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Die Aufgaben des Königs

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Aufgabe des Königs ist es nichrt, Politik zu treiben, Aufgabe des Königs ist es vielmehr, Hüter des Rechtes und Repräsentant der Gerechtigkeit zu sein. Zum Unterschied von allen, anderen Ländern beschwört der britische König nicht die Verfassung, sondern schwört, die alten Gesetze und Gewohnheiten zu achten und bei seinen Urteilen „law and justice in mercy“, „Recht und Gerechtigkeit im Geist der Er-barmnis“, zu üben. Der britische König ist nicht Souverän im Sinn jener aus der Antike stammenden Rechtslehre, die den König als einen „rex legibus solutus“, als einen König, der von den Gesetzen befreit ist, ansieht, sondern ein König, von dem nichts anderes verlangt wird, als daß er ein vollkommener Hüter der Gerechtigkeit und damit der erste Gentleman des Landes sei. Das aber bedeutet, daß auch der König dem Recht und damit der Gerechtigkeit unterworfen ist. Der soviel zitierte Satz, der englische König könne nicht Unrecht tun — the king cannot do wrong —, wird immer falsch verstanden. Er bedeutet vielmehr, daß jeder Herrscher aufhöre, König zu sein, sobald er Unrecht begeht. England hat viele Königsabsetzungen gekannt — Bichard II., Eduard II., Karl I. —, immer wurde behauptet, der König habe das Recht verletzt und sei somit kein König mehr. Noch in unseren Tagen mußte ein König — Eduard VIII. — abdanken, weil er eine geschiedene Frau heiraten wollte und dadurch das Recht verletzt hätte. Denn heilig ist das Recht, heilig, weil nach englischer Auffassung in unmittelbarem Zusammenhang mit Gott stehend. Aus diesem Aspekt heraus ist es auch verständlich, warum solange eine geschiedene Frau, die einen anderen geheiratet hat, nicht vor dem König erscheinen durfte. Sie hatte dadurch das Recht verletzt und ihr Erscheinen vor dem britischen König wür?le nicht diese Majestät, sondern die Majestät des Rechtes selbst verletzen. England ohne Krone wäre ein Torso,denn dann würde ihm jener „rocher de bronze'“ fehlen, der Repräsentant der Gerechtigkeit ist, an der sich die englische Politik ausrichten soll. Das Parlament von 1689 handelte ganz richtig im englischen Sinn, als es nach der Flucht Jakobs II. einen neuen König berief, um das Gleichgewicht im Staat wieder herzustellen. Denn zum Unterschied von allen konstitutionellen Monarchien steht der König nicht dem Parlament gegenüber, sondern bildet mit dem Parlament eine Einheit. Eine Einheit, in der durch ein kunstvolles System von Balancen dafür gesorgt ist, daß niemand zuviel Macht in den Händen hält. Die Macht des Parlaments ist durch die Gegenwart des Königs beschränkt, die Macht des Unterhauses durch die Gegenwart des Oberhauses, die Macht der herrschenden Partei durch das Vorhandensein der Opposition, „Ihrer Majestät allergetreueste Opposition“, wie sie offiziell heißt.

Parlament und König bilden eine Einheit. Zum Unterschied von allen konstitutionellen Monarchien, denen England immer als ein Vorbild diente, war dieses England selbst nie eine konstitutionelle Monarchie. Alle konstitutionellen Monarchien sind in irgendeiner Form ein Kompromiß. Entweder sind sie verkappte absolute Monarchien, dann führt das Parlament ein Scheindasein, oder sie sind verkappte demokratische Republiken, dann führt das Königtum eine Scheinexistenz. In England aber sind König und Parlament politische Realitäten. Denn nicht der König repräsentiert England und nicht das Parlament, auch nicht der König und das Parlament, sondern der König im Parlament — the king in His Parlament — ist England. König und Parlament können sich nie Konkurrenz machen, weil sie verschiedene Aufgaben haben. Sache des Parlaments ist es, Politik zu treiben, Sache der Könige ist es, Hüter der ewigen und immer gleichen Gerechtigkeit zu sein. England hat dadurch in seiner Geschichte das Glück erfahren, die Herrschaft von Tyrannen nie lang ertragen zu müssen, und der Satz: „Recht ist, was dem Staat nützt“ hat niemals Gültigkeit erlangt.

Als das Genie eines Shakespeare sich der Tragödie zuwandte, brauchte er nicht lange nach Stoffen zu suchen. In der Geschichte der Heimat fand er mehr als genug. Denn was ist in einer Tragödie anderes dargestellt, als daß die Welt aus den Fugen sei, wie „Hamlet“ sagt, und daß sie wieder eingerichtet werden soll. Das Unterliegen des Empörers ist ihr eigentlicher Inhalt. In den Tragödien Shakespeares ist die Krone die Repräsentantin der Gerechtigkeit und die Mitte einer sich ordnenden Welt, und die Menschen, welche sich gegen die Krone empören, gehen zugrunde, weil sie das System der Gerechtigkeit verletzen.

Es gehört zu den charakteristischen Merkmalen unserer Zeit, daß sie an einer Begriffsverwirrung sondergleichen leidet. So wird z. B. konservativ mit reaktionär verwechselt, obwohl zwischen beiden Richtungen ein himmelweiter Unterschied, ja Gegensatz besteht. Monarchien dagegen werden einer Autokratie gleichgesetzt, und dabei wird vergessen, daß zum Beispiel das Frankreich de Gaulles und das Rußland Stalins alles andere als Monarchien sind oder waren, sondern echte Autokratien darstellen, wohingegen sich die älteste und bestens funktionierende Demokratie Europas im Schatten der englischen Krone etablieren konnte.

Natürlich gab es im Lauf einer tausendjährigen Geschichte auch so manchen Monarchen, der sich die Rolle eines Autokraten zulegte. Dann überschritt er zweifellos seine Funktionen. Auch gab es so manchen Monarchen, der neben seiner eigentlichen Funkition noch die Funktionen eines Leiters der Politik oder eines Heerführers übernahm. Wesentlich mit der Funktion eines Monarchen sind diese übernommenen Aufgaben nicht, ebensowenig wie der Papst Primas von Italien oder Metropolit der römischen Kirchenprovinz sein müßte. Eine echte Monarchie ist alles andere als eine Autokratie. Denn das Wesen des Monarchen besteht darin, der Hüter des Rechtes zu sein und Gerechtigkeit zu üben „im Geiste der Erbarmung“. In diesem Sinne hat auch das heutige Österreich noch einen Monarchen, der zwar keine physische Person, sondern eine juristische Person ist, nämlich die drei Obersten Gerichtshöfe, die ihrem „Krönungs-eid“1 gemäß das Recht zu schützen haben und die Gerechtigkeit zu üben haben „im Geiste der Erbarmung“. Diesem Monarchen ist ganz Österreich Untertan, sowohl der Bundespräsident wie die Bundesregierung, das Parlament, die ganze Republik und die einzelnen Länder und jeder einzelne Österreicher, denn einem Spruch dieser Gerichte muß sich jeder Österreicher beugen und kann sich ihm nicht entziehen.

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