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DIE „BURG“ DER BÜRGE

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Daß das Deutsche Volkstheater, in dessen Geschichte sich 75 Jahre besonders wechselvollen Geschehens widerspiegeln, 1889 gegründet wurde, entsprang nicht der Initiative eines einzelnen Theaterenthusiasten, sondern war durch die Zeitentwicklung bedingt. Zwischen dem von Hof und Adel favorisierten Burgtheater und den Stätten primitiver Volksbelustigung sollte eine „Burg“ der Bürger, ein Theater der Mitte geschaffen werden. Die Anregung, in einem Theater für das Volk hohen künstlerischen Ansprüchen gerecht zu

Theaterzettel von der EinfOhrungipremicrwerden und gleichzeitig breitere Publikumsschichten au erfassen, wurde von Schriftstellern, wie Ludwig Anzengruber, Anton Bettelheim, Vinzenz Chiavacci, Franz von Schönthan und anderen, lebhaft aufgegriffen und von Industriellen tatkräftig unterstützt. Es stimmte also, wenn Alexander Girardi in einem Couplet bei einer Feier zur Eröffnung des Hauses sang:“ ,,Der Kaiser gab den Plate — der Bürger ßeinen Schatz.

Die Architekten Fellner und Helmer hatten auf dem Grund am Weghuber-Park das neue Haus errichtet und damit einen Theatertypus geschaffen, der dann Vorbild für die Bühnenhäuser in vielen Städten der Monarchie geworden ist. Ministerpräsident Graf Taaffe bemerkte bei der offiziellen Besichtigung des Neubaues, indem er unter deutlicher Anspielung auf den katastrophalen Ringtheaterbrand die vermehrten Sicherheitsausgänge hervorhob, etwas sarkastisch: „Die Architekten haben dafür gesorgt, daß die Leute hinauskönnen, möge die Direktion dafür sorgen, daß die Leute hereinkommen.“ Das war schon die Aufgabe des nach dem abschlägigen Bescheid Anzengrubers zum Direktor gewählten Emmerich von Bukovics, der sich der ansehnlichen finanziellen Hilfe eines Wiener Privatbankiers versichern konnte. Bukovics besaß Theatererfahrung, war selbst als Lustspielautor hervorgetreten und als Journalist tätig gewesen. Er hatte sich an die Statuten des Vereins des Deutschen Volkstheaters zu halten, die bestimmten, daß vor allem die Dramatik der Gegenwart, aber auch das klassische Drama zu pflegen sei und der Spielplan, vielseitig gestaltet, das Trauer- und Schauspiel neben dem Volksstück bis zur Posse, mit Ausnahme von Operetten, umfassen sollte.

Am 14. September 1889 fand die festliche Eröffnung des Theaters mit der Uraufführung des neuen Volksstückes von Ludwig Anzengruber „Der Fleck auf der Ehr'“ statt. Es wurde ein großes Fest des österreichischen Theaters. Hauptdarsteller wie Episodenspieler boten überzeugende schauspielerische Leistungen, wenngleich der Theaterzettel weder einen Regisseur noch einen Bühnenbildner nannte. Wieder einmal bewahrheitete sich das Wort Heinrich Laubes: „Die Schauspielkunst ist Mittelpunkt des Wiener Lebens, des Wieners Stolz und Sehnsucht und Vergnügen. Für die Schauspielkunst ist Österreich das Land der Märchen. Wäre das Theater nicht erfunden, die Österreicher erfänden es.

Wie vorsichtig Bukovics zwischen idealen Forderungen und Realitäten zu lavieren und mehr den Publikumsgeschmack als die höheren Ansprüche zu berücksichtigen hatte, zeigte bereits die zweite Premiere, die drei Tage nach der Festaufführung folgte: das Lustspiel „Die berühmte Frau“ von Franz v. Schönthan und Gustav Kadelburg. 47 Aufführungen dieses ersten Kassenerfolges standen 31 Aufführungen des Volksstückes von Anzengruber gegenüber. Wohl behielt das Werk Anzengrubers das Übergewicht im Spielplan, aber schon das Bestreben, dem neuen Geist, der sich in den Werken des Naturalismus manifestierte, die Wiener Bühne zu öffnen, stieß auf Widerstand im Publikum. Bukovics wollte vor allem Henrik Ibsen heimisch machen, aber weder „Die Stützen der Gesellschaft“ noch die „Gespenster“ oder „Die Wildente“ fanden den erhofften Widerhall, obwohl so großartige Menschendarsteller wie Friedrich Mitterwurzer oder Rudolf Tyrolt mitwirkten. Bei der Premiere der „Wildente“ , der Ibsen beiwohnte, arteten die Mißfallenskundgebungen des Parketts in einen regelrechten Theaterskandal aus.

Neben Gebrauchslustspiel und Possen, neben Sensationsund Effektstücken — der größte Erfolg des Deutschen Volkstheaters“ überhaupt“ waren“ die 208 Aufführungen des sentimentalen Kronprinzen-Stückes „Alt-Heidelberg“ — widmete sich Bukovics dem Aufbau des Klassiker-Repertoires: Zu Grillparzer, Raimund, Nestroy kamen Schiller, Goethe, Lessing, Kleist, Shakespeare, Moliere. Eine richtige Kulturtat war die Einführung von Klassikeraufführungen zu ermäßigten Preisen an Samstagnachmittagen, später an Montagabenden, an denen vor allem der Jugend die dramatische Weltliteratur erschlossen wurde. Es minderte dabei durchaus nicht die jugendliche Begeisterung, daß das klassische Pathos in diesen Aufführungen ab und zu etwas wienerisch gefärbt war.

Die damals fast noch vormärzliche Zensur verhalf dem Volkstheater zu manchem, sonst unerreichbaren Bühnenwerk. So wurden Ibsens dem Burgtheater vorenthaltene „Stützen der Gesellschaft“ dem Volkstheater mit nur wenigen Strichen bewilligt. Auch die dem Burgtheater nicht genehmen „Biberpelz“ und „Rose Bernd“ wurden der Zensur abgelistet. Wie übertrieben die Bevormundung war, zeigte Anzengrubers klassisch gewordenes Volksstück „Das vierte Gebot“ , das erst 13 Jahre nach der Uraufführung unter seinem Originaltitel gegeben werden konnte. Bis dahin hatte es gemäß der Zensurvorschrift nur „Ein Volksstück“ zu heißen. Eine Reihe im Ausland viel gespielter Stücke wurde von Wien ferngehalten. So verfiel Max Halbes „Jugend“ dreimal dem Verbot, Wedekinds „Frühlingserwachen“ wurde erst sechzehn Jahre nach seinem Entstehen freigegeben und Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ , um den sich mehrere Wiener Bühnen, darunter als erste das Deutsche Volkstheater, bemüht hatten, noch im Herbst 1912 wegen „tendenziöser und entstellender Schilderung hierländischer öffentlicher Verhältnisse“ endgültig verboten.

In den sechzehn Jahren der Direktionszeit Bukovics' wurden die Grundlagen geschaffen, auf denen seine Nachfolger je nach Temperament, Persönlichkeit und Zeitumständen weiterbauen konnten. Der von Ferdinand von Saar verfaßte Prolog, den der Charakterdarsteller des neuen Ensembles Adolf Weisse bei der festlichen Eröffnung des Theaters gesprochen hatte, enthielt grundsätzliche Erklärungen, die heute noch Wort für Wort gültig sind. Als Adolf Weisse 1905 von Bukovics die Direktion übernahm, stand das Deutsche Volkstheater mit seinem festgefügten Ensemble, dem namhafte Künstler angehörten, trotz vieler Schwierigkeiten und der manchmal recht fühlbaren Konkurrenz anderer Privattheater, in der vordersten Reihe des Wiener Theaterlebens und konnte sich bei gewissen Stücken sogar mit dem Burgtheater messen.

VÜTeisse, selbst ein erfahrener und routinierter Schau W Spieler erweiterte das Ensemble durch wertvolle neue Kräfte. Etwas zögernd baute Weisse den klassischen Teil des Spielplanes aus. Ansonsten pflegte er mehr das Unterhaltungslustspiel und das Boulevarddrama. Die Molnär, Lengyel, Herczeg eroberten die Bühne. Die Weltliteratur war mit Werken von Shaw, Maeterlinck, Gorki, Tolstoi, Galsworthy, d'Annunzäo, Romain fiölland, die heimische und andere deutschsprachige Dramatik mit Bahr, Csokor, Schnitzler, Schönherr, Wildgans, Hauptmann und Wedekind vertreten.

Mit dem Ausbruch des Weltkrieges änderte sich die Situation grundlegend. Finanzielle, aber auch Zensurschwierigkeiten belasteten die Führung der Bühne immer mehr. Im Juni 1916 verließ Weisse das Volkstheater. Korl Wallner, ein Schauspieler und erfahrener Theatermann, übernahm die Direktion und führte das Theater mit wechselndem Geschick durch die schwierigen Krisenjahre. Auch er war bestrebt, das Ensemble zu erhalten und dem Haus neue Kräfte zu gewinnen, so: Raoul Aslan, Fritz Kortner, Josef Danagger, Elisabeth Markus und Albert Bassermann als Gast. Das nachhaltigste künstlerische Ereignis während der Krisenjahre war die Uraufführung der Dramen „Armut“ und „Liebe“ von Anton Wildgans in ihrer seltsamen Mischung von Naturalismus und Expressionismus. Als Wallner im Juni 1918 zurücktrat, endete nicht nur eine kurze Direktionsära, sondern eine ganze Epoche.

Die folgenden 30 Jahre bis zur Besetzung Österreichs zeigen das Volkstheater, besonders unter Bernau und Dr. Beer, beide starke, für die Literatur ihrer Zeit wie für das lebendige Theater aufgeschlossene Persönlichkeiten, auf dem bis dahin höchsten Stand an Niveau und Leistung. Alfred Bernau kam aus Brünn, das seit jeher die Wiener Theater mit Kräften versorgt hatte. Er war weder ein großer Regisseur noch ein kühner Neuerer, aber eine faszinierende Komödiantennatur, ein Stück Striese wie jeder echte Theatermann. In seinem Privatleben völlig anspruchslos, hatte er ewig mit Geldsorgen zu kämpfen und zwischen „problematischem Theater“ und „Geschäftstheater“ zu lavieren. Immerhin gab er mit wesentlichen, in Wien noch wenig bekannten Werken der Gegenwarts- wie der klassischen Dramatik dem Spielplan neue Impulse, setzte stärker denn je und in Übereinstimmung mit der Entwicklung seit der Jarhhundertwende — Stanislawski, Reinhardt, Antoine, Craig — den Faktor Regie ein, entdeckte in Professor Oskar Strnad einen schöpferischen Bühnenbildner von europäischem Rang und ließ ihn als erster Theatermann, noch vor Reinhardt, neue Wege der Szenengestaltung vom Bühnenbild zum Bühnenraum gehen.

Nachdem die Zensur aufgehoben worden war, konnte viel Verbotenes nachgeholt werden, und so kam es vor Weihnachten 1918 zur überaus erfolgreichen Erstaufführung des viel umstrittenen und so lange unterdrückten „Professor Bernhardi“ von Schnitzler. Alfred Bernau gab die Titelrolle und führte selbst Regie. Bald darauf folgte, nach fast zwanzigjährigem Kampf mit der Zensur, das Soldatenstück „Der Gemeine“ von Felix Saiten. Aus der befürchteten Demonstration gegen Österreich wurde eine solche für Österreich. Als am Schluß des Ersten Aktes die Burgmusik unter den Klängen von „O du mein Österreich“ aufmarschierte, geriet das Haus außer sich vor Begeisterung.

Der Vielfalt im Spielplan (u. a. Strindberg- und Wede-kindrenaissance, Gipfelaufführungen von „Faust I“ und „Peer Gynt ) entsprach auch die Vielfalt im Schauspielerischen. Bernau bereicherte das an sich ausgezeichnete Ensemble durch neue Kräfte, u. a.: Ida Roland, Helene Thimig, Lucie Höflich, Egon Jordan, Hans Marr, Hans Moser, Oskar Sima, Josef Schildkraut. Alexander Moissi wurde auf Zeit verpflichtet und spielte, ohne das Ensemble zu sprengen, unvergessen ödipus, Hamlet, den Franz Moor, den Fedja. Doch schon 1924 begann nach einigen Jahren Theaterkonjunktur jene Krise, die mit einigen Unterbrechungen ein Vierteljahrhundert anhalten sollte. Dem Theater erwuchs im Film eine immer stärkere Konkurrenz, und schon dämmerten auch die vagen Umrisse der wirtschaftlichen und politischen Weltkrisen auf.

Mitte 1924 übernahm Dr. Rudolf Beer die Leitung des Volkstheaters mit einer ansehnlichen Schuldenlast. Auch Doktor Beer war ein Theaterfanatiker. Hübsch charakterisiert ihn die Erinnerung einer Schauspielerin, die ihn einmal fragte, auf welche Probe sie gehen solle, da sie am nächsten Tag zu gleicher Zeit im Volkstheater und im Raimundtheater eine Probe habe. Worauf sie prompt zur Antwort bekam: „Schauspielerinnen, die nicht zu gleicher Zeit in zwei verschiedenen Theatern sein können, kann ich überhaupt nicht brauchen.*-Das war scherzhaft gemeint und doch auch ungemein kennzeichnend für die Arbeitsbesessenheit des Theatermannes.

Künstlerisch ging er den Weg seines Vorgängers weiter, erreichte Höhepunkte mit „Faust I und II“ an einem Abend, mit Shaws „Heiliger Johanna“ und Bruckners „Elisabeth von England“ und favorisierte Pirandello, Georg Kaiser und Carl Zuckmayer. Seine große Zuneigung galt dem Schauspieler. Er fariä neue Talente; so: Paula Wessely, Margarethe Koeppke, Luise Rainer, Luise Ullrich, Hans Jaray, Hans Schweikart, Hans Olden, Karl Skraup. Oft baute er das Repertoire auf die Mitwirkung großer Gastschauspieler auf. Im Sommer 1932 schied Dr. Beer vom Volkstheater, um in Berlin die Nachfolge Reinhardts anzutreten.

Damals stand das Deutsche Volkstheater im Ruf eines Theaters der interessanten Stücke und der interessanten Schauspieler. Aber die große Wirtschaftskrise, die seit 1929 weltweit eingesetzt hatte, wirkte sich auch im Theaterbetrieb aus und zog immer mehr Besucher in das billigere Kino. Es war eine wirtschaftlich kritische Zeit, als Rolf Jahn die Leitung des Volkstheaters übernahm. Als dann seit 1934 die überaus gespannte politische Lage im Inland dazukam, vermochte Jahn nur noch unter persönlichen und materiellen Opfern mit dem vergrößerten Ensemble gutes Theater zu entwickeln. Dem von 1938 bis 1945 in ein KdF-Theater umgewandelten Volkstheater stand Bruno lltz vor, der es immerhin mit Takt und großem Geschick verstanden hat, den Spielplan so neutral wie nur möglich zu halten, indem er besonders Nestroy und die Klassiker pflegte. Bald nach Kriegsende übernahm wieder Rudolf Jahn für kurze Zeit die Leitung und rettete so das Theater vor der Beschlagnahme als deutsches Eigentum durch eine alliierte Macht.

Nach einer dreijährigen Übergangszeit unter Günther Haenel setzte ab 1948 die neue Ära unter Paul Barnay ein. Seit 1952 wird das Volkstheater von Leon Epp geleitet. Diese Phase soll einer gesonderten Darstellung vorbehalten bleiben.

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