung der griechischen und römischen Badeanlagen am Ostufer des Kladeos und der römischen Gästehäuser in deren unmittelbarer Umgebung. Hierbei glückte den Ausgräbern u. a. die Aufdeckung eines Schwimmbeckens aus dem 5. Jahrhundert und eines griechischen Bades mit Hypokaustheizung aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. Die Römer können also nicht länger als die Erfinder des antiken Zentralheizungssystems gelten.

In dieser zweiten Grabungskampagne begann man auch mit der gründlichen Durchforschung des Stadions, welches man 1875 bis 1881 aus Gründen der Zeit- und Geldersparnis nur versuchsweise angeschnitten hatte. Diese Durchforschung, die erst jetzt während der dritten Grabungskampagne abgeschlossen werden konnte, hat unerwartet reiche Funde und Aufschlüsse erbracht.

4.

Über die bedeutenden Funde dieser Grabungsperiode hat die Öffentlichkeit erst durch die Publikationen der letzten Jahre Kenntnis erhalten, denn diese Funde mußten, zusammen mit den kostbaren Altbeständen des Olympiamuseums, bald nach der Freilegung luftschutzsicher geborgen werden. Wohl das historisch interessanteste Stück darunter ist ein korinthischer Bronzehelm, den Miltiades, der große Feldherr und Sieger der Schlacht bei Marathon dem Zeus weihte, als er noch Tyrann der Cherson es (Krim) war. Andere Waffenfunde spiegeln die Geschichte groß- griechischer Städte wider. So zeugen Inschriften auf einem Schilde von Kämpfen zwischen den Einwohnern von Zankle und Rhegion bzw. auf einem anderen Schilde von solchen zwischen den Syrakusanern und Awri- gentinern. Einmalig ist der Fund einet bronzenen Rammbockes, dessen ge- zackte Langseiten zwei Widderköpft schmücken. Über weitreichende Handelsbeziehungen gibt ein kleines, spät hethitisches Bronzerelief Auskunft das die nicht unbedeutende Reiht orientalischer Weihungen in Olvmpii fortsetzt. Prachtvolle Schildzeichen die als Apotropaia dem Feind Schrek ken einflößen sollten, sind aus dün nem Bronzeblech getrieben und traget Darstellungen von Tier- und Men sehenungeheuern, zum Fluch gespreizt! Hände, Löwen, Eber usw ; Schild bänder oder kostbar getriebene Bein und Armschienen, mit Ziselierunget und Halbedelsteinen verziert, bieten neben der großen Zahl griechische; Helme verschiedener Typen, ein reichhaltiges Bild antiker Rüstungen um zeugen gleichzeitig für das große handwerkliche Können dieser Zeit.

Die Funde der Grabungskampagnt 1937 bis 1942 brachten auch zusätzliche Aufklärung über das noch wenig bekannte Gebiet der antiken Großplastik aus Terrakotta. Bei der erster Grabung waren Fragmente einer Terra-kottastatuengruppe zum Vorschein ge- :- kommen, die’ nun, nachdem die zweitf fe Kampagne wieder wesentliche, Stückt i- hervorgebracht hat, zur Gruppe de: t- Zeus, der seinen Liebling Ganymec t- entführt, neu zusammengesetzt werdet ie konnte. Auch Fragmente einer Athena- ia gruppe sowie einer Kriegergruppe it n. zwei Dritteln der Lebensgröße, poly- t- chrom bemalt, sind unter den kost- i- baren Funden dieser Grabung zt n nennen.

5.

1- Über die Erfolge der Grabungen de l- letzten Jahres, dem achten Grabungs n jahr der dritten Olympiakampagne i, berichtete Prof. Kunze in einen ;r Festvortrag zu Ehren des 143. Geburts l- tages Johann Joachim Winckelmanns d dem Begründer der deutschen Archäo 1- logie. Das griechische Königspaar S. M. König Paul und I. M. Königit iw Friederike, und die beiden Prin zessinnen gaben dieser Feier durch ihn g Anwesenheit ein besonders festliche j. Gepräge. Unter den Gästen befandet n sich die Leiter und Mitglieder de amerikanischen, britischen, französi sehen’ und italienischen archäologi sehen Institute von Athen sowie di führenden Persönlichkeiten der griechischen Archäologie.

In seinem Fesfvortrag legte Professor Kunze den abschließenden Be rieht über die Untersuchungen im Stadion vor. Nachdem in den letzten Jahren auch die Ost- und Nordwälle de: Stadions Kubikmeter für Kubikmetei durchsucht und umgegraben worder waren, ist man jetzt auf Grund dei Spende eines deutschen Industrieller dabei, die olympische Wettkampfstätte in ihrem ursprünglichen Zustand wiederherzustellen.

Es ist charakteristisch für das Stadion von Olympia, daß es an seiner Lang- und Querseiten keine gemauerten Zuschauertribünen wie die Stadien von Delphi oder Epidauros gekannt hat. Vielmehr waren die aufgeböschten Wälle des Stadions von Olympia einfach grasbewachsen, nut die Laufbahn selbst hatte eine steinerne Einfassung, marmorne Ziel- und Ablaufschwellen, steinerne Entwässerungskanäle an der Ost- und Westseite und eine mehrmals umgebaute Kampfrichtertribüne in der Mitte des Siidwalles. Es konnten insgesamt fünf Bauperioden am Stadion festgestellt werden; die Kampfbahn selbst wurde mehrmals verlagert, nachdem sie erst im 5. Jahrhundert v. Chr. durch die Errichtung der Echohalle vom eigentlichen Heiligtum getrennt worden war. Innerhalb der Stadionwälle wurden mehr als 50 Brunnenschächte entdeckt. In diese Brunnenschächte warf man die durch die Unbilden der Witterung unansehnlich gewordenen Waffen, die im Freien aufgestellt waren. Unter die-sen Waffen fand sich zum Beispiel ein medischer Helm, der zufolge seiner Inschrift aus der Kriegsbeute der Perserkriege dem Zeus geweiht worden war, oder das prachtvolle Schildzeichen einer fisch leibigen Gorgo aus Bronzeblech. Auch ein Altar der Demeter Chamyne, den Pausanias hier vermerkte, wurde aus einem der Brunnenschächte geborgen.

Zu den Sensationellsten Entdek- kungen der dritten, seit 1952 laufenden, Grabungskampagne sind die Funde innerhalb der byzantinischen Kirche und eines südlich daran anschließenden Baues zu zählen.

6.

Bereits die ersten Ausgräber setzten sich bei der Benennung dieser Gebäude mit den Aufzeichnungen des Pausani,as, hier habe das Gebäude gestanden, wo Pheidias, der große griechische Bildhauer des späteren 5. Jahrhunderts v. Chr. das rund dreizehn Meter hohe Goldelfenbein-Standbild des Aeus gearbeitet hat, bevor es im Tempel des Gottes auf gestellt wurde, auseinander. Die heftigsten Kontroversen, die über die Identifizierung des Gebäudes der späteren byzantinischen Kirche mit der Werkstatt des Pheidias seit 180 entstanden, konnten nun eindeutig zugunsten der Überlieferung des Periegeten Pausanias entschieden werden. Tiefengrabungen haben hier Gießereireste, einen Brunnen, einen Bronzekessel in Situ, neben unzähligen Werkstücken, Abfällen von Elfenbein und Halbedelsteinen, Tonmatrizen zum Formen der Goldfolien, mit denen der Holzkem der Statue (vor allem deren Gewandteile) überzogen gewesen sind, ergeben.

Werkzeuge für Gold- und Elfenbein-arbeiten, kleine gegossene Glasornamente in ihrer Gußform, winzige Teilchen von Goldstaub bildeten den Werkstattschutt, der nach Vollendung des Kultbildes zur Aufschüttung des abschüssigen Terrains südlich der Werkstatt verwendet wurde. Wohl zu den rührendsten Fundstücken dieser Grabung gehört ein kleines, einfaches Kännchen, an dessen Unterseite der Meister wohl selbst seinen Namenszug: Pheidio ehni — ich bin des Pheidias — eingeritzt hat. Somit ist also erwiesen, daß der Bau, der später in eine byzantinische Kirche umgewandelt worden war, ursprünglich die Werkstatt des Pheidias gewesen ist, wo er zwischen 430 und 420 v. Chr. die Statue des Zeus geschaffen hat.

Der Architekt Alfred Mallwitz arbeitet seit Jahren an einem neuen Modell des Heiligtums von Olympia und an einer — geglückten — Rekonstruktion der Pheidiaswerkstatt. Im deutschen Grabungshaus an Fuße des Kronoshügels sind das ganze Jahr hindurch die Archäologinnen Fräulein Dr. Gropengießer und Fräulein Doktor Kötte mit der Inventarisierung der vielen Tausende von Einzelfunden beschäftigt. Als Restaurator fungiert ein Herr aus dem Berliner Ostsektor, der mit Erlaubnis der Ostzonenbehörden seine seit 1937 laufenden Arbeiten in Olympia fortsetzen darf.

Über alle politischen Macbtverschie- bungen hinweg hat sich die deutsch« archäologische Forschung durch ihy nun schon länger als 80 Jahre wäh rende Arbeit am „Werk Olympia“ dit Achtung und den Dank der Welt verdient. Die historische Grabungsstätt« hat es ihnen mit größtem Finderglücl gelohnt.

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